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Die WahrheitFreiheit für Joachim G.

Deutschlands bekanntester politischer Gefangener sitzt im Berliner Schloss Bellevue ein. Ihm droht lebenslängliche Haft.

Der im Amt gefangene Freiheitskämpfer Martin Luther Gauck Foto: dpa

Es ist kühl am Haupttor vom Schloss Bellevue. Zu kühl für diese Jahreszeit. Im Moment kommt nur der harte Kern der Aktivisten hierher zur Demo. „Freiheit für Gauck“ steht auf einem der Transparente. Dies sei keine Demo, stellt der Initiator Markus Wunziger klar, sondern eine Mahnwache. Deshalb werden auch keine Parolen skandiert, sondern es werde still protestiert.

„Schauen Sie“, sagt Wunziger und zeigt zum Schloss, „dort drinnen sitzt der unglücklichste Mensch in ganz Deutschland. Zu Unrecht eingesperrt. Ohne Anklage. Ohne Verhandlung.“

Ein Passant, der zufällig zugehört hat, mischt sich ein: Joachim Gauck habe sich doch freiwillig zum Bundespräsidenten wählen lassen, behauptet er. Markus Wunziger schüttelt seufzend den Kopf. „Wer weiß, mit welchen Mitteln man den armen Mann damals zur Kandidatur gezwungen hat – vor allem im Hinblick auf die anderen Kandidaten. Frau Klarsfeld von den Linken, Olaf Rose von der NPD. Und die hätten doch nie eine Frau zum Bundespräsidenten . . .“

Er lässt den Satz offen und schluckt. Ein anderer Teilnehmer mischt sich ein, er sieht dem Journalisten Ken Jebsen ähnlich. „Der sitzt doch aus politischen Gründen“, sagt er laut und hastig, er ist sichtlich empört. „Und dann dieser Aufwand, um einen einzelnen Mann gefangen zu halten. Das Wachpersonal, sogar eine eigene Küche soll es da drin geben. Das ist wie damals mit dem Heß in Spandau. Der wollte auch Freiheit, deshalb ist er ja auch nach England geflohen.“

Zur Kandidatur gezwungen

Eine äußerst gewagte These, aber nur eine von vielen Meinungen bei der Mahnwache. Joachim Gauck – ein Gefangener? Immerhin darf er auf Reisen gehen, er hält öffentliche Reden, an guten Tagen tauft er schon mal ein Kreuzfahrtschiff oder probiert Häppchen auf einer Süßwarenmesse.

Markus Wunziger kann über so viel Naivität nur den Kopf schütteln. „Sie glauben doch nicht, dass er seine Reden selber schreibt, dass er meint, was er sagt. Das schreiben doch andere für ihn. Die Handlanger des Großkapitals. Das kommt doch nicht von ihm. Ich kenne Herrn Gauck von früher, als er Pfarrer in Rostock war. Man muss doch nur mal zwischen den Zeilen lesen. Oder hören. Freiheit, immer wieder Freiheit, ruft er in seinen Reden aus. Der Mann will freigelassen werden.“

Einige haben Blumen zur Mahnwache mitgebracht, die sie am Tor zum Schloss Bellevue ablegen

Allmählich füllt sich der Platz vor dem Schloss, es sind Teilnehmer von der Bärgida-Demonstration dazugekommen. Einige haben Blumen mitgebracht, die sie am Tor ablegen. Andere halten ein Plakat mit der Aufschrift „Gauck 4 President“ hoch. Als es dämmert, werden die ersten Kerzen angezündet. „Das ist der deutsche Martin Luther“, sagt Markus Wunziger, „also King. Aber ihn einfach so abzuknallen, dazu haben die nicht die Traute. Wegsperren ist das Einzige, was denen einfällt. Aber der lässt sich nicht einsperren, genauso wie Mandela. Eines Tages wird er freikommen, und dann werden sie ihn zum Präsidenten machen.“

Der Einwand, dass er doch bereits Präsident sei, wird kurzerhand zur Seite gewischt. „Wissen Sie, nach der Wende, da hat man das Volk enteignet und aus dem Schloss Bellevue ein Hochsicherheitgefängnis gemacht“, unterbricht ein anderer Teilnehmer: „Die Mauer war gerade gefallen, und keinen Kilometer weiter haben sie dann das hier gebaut“, er deutet auf die etwa fünf Meter hohe Mauer rund um den Schlosspark. „Eine Mini-DDR.“

In einem der erleuchteten Fenster im zweiten Stock bewegt sich etwas. Man kann eine Silhouette erkennen, eine Gardine wackelt. „Da, da ist er“, schreit jemand. „Unsinn“, brummt Wunziger, „Gaucks Zelle ist zum Park raus, nicht zur Straße. Das war nur ein Wachmann.“

Ein paar Meter entfernt stehen drei Mann in teuren Anzügen. Man könnte sie für Mormonen halten, aber sie haben keine Rollkoffer dabei. Es sind die Reste der FDP. Als sie angesprochen werden, drehen sie sich erst verschämt weg, dann traut sich doch einer von ihnen, zu reden. Seinen Namen will er nicht nennen.

Damit konnte niemand rechnen

„Das haben wir nicht gewollt“, sagt er. „Eigentlich war es nur ein Scherz gewesen, dass wir ihn damals für das Amt vorgeschlagen hatten. Dann hat sich das Ganze irgendwie verselbständigt. Wir hätten ja im Leben nie damit gerechnet, dass sie einen Pfarrer wählen würden. Seine Vorgänger waren schließlich Richter, Bänker, NSDAP-Mitglieder . . .“ Er schüttelt, immer noch ungläubig über die Ereignisse von 2012 den Kopf.

Wie lange muss Joachim Gauck noch hier einsitzen? Es gibt Gerüchte, dass er gezwungen wird, für eine zweite Amtszeit zu kandidieren, das wären dann noch mal fünf Jahre. Bei guter Führung käme er mit 78 Jahren frei.

„Nein“, sagt Wunziger, „das wird lebenslänglich. Die CDU will das Gesetz ändern, dann wäre die Amtszeit des Bundespräsidenten nicht mehr auf zwei Amtsperioden beschränkt. Und dann schaffen sie einfach die Wiederwahl ganz ab. Dann bleibt er für immer im Amt.“

Einige der Mahnwachenteilnehmer weinen.

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2 Kommentare

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  • "Wasser predigen, aber Wein (selbst) trinken", so die ostdeutschen Brüder und Schwestern 1989/1990. So gegen die 'bösen' alten Antifaschisten und Kommunisten aus dem SED-Politbüro.

     

    Heute, bei monatlich +/- 18.000 Euro [gegebenenfalls noch plus 6.500 Euro mtl. für 'persönliches' Haushaltspersonal] und analogen Pensionsansprüchen [plus die mtl. Kosten zw. 15.000 - 30.000 Euro für Büro und Personal], da ist der historische Wendeslogan heute natürlich kein Thema mehr.

     

    Die ostdeutsche sozial- und gesellschaftspolitische Systemwende hat sich natürlich auch persönlich finanziell und sozial gelohnt! So selbstverständlich auch für die Erben von 'Freiheit', 'Demokratie' und ein 'Menschenrecht' auf Profit und Dividende!

  • Nein, nein Leute! Dem Gauck ging es immer nur um die Freiheit der Anderen. So wurde er im entscheidenden Moment - nämlich kurz vor dem Mauerfall - in der DDR noch zum Freiheitskämpfer. Nicht für sich, wohlgemerkt, denn er hatte sich beizeiten mit Stasi und SED ja bestens arrangiert und fühlte sich dort in seiner Vermittlerrolle zwischen Stasi und Kirche eigentlich pudelwohl. Völlig selbstlos schmiß er sich trotzdem im letzten Moment vor den Widerstandszug und überlebte auch dies wie ein Wunder.

    Zur Strafe musste er danach dann die gesammelten Stasi-Werke auf ihre Brauchbarkeit für das westliche Kapital, für das die DDR ja zunehmend zu einem gut erreichbaren und lohnenden Billiglohnland geworden war, abklopfen und bereinigen. Auch diese Bürde schulterte er jedoch mit äußerster Fassung und er trug gleichzeitig wesentlich zur Neuschreibung der DDR-Geschichte bei, indem er die neokoloniale Funktion dieses putzigen Staates im Herzen Europas nahezu rückstandsfrei aus der historischen Betrachtung ausklammerte. Als Bundespräsident blieben später seine Mahnungen, es mit dem afrikanischen Kontinent in vergleichbarer Weise zu tun, auch nicht ganz ungehört. Hier ging es erneut nicht um Freiheiten, die dieser bescheidene und demütige Präsident, mit dem schnoddrigen Selbstverständnis eines "gekrönten Hauptes" niemals für sich beanspruchen würde - nein, es ging allein um die Freiheit der Handelswege, für die unsere Streitkräfte durchaus auch schon mal den ein oder anderen Liter Blut vergießen dürfen können sollen. Aus heutiger Sicht kaum noch vorstellbar, dass dieser Mann einmal tatkräftig mithalf, die Freiheit von der Banane zu realisieren. Wo früheren Präsidenten noch ein "Hut ab" reichte, fordert Joachim Gauck heute zwischen den Zeilen mindestens ein "Kopf ab".