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Reaktionen auf Urteil in OsloWenig Verständnis bei Breiviks Opfern

Das Urteil über die unzumutbaren Haftbedingungen des Massenmörders löst ein geteiltes Echo aus. Noch ist es nicht rechtskräftig.

Auch ein Massenmörder wie Anders Behring Breivik hat Menschenrechte Foto: ap

Stockholm taz | Ein „verrücktes Urteil“ gegen das sofort Berufung eingelegt werden müsse, fordert die norwegische Boulevardzeitung VG. Dass die Bedingungen unter denen der Rechtsterrorist Anders Behring Breivik seine lebenslängliche Strafe verbüßt, teilweise gegen grundlegende Menschenrechte verstoßen, wie es ein Gericht in Oslo am Mittwoch entschieden hatte, löste in Norwegen eine kontroverse Debatte aus.

Gegen die Erwartung vieler juristischer Experten vertritt Amtsrichterin Helen Andenæssie die Auffassung, dass bei Breivik, auch wenn er ein „sehr gefährlicher Mann“ sei, „außerhalb jeden vernünftigen Zweifels“ feststehe, dass bei ihm die Schwelle zu „erniedrigender und unmenschlicher Behandlung überschritten“ worden sei.

Es geht dabei um die Ausgestaltung der Isolationshaft. Hier seien bei Breivik alle möglichen Kontroll- und Sicherheitsroutinen aufgehäuft worden, ohne nach Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit zu fragen, kritisiert auch Mads Andenæs, Professor an der Universität Oslo und Menschenrechtsexperte, der das Urteil „richtig, und überzeugend“ findet.

Er erwartet, dass die Hafterschwernisse und Breiviks Abschottung von der Außenwelt auf das absolut notwendige Maß beschränkt werden. Die Gefängnisbehörde hat erklärt, dass sie erst reagieren werde, wenn das Urteil rechtskräftig ist.

PR-Show Breiviks

Überwiegend kritisch sind die Reaktionen bei Angehörigen von Breiviks Opfern. Enttäuschend sei das Urteil, meint Lisbeth Røyneland, deren 18-jährige Tochter der Rechtsterrorist auf Utøya erschoss: „Ich hatte erwartet, dass der Staat gewinnt.“ Das wichtigste sei für sie aber, dass Breivik nie mehr freikommen werde und seine Botschaften zu verbreiten.

„Für mich ist es natürlich schwer objektiv zu sein“, sagt Ylva Helene Schwenke, die als 14-jährige von Breivik viermal angeschossen wurde. „Ich finde, er hat die jetzige Behandlung verdient“. Viljar Hanssen, ein anderes schwerverletztes Utøya-Opfer: „Mir ist körperlich übel geworden, als ich das hörte.“ Zu allem Überfluss müsse der Staat nun auch noch für die PR-Show Breiviks bezahlen.

Und wie reagieren die Insassen in der Haftanstalt von Skien auf die Aussicht, in Zukunft womöglich häufiger Kontakt mit dem für sie bislang unsichtbaren Mitgefangenen zu haben? „Der ist für uns kein Thema“, erklärt ein Häftling gegenüber dem Rundfunk NRK und fügt hinzu: „Es wird nicht viele geben, die etwas mit ihm zu tun haben wollen.“

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7 Kommentare

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  • Breivik hat schon mal mit Hungerstreik gedroht. Ich würde mich freuen, wenn er diese Drohung war macht und zwar bis zum Schluss. Gegen das Urteil habe ich nichts einzuwenden, wobei wohl außer den irren Neonazi niemand Kontakt mit ihm haben will und da wird die Isolation von ganz alleine funktionieren. Außerdem werden viele Häftlinge ihm Abneigung zeigen, wenn sie denn dürfen, also wenn das Urteil bestand haben wird. Davon könnte man sogar ausgehen, aber massive Beschränkungen werden auch bleiben. Breivik hat null dazugelernt, er ist mit Sicherheit der gefährlichste Häftling in Europa.

  • Auch ein Breivik muß nach den geltenden Regeln behandelt werden. Er sitzt im Knast und das ist gut so. Aber es darf nicht aus Rachegelüsten Recht gebeugt werden.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Das stimmt ohne Zweifel.

       

      Es wäre aber sicherlich für die Opfer und Hinterbliebenen eher zu akzeptieren, wenn sich ein Rechtsstaat auch in adäquater Weise um sie kümmern würde. Davon sind wir aber in allen "aufgeklärten" Demokratien meilenweit entfernt.

      • @Urmel:

        Sofern der Rechtsstaat mit adäquaten Regelungen ausgestattet ist, ja.

  • Das eben unterscheidet eine "Boulevardzeitung" von einer Fachzeitschrift für Philosophen oder Juristen, dass sie an das sogenannte Volksempfinden appelliert, nicht an die Vernunft oder auch nur den Verstand.

     

    Im Volk, so die Überzeugung der Boulevardzeitungsmacher, verhält sich der Verstand umgekehrt proportional zum Gefühl. Je mehr das Volk sich für seine Dummheit schämt, desto stolzer ist es darauf, dass es (mit-)fühlen kann. Wer es also weder mit der Rechtslage noch mit philosophisch-moralischen Erwägungen behelligt und ihm statt dessen sagt, dass seine Rachefantasien gut und verständlich sind, auch wenn es gar nicht selber Opfer oder Opfer-Angehöriger ist, der wird dafür bezahlt. Man kauft ihm sein verqueres Lob nur all zu gerne ab.

     

    So denkt der Boulevard. Und wie denkt seine Kundschaft? Die haut "ihrem" Boulevard dessen dumme Vorurteile nicht etwa schallend um die Ohren. Nein, sie liebt ihn heiß und inniglich dafür und hängt an seinen Lippen bzw. seinen Buchstaben. Schließlich: Wer dämlich ist und es auch bleiben will, läuft nicht Gefahr, etwas vernünftiges tun zu müssen. Dbddhkpuakm haben wir als Kinder abgezählt.

  • In einem Rechtsstaat hat Rachejustiz einfach keinen Platz. Bei 5 Jahren Isolationshaft kann man durchaus von Folter sprechen und gerade Folter passt nicht zu einem Rechtsstaat. Die Opfer und Angehörigen werden Breivik überwiegend die Hölle wünschen und das wird jedermann auch sehr gut nachvollziehen können. Für die Justiz müssen aber andere Maßstäbe gelten - ausnahmslos.

    • @Rainer B.:

      Richtig. Justizias Gewand ist bereits durch die systembedingte Bevorzugung derer, die sich gute Anwälte und einen endlosen Marsch durch alle Instanzen bis zum Sieg finanziell leisten können, in Mitleidenschaft gezogen worden und macht einen doch etwas fadenscheinigen Eindruck. Die Waage hat auch was abgekriegt, der Zeiger scheint verbogen.