Westberlin, West-Berlin, Restberlin: Siegreich untergegangen und als Mohnkuchen wieder auferstanden: Hinter dem Tresen von Westberlin
VON ULRICH GUTMAIR
West Berlin was a political enclave within East Germany that existed between 1949 and 1990“, lesen die Besucher des Checkpoint Charlie auf den Bildschirmen ihrer Telefone. Sie schlendern nach Süden und stehen unverhofft vor dem Westberlin, einem so schlicht wie geschmackvoll eingerichteten Etablissement, das „coffeebar & mediashop“ zugleich ist. Es gibt gut schmeckenden Mohnkuchen und gut aussehende Zeitschriften. „Subkultur Westberlin“ von Wolfgang Müller wird hier schon drei Tage nach Erscheinen zum Verkauf angeboten, was auch eine gute Sache ist.
Als es Westberlin noch gab, wurde es auf der bunten Seite der Mauer Berlin (West) genannt, was zum Ausdruck bringen sollte, dass ganz Berlin dem Viermächtestatus unterlag, und den Anspruch der DDR zurückwies, Berlin sei ihre Hauptstadt. Die Genossen aus dem Osten und ihre fünfte Kolonne in den Westsektoren – außen grün, innen rot – waren es, die das von der Mauer eingezäunte Restberlin, diesen Zombie voller heruntergekommener wilhelminischer Altbauten und hässlicher Mietshäuser aus den Fünfzigern, despektierlich Westberlin nannten – was aber irgendwie passte und durchaus modern klang.
Westberlin war ein unattraktiver Ort, bis auf ein paar skurrile Bars und besetzte Häuser. Und den Umstand, dass es keine Sperrstunde gab. Es ist eine naheliegende Idee, ein Café am Checkpoint Charlie Westberlin zu nennen. Zeigt aber auch, wie relativ Geschichte ist – wenn aus einem Ort wie Westberlin mittels schöner Fotos, die im Westberlin an der Hinterwand strahlen, die Chiffre für eine verschüttete Quelle der Hipness wird.
Westberlin ist 1989 untergegangen, was nicht alle Westberliner gleich gemerkt haben. Die antikommunistischen Kleinbürger aus Lankwitz, Lichterfelde und Lichtenrade meinten, jetzt hätten sie gewonnen. Bis der Polenmarkt am Gleisdreieck zum Symbol der Globalisierung wurde und man bei Aldi nicht mehr reinkam. Die zugezogenen Müsliesser in Kreuzberg und Neukölln, die man in Lankwitz, Lichterfelde und Lichtenrade als Verbrecher titulierte, waren schneller. Die netten Leute aus meiner WG befanden im Winter 1989/90, dass ihnen das neue Berlin zu zugig sei. Und beschlossen, ins heimatliche Tübingen zurückzukehren. Iggy Pop und David Bowie waren da schon lange weg.
Hinter dem Tresen vom Westberlin steht der Soundtrack von „Christiane F“. Kürzlich ist mir aufgefallen, dass die erste Platte von Falco so klingt wie die Alben von Bowie aus dessen westberliner Zeit. Und wurde in Westberlin nicht die Flatrate erfunden? Hier konnte man für zwanzig Pfennig innerhalb der Stadt telefonieren, solange man wollte.
Das Westberlin ist ein ruhiger Ort, an dem man gut über derlei nachdenken kann, was für sich genommen schon sehr westberlinerisch ist. Trotzdem scheint mir, dass die Deutsche Küche am Checkpoint Charlie, zwei Häuser weiter, noch westberlinerischer ist. Außen hängt ein Laufband, auf dem German Food annonciert wird: Kartoffelsalat und Wiener, Fanta und Sprite. Drinnen sieht es aus wie in einer Autobahnraststätte. Die Remoulade zum Matjes ist selbst gemacht und überhaupt nicht fett.
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