piwik no script img

Kitas als GentrifizierungsopferKleine Verlierer im Mietpreispoker

Kitas haben es in Berlins begehrten Innenstadtkiezen schwer, Räume zu finden. Doch ohne kleine Träger ist der Platzausbau nicht zu schaffen.

Verdrängung betrifft auch die Kleinsten. Foto: DPA

Ein Fall pro Jahr, vielleicht auch mal zwei – „kein Problem“, hätte Roland Kern, Vorstand des Dachverbands der Kinder- und Schülerläden in Berlin, noch bis vor zwei Jahren gesagt. Inzwischen hat Kern eine Mitarbeiterin, die sich vor allem mit „dem Problem“ beschäftigt: Kinderläden, deren Mietverträge auslaufen – und für die es in begehrten Innenstadtkiezen inzwischen beinahe aussichtslos ist, neue Räume zu finden. „In den letzten zwei Jahren hatten wir plötzlich 35 Kitas, die sich deswegen bei uns gemeldet haben“, sagt Kern. „Das ist schon ein massiver Anstieg.“ Besonders in Kreuzberg und Neukölln sei die Lage schwierig geworden, auch aus Teilen von Mitte – aus Moabit und Wedding – kämen Klagen von heimatlos gewordenen Kitabetreibern.

Bis zu fünf Euro Zuschuss pro Quadratmeter zur Nettokaltmiete kann ein Kitaträger vom Land bekommen. Damit können sie beim Mietpreispoker in den nachgefragten Kiezlagen nicht viel bestellen: Die durchschnittliche Gewerbemiete lag laut der Berliner Industrie- und Handelkammer zuletzt bei rund 13 Euro pro Quadratmeter – mit Spitzen von bis zu 22 Euro in begehrten Lagen, die Nachfrage konzentriere sich dabei insbesondere auf Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte.

Eine „begehrte Lage“ ist auch die Donaustraße im Neuköllner Reuterkiez. Die Kita Ackerwinde hat hier in zwei Erdgeschosswohnungen seit 2008 Räume für rund 30 Kinder zwischen ein und drei Jahren. Im September 2015 wurde der Mietvertrag nicht verlängert – das Haus war an einen Immobilieninvestor verkauft worden, und der habe deutlich gesagt, „dass er an einer Kita kein Interesse hat“, sagt Ackerwinde-Vorstand Elke Friemer.

Anfragen, wie man die beiden Erdgeschosswohnungen nun zukünftig nutzen will, lässt die Immobilienfirma unbeantwortet. Auf ihrer Homepage wirbt sie mit möblierten „Luxusapartments“, die man auch tageweise mieten kann – die Firma ist Mitglied beim Ferienwohnungsportal Airbnb. Auch die Donaustraße 10 ist im Angebot, wenn auch noch nicht als Wohnung, sondern als Investment-„Projekt“ in „trendy Kreuzkölln“.

Die trendy Kiezlage macht es der kleinen Elterninitiativkita nun schwer. „Wir brauchen 200 Quadratmeter für die beiden Kindergruppen, aber da ist der Markt quasi leergefegt“, sagt Michael Hörz, der einen Sohn in der Kita hat. Schließlich haben die Eltern zumindest 100 Quadratmeter in der nahen Flughafenstraße gefunden, dahin ziehen nun in den nächsten Tagen die 18 Krippenkinder. Für die älteren Kinder gibt es einen Fristaufschub: Eigentlich hätte die gesamte Kita bis zum 31. März raus sein müssen, nun ist noch Zeit bis zum Jahresende. Als Medien über den Fall berichteten, habe man mit der Immobilienfirma den Teilumzug aushandeln können, sagt Vater Hörz.

Dringend benötigter Kitaplatzausbau

Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) müssen Fälle wie die Kita Ackerwinde alarmieren. Denn es sind zu einem großen Teil die kleinen Träger, die den dringend benötigten Kitaplatzausbau in den letzten Jahren gestemmt haben. Mehr als ein Drittel aller neu geschaffenen Plätze wurde zwischen 2012 und 2015 im Rahmen der sogenannten Starthilfe gefördert: ein Senatsprogramm, dass vor allem als Anschubfinanzierung für kleine Kitas mit bis zu 30 Kindern gedacht ist. Die Antragszahlen für diese Förderung seien „rückläufig“, beobachtet man auch in der Senatsverwaltung für Bildung.

Eine wirkliche Antwort auf die Verdrängungsproblematik hat die Bildungsverwaltung indes nicht: Kitas, denen ein Mietvertragsende droht, unterstütze man „in erster Linie durch möglichst rasche Verfahrensabläufe“, etwa bei der Betriebserlaubnis für die neuen Räume, sagt ein Sprecher von Senatorin Scheeres.

Grüne und Linke fordern eine Art Milieuschutzfür kleine Kitas

Genau die finden die Kitaträger aber nicht mehr – und zwar auch deshalb, weil einige Bezirke mittlerweile auf vollkommen überbelegte Freiflächen verweisen. Denn die kleinen Kinderläden in den Erdgeschosswohnungen haben häufig keinen eigenen Garten und nutzen deshalb die Spielplätze in der Umgebung. „Da teilen sich inzwischen bis zu fünf Kitas ein Stück Grün“, sagt Monika Herrmann, Bezirksbürgermeisterin und Jugendstadträtin von Friedrichshain-Kreuzberg. Die Kitaaufsicht der Senatsbildungsverwaltung argumentiere da im Sinne des Bezirks, sagt Herrmann: „Wenn keine Freifläche da ist, kann es auch keine Betriebserlaubnis geben.“

Das Problem der auslaufenden Mietverträge für Kleinstkitas sehe man vor allem im Graefe- und im Wrangelkiez, sagt Herrmann und spricht von „Hunderten“ Kitaplätzen, die man dort in den letzten Jahren verloren habe. Da müsse nun „endlich staatliche Regulierung rein“. Was der grünen Bezirksbürgermeisterin vom Senatfordert: „Eine Erhöhung des Mietkostenzuschusses für die Kitas, einen besonderen Kündigungsschutz und eine Deckelung der Miete für soziale Infrastruktur wie Kinderläden“, zählt Herrmann auf. Für einen solchen „Milieuschutz“ hatte sich zuletzt auch die Linke eingesetzt.

Bei der Dachorganisation der Kinder- und Schülerläden steht man der Sache allerdings skeptisch gegenüber. „Vermieter überlegen dann vielleicht zweimal, ob sie sich eine Kita ins Haus holen, die sie dann schwer wieder loswerden“, sagt Vorstand Kern. Die Suche nach Räumlichkeiten könnte also noch schwerer werden. Auch bei einem Mietkostenzuschuss wolle man lediglich maximal eine Erhöhung bis auf die durchschnittliche Gewerbemiete. „Sonst treibt man die Mietpreise ja nur weiter in die Höhe und spielt das Spiel der Investoren mit.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Die gehobene Mittelschicht möchte in diesen Bezirken mit einem hohen Anteil an Migranten ihre Sprösslinge in wohlbehüteten Kinderläden aufwachsen sehen. Die öffentlichen Kitas sind Ihnen nicht "gut" genug, zuviele Migrantenkinder. Multikulti ist für diese Klientel eine feine Angelegenheit solange es nicht die eigene Lebenswelt zu sehr tangiert. Das Prekariat hat vermutlich nicht die zeitlichen und monetären Ressourcen ihre Kinder in diesen Kinderläden betreuen zu lassen. Fazit: Mann/Frau bleibt unter sich. Ich vermute das ein Grossteil dieser Elternschaft aufgrund ihres Einkommens mit dafür gesorgt haben das die sogenannten "Altmieter" und sozial Schwachen längst den Kiez verlassen haben und "wohlbetuchte" in die sanierten Wohnungen eingezogen sind.

     

    "Für einen solchen „Milieuschutz“ hatte sich zuletzt auch die Linke eingesetzt." Dieses Milieu ist wirklich schützenswert.

     

    Jens

    • @Jens Mueller:

      Vorurteile wollen gepflegt werden, auch solche über die "gehobene Mittelschicht" in der Gegend. Die ist da nicht wirklich unterwegs, wenn dann vielleicht an so absurden Orten wie dem Carloft in der Reichenberger Straße. Und die gehobenen Leute schicken ihre Kinder auf ganz andere Einrichtungen als diese eher kiezigen Kinderläden.

       

      Für Eltern ist es in den Bezirken wie Kreuzberg, Friedrichshain oder Neukölln sehr schwierig, überhaupt einen Kitaplatz zu bekommen. Sie freuen sich, irgendeinen Platz bekommen zu haben. Daher zeigt dein Kommentar vor allem, dass du von dem Thema wenig Ahnung hast. Aber in mühevoller Kleinarbeit gepflegte Vorurteile.

       

      Die Kinderläden sind ganz normale Einrichtungen, für die du einen Kitagutschein bekommst, und ohne die die Bezirke niemals auf die nötige Zahl von Kitaplätzen kommen würden. Bzw. durch die Kinderläden ist die Zahl der fehlenden Plätze nicht ganz so hoch.

      • @Marc Brandenburg:

        Kitagutscheine gibt es für alle Einrichtungen die Kinder betreuen unabhängig davon ob "exlusive" oder "szene" Kita. Es bedarf insofern keinen Szenekiez-Kindergarten um diesen Gutschein zu bekommen.

         

        Diese "kiezigen Kinderläden" zeichnen sich eher dadurch aus das die Eltern einen nicht "geringen" finanziellen Zusatzbeitrag leisten müssen oder um diese Beiträge möglichst gering zu halten mit "Zeit" zu kompensieren ( z.B. Betreuung, Einkaufen, Kochen, Putzen, Reparaturen, Gartenarbeit usw.)

        So etwas muss Mann/Frau sich erst einmal "leisten" können zeitlich und/oder monetär. Die städtischen Kitas erheben keine zusätzlichen Kosten und sind nicht auf ständige Mitarbeit der Eltern angewiesen.

         

        Das Prekariat kann sich weder das Eine noch das Andere leisten und muss die Kinder nach einer gewissen Wartezeit in der öffentlichen Kita unterbringen. In der Zwischenzeit ist die/der Alleinerziehende "zwangsweise" auf Hilfe vom Staat angewiesen.

         

        Die Öffnungszeiten der kleineren "kiezigen Kinderläden" sind mit ihren zum Teil eng begrenzten Öffnungszeiten 08:00 - 16.00 im Vergleich zu den städtischen Kitas 06:00 -17 30/18:00 nicht sehr "arbeitnehmerfreundlich" für Personen die "etwas" früher mit der Arbeit anfangen dürfen.

         

        Das Milieu bleibt unter sich ! Die vernünftigste Lösung ist es sich für den Ausbau der städtischen Kitas einzusetzen.