: Der Preis ist netzbasiert heiß
Vinyl Renaissance der DJ-Kultur: Das Comeback der Schallplatte, die heute am Samstag auch beim Record Store Day gefeiert wird, sorgt für eine Welle von frischen Dance-Plattenläden – mit einem neuen Bezahlmodell
von Andreas Hartmann
Es sieht aus, als ob ein paar DJs ihre alten Plattensammlungen auf einen Haufen geworfen hätten, um dann den ganzen Kram notdürftig in ein paar Regalen zu verstauen. Gekonnt lieblos ist der Laden eingerichtet, so dass man dessen Besucher förmlich hört, wie sie ausrufen: „Oh, that’s so Berlin.“ Eine Ordnung ist nur schwer auszumachen, wer hier was finden will, muss schon Zeit mitbringen.
Willkommen also im Record Loft in der Adalbertstraße, direkt am Kottbusser Tor, dem Plattenladen, der seit seiner Eröffnung vor gut zwei Jahren für einigen Wirbel gesorgt hat. Nicht bloß, weil er sich schnell zum Hipstertreffpunkt entwickelte und erst vor ein paar Tagen Kerri Chandler im Laden aufgelegt hat, eine amerikanische Deep-House-Legende. Sondern weil er ein völlig neues Verkaufskonzept eingeführt hat, das, so erzählt man sich, inzwischen sogar von Plattenläden in San Francisco kopiert wird.
Preise für die Platten, so gut wie ausschließlich Secondhand-Ware, sind hier nicht mehr fest fixiert, sondern werden live vor Ort erstellt. Und zwar auf Grundlage der Onlinedatenbank Discogs. Mit Hilfe bestimmter Parameter lässt sich damit der Wert einer Platte unter Berücksichtigung ihres jeweiligen Zustands relativ einfach ermitteln.
Discogs ist seit Jahren Hauptreferenz, wenn man wissen will, ob man schwarzes Gold oder doch nur billige Massenware in der Hand hält. Wer sich schon immer gefragt hat, warum eigentlich die Erstpressung einer Platte von Joy Division beim Plattenhändler seines Vertrauens so teuer ist, kann sich sicher sein: Discogs ist schuld.
Algorithmen sind also heute ursächlich für die Preise alter Vinyls und nicht mehr das Spezialwissen eines knorrigen Plattendealers, der vor dem Internetzeitalter bei der Auspreisung auch mal daneben liegen konnte bei einem Album, das er vorher nie in der Hand hatte. Mit seiner Preispolitik scheint das Record Loft nun wie eine Art Filiale der Onlinedatenbank. Die Rückkehr des analogen Mediums Vinyl, von dem seit einer Weile so viel geredet wird, ist untrennbar an die Digitalisierung gebunden.
Man schleppt dann also eine beim Wühlen in den Plattenkisten gefundene Compilation des Technoprojekts Planetary Assault Systems an den Counter, der Verkäufer blickt kurz in den Rechner, dann auf den Zustand des Vinyls und nennt den Preis, basierend auf den aktuellsten Kurswerten: 10 Euro. Besonders am Record Loft ist aber auch, dass es ein Laden ist, der sich auf elektronische Musik spezialisiert hat. DJs waren es jahrelang, die noch auf Vinyl setzten, als das Medium so gut wie tot war. Als die DJs dann doch nach und nach zum digitalen Auflegen wechselten, starben damit auch die zig DJ-Plattenläden in Berlin weg, mit Ausnahme des weltberühmten Hard Wax in Kreuzberg natürlich. Mit dem Record Loft wurde die Renaissance der Dance-Plattenläden eingeläutet.
Black.Round.Twelve und Music Heaven in Friedrichshain, Sound Metaphors und Bikini Waxx in Kreuzberg etwa sind allesamt im letzten halben Jahr an den Start gegangen, und alle sind sie vornehmlich für elektronische Tanzmusik zuständig. „Und ich weiß von gleich zwei Leuten mit konkreten Plänen, ebenfalls einen Dance-Plattenladen in Kreuzberg zu eröffnen“, sagt Yannik Zander von Bikini Waxx. Auch in seinem Hinterhofladen in der Manteuffelstraße gilt: Keine Preise, Discogs wird ermitteln.
Heute ist der dritte Samstag im April, und damit wieder mal der Record Store Day (RSD). Seit 2007 gibt es diesen Feiertag der unabhängigen Plattenläden. Begründet wurde er in den USA, mittlerweile gilt er als weltweit größtes Musikevent.
Um die Menschen auch vom Computer weg in die Schallplattenläden zu locken, gibt es exklusive Veröffentlichungen, die – meist streng limitiert – nur an diesem Tag in den am RSD teilnehmenden Geschäften zu haben sind. Auch in Berlin: Eine Liste der Plattenläden und weitere Info finden sich im Netz unter www.recordstoredaygermany.de.
Yannik Zander glaubt, das Comeback der Dance-Plattenläden gehe einher mit der Rückbesinnung auf Vinyl, die er in den Berliner Clubs beobachtet. Vinylkultur heute bedeutet demnach nicht nur, dass wieder mehr Schallplatten von Led Zeppelin und Pink Floyd nachgefragt werden, sondern auch DJs zurück zu den Plattenspielern finden. Oder sich wenigstens noch mal die Platten ins Regal stellen wollen, mit denen sie einst musikalisch sozialisiert wurden. Was dem einen „Sgt. Pepper“ von den Beatles, ist dem anderen eben eine alte Maxi von DJ Slugo. Auch Letztere hat inzwischen ihren Wert. Zander schaut kurz bei Discogs nach: immerhin 25 Euro.
Darum, sich als integralen Bestandteil der Technoszene zu verstehen, wie das früher der Fall war, gehe es einigen der neuen Plattenläden jedoch nicht, glaubt Martin Rieser von Audio In in Friedrichshain. Er verkauft schon seit zehn Jahren gebrauchtes DJ-Vinyl und war lange der Einzige in Berlin, der das so konsequent durchzog. Er glaubt, vor allem die explodierenden Preise für alte Techno- und House-Platten bringe viele dazu, einfach auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Ob die Läden noch bestehen werden, wenn der Vinylhype wieder abflauen sollte, da ist er skeptisch.
„Reich wird man damit nicht“, sagt René Murawski von Music Heaven, und dass es natürlich sein könne, „dass die ganze Sache irgendwann nicht mehr trägt“. Er fügt allerdings hinzu: „Doch dafür gibt es gerade keine Anzeichen.“
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