heute in Bremen
: „Halbhegemoniale Stellung“

EUROPA Deutschlands schwierige Rolle in der EU ist Thema eines Vortrags zur Europawoche

Hans Kundnani

:

43, ist Journalist und Experte für Internationale Politik. Sein Buch „German Power. Das Paradox der deutschen Stärke“ erschien 2014.

Herr Kundnani, was ist das „Paradox der deutschen Stärke“?

Die Deutschen sind mächtig und ohnmächtig zugleich. Seit Beginn der Eurokrise wurde von der deutschen Hegemonie geredet, manche nennen es auch „Hegemon wider Willen“.

Sehen Sie das auch so?

Nein. Meine These ist: Deutschland ist nicht nur unwillig, sondern auch unfähig, ein Hegemon zu werden.

Welche Parallelen ziehen Sie zwischen 1871 und heute?

Strukturelle. Deutschland wäre das letzte Land, das militärische Macht anwenden würde. Aber die Entwicklung nach der Wiedervereinigung ist ähnlich wie die nach der Einigung 1871: Die deutsche Frage, damals eine geopolitische, ist jetzt in geoökonomischer Form zurückgekehrt.

Was bedeutet das?

Deutschland hat wieder eine halbhegemoniale Stellung: Es ist die stärkste Macht in der EU und gleichzeitig ist es nicht mächtig genug, um europäische Probleme zu lösen, wie ein Hegemon das machen könnte. Gleichzeitig sind andere EU-Mitgliedsstaaten unter Druck, Koalitionen zu bilden, weil keiner sich allein gegen Deutschland behaupten kann. Eine Koalition könnte das schon. Daraus entsteht in Deutschland ein neuer ‚cauchemar des coalitions‘, wie ihn schon Bismarck hatte.

Sie sehen Deutschland und die EU in einer Art „Wirtschaftskrieg“?

Das könnte man sehr überspitzt so sagen.

Und Deutschlands Rolle in der Flüchtlingskrise?

Das ist eigentlich noch spannender, weil sich da die Dynamik zwischen Deutschland und der EU komplett umgekehrt hat. Während der Eurokrise haben die Länder an der Peripherie Solidarität eingefordert. Bei der Flüchtlingskrise war es Deutschland, das an die Solidarität der anderen Staaten appelliert hat.

Relativ erfolglos.

Genau. Und da sieht man die Bedeutung der Koalitionen: Die Slowakei zum Beispiel stand während der Eurokrise absolut an der Seite Deutschlands. Bei der Flüchtlingskrise wiederum gehörte sie auf einmal zu den Ländern, die am heftigsten Widerstand geleistet haben, obwohl sie von Deutschland und der EU stark abhängig sind.

Was folgern Sie daraus?

Deutschland kann nicht einmal Koalitionen schmieden. Die letzten sechs Jahre zeigen: Europa kann nicht aus Berlin regiert werden.

Interview: Karolina Meyer-Schilf

20 Uhr, EuropaPunktBremen