„Das ist kein Leben mehr, das ist die reine Hölle“

Aleppo brennt Die dramatische Lage in der Stadt schildert der IKRK-Sprecher Pawel Krzysiek

KAIRO taz | Mehr als 250 Menschen sollen in den vergangenen zehn Tagen in Aleppo ums Leben gekommen sein. Am Mittwochmorgen scheint es in Aleppo relativ ruhig zu sein. „Die Sonne scheint in Aleppo, es ist ein gespenstisch ruhiger Morgen, verglichen zu den letzten Tagen“, sagt der Sprecher des Roten Kreuzes, Pawel Krzysiek. Gerade hat er mit dem Team des Internationalen Roten Kreuzes vor Ort telefoniert. „Sie sehen die Lage eher als die Ruhevor dem Sturm an“, fügt er hinzu.

Aleppo erlebte gerade die schlimmsten Tage in diesem Krieg. „Es gab vor allem im Osten Bombardements und Wellen von Granateneinschlägen“, so Krzysiek. Diesmal wurde eine medizinische Einrichtung auf Seiten der Regierungstruppen beschädigt, aber auch auf der Rebellenseite wurde ein medizinisches Lager getroffen. „Das zeigt, dass diese Angriffe wirklich ein Ausmaß totaler Ab­surdität erreicht haben“, macht sich der Sprecher des IKRKLuft.

Noch nie habe er so viele Angriffe auf medizinische Einrichtungen erlebt. „Ich weiß nicht mehr, was ich dazu sagen soll, ich weiß nur, das ist total verrückt und muss aufhören“, sagt er. „Ich habe eine solche Intensität noch nie erlebt. Wenn in weniger als einer Woche sechs medizinische Einrichtungen getroffen werden, dann bedeutet das nicht nur, dass Menschen und medizinisches Personal sterben oder verwundet werden. Hier werden lebenswichtige Dienstleistungen zerstört, die in Aleppo ohnehin Mangelware sind“, erklärt er. Über den Alltag in Aleppo sagt Krzysiek: „Das ist kein Leben mehr, das ist die reine Hölle.“ Niemand sei auf so etwas vorbereitet. „Es gibt keine Bunker, wie etwa in Deutschland während des Zweiten Weltkrieges. Die Menschen sitzen zu Hause und beten, dass die Bomben oder die Granaten nicht den Ort treffen, an dem sie sich aufhalten. Sie versuchen zu überleben, aber das ist kein Leben“, beschreibt er die Lage der Zivilbevölkerung.

Man könne das sogar an den Gesichtern der Menschen sehen, hätten seine IRK-Kollegen in Aleppo erzählt. Die Straßen sind leer, denn niemand weil ein unnötiges Risiko eingehen und sich diesem Irrsinn aussetzen, schildert der IRK-Sprecher.

Noch ist eine einzige größere Straße zur Außenwelt offen, über die die Stadt versorgt werden kann. Im Moment bereitet das Internationale Rote Kreuz weitere Konvois vor. Lebenswichtiger medizinischer Nachschub wird in die Stadt gebracht, auch Ersatzteile, um die Wasserversorgung aufrecht zu erhalten. „Noch können wir alles nach Aleppo hineinbringen. Aber das heißt nicht, dass wir diesen Nachschub unter den jetzigen Umständen auch zum Einsatz bringen können“, erläutert Krzysiek. Zuletzt sei das un­möglich gewesen, weil die Kämpfe so intensiv waren. Sämtliche humanitären Aktivitäten seien in Wartestellung. „Es ist“, sagt der IKRK-Sprecher, „einfach zu gefährlich.“Karim El-Gawhary