Polarkunst in Norddeutschland: Auftauende Bedeutungsebenen
Mehrfach hat die Fotografin Nathalie Grenzhaeuser die Arktis bereist. In Delmenhorst und, demnächst, in Bremerhaven zeigt sie großformatige Arbeiten.
Ein unberührter Sehnsuchtsort? Ein von Mythen umschwirrtes Faszinosum, aufwartend mit dem Abglanz der Zeitlosigkeit: nachtlosem Sommersonnenlicht? So in etwa werben Kreuzfahrtanbieter für ihre Arktisreisen. So wird der norwegische Außenposten auch in Reiseführern präsentiert, während Literaten eher vom „Schrecken des Eises und der Finsternis“ (Christoph Ransmayr) berichten. All das, zwischen Buchdeckeln verpackt, ist in Delmenhorst nun auch zu sehen, auf einer Fensterbank der Galerie. Es sind die Vor-Bilder, mit denen Grenzhaeuser seit 2005 mehrmals die Region zwischen Nordkap und -pol bereiste, ausgerüstet mit Mittelformatkamera und Weitwinkelobjektiv.
Anfangs ertappte sie sich dabei, solch klischiertes Erhabenheitspathos nachzubilden, und suchte nach Entsprechungen der historischen Aufnahmen der Arktisabenteurer. Von denen wird nun auch eine Sammlung gezeigt, in einem Wandregal und ein wenig wahllos wirkend. Wie Gebetsteppiche davor platziert: Rentierfelle. Und daneben Grenzhaeusers Impressionen – wie ihr die noch lebendigen Rentiere in die Kamera glotzen.
Die Ausstellung „The Artic Series Part I“ zeigt an sanft gebläuten Wänden eisig gebläute Fotos, zumeist menschenleer: Nichts ist zu sehen vom Leben der Touristen, Robbenjäger, Grubenarbeiter, Meeresbiologen oder Meteorologen. Obwohl die Künstlerin in Forschungsstationen, Bergwerken oder bei Wanderungen durch die polaren Landschaften auf sie getroffen sein dürfte. Sie zeigt lieber das frostig Abweisende der Natur und rückt die Hinterlassenschaften der mal wissenschaftlichen, mal imperialen Erschließung des Polarkreises in den Fokus. Manchmal erscheint Spitzbergen wie die Kulisse eines James-Bond-Films: Hier könnten die Bösewichter ihre Kommandozentrale zur Welteroberung/-zerstörung errichten.
Auf ihrer jüngsten Expedition verweigerte sich Grenzhaeuser dem eher Journalistischen, Dokumentierenden, um exemplarische Motive zu Bildikonen zu gestalten. Und es so den Landschaftsmalern gleichzutun: Ein Caspar David Friedrich kopierte ja Rügens Kreidefelsen auch nicht präzise auf die Leinwand, sondern idealisierte sie so, dass der Betrachter mit romantischen Empfindungen reagiert. Grenzhaeusers „Konstruktion der stillen Welt“ will eine eher meditative Stimmung beschwören. Dazu manipuliert sie ihre Fotos – verrät das aber nur im Kleingedruckten eines Katalogs. Nur in sehr kontraststarken Bereichen und bestenfalls auf dem dritten, vierten Blick zeigt sich, dass digital ins analoge Ausgangsmaterial eingegriffen wurde. Objekte wurden eliminiert, andere reincollagiert, auch bei der Farbgebung wurde nachgeholfen. Das wirkt schon mal höchst irrealisierend: „Der Schmale Grat“ etwa zeigt eine mit dem Lineal gezogene Horizontlinie, darunter tobt das dramatisch verfinsterte Meer, darauf klebt silhouettenhaft ein Gebirge, überformt von graublau drohendem, metaphysisch aufgerissenen Himmel.
Aber die Dramatisierung wirkt eher ent- als verzaubernd. Zu sehen ist: In Sachen Realismus stimmt hier was nicht, zu erkennen ist aber nicht, wie das Simulationsspiel funktioniert – oder worauf es hinaus will. Denn wer noch nie in der Hauptstadt Spitzbergens, Longyearbyen, dem internationalen Forscherzentrum in Ny-Ålesund oder bei den Förderanlagen in Svea war, dem sind die Bedeutungsebenen zwischen Wirklichkeit und Fantasie unentwirrbar verwoben.
Da helfen auch die Videoarbeiten nicht, schlicht gefilmt, schlicht aneinandergereiht und in einer schlichten Black Box präsentiert: Hütte im Schnee, Rentier mit Schnee, Vollmond über’m Schnee, Teleskop vor Schneeberg ... Von einem Sitzkissen in Eisberg-Anmutung aus ist zu erleben, was Grenzhaeuser mit wackeliger Kamera eingefangen hat wie beim ersten Betreten eines fremden Planeten – von der Tonspur tönt dazu eine Kakophonie aus hochfrequentem Knarzen, Zischen, Knistern, Knacken.
Dass mit dieser Ausstellung nicht jeder schnell warm wird, liegt unter anderem wohl am eisigen Wind, der akustisch durch die Galerie weht. Mehr aber an der nur kunstwilligen Gestaltungskraft: einer Überästhetisierung, mit der Grenzhaeuser die winterlichen Schnee- und sommerlichen Geröllwüsten neu erfindet, aber nicht über sie hinausweist. Allerdings ist bisher auch nur die Hälfte des Konzepts zu erleben: Auf die Delmenhorster Ausstellung folgt Teil II in Bremerhaven.
„The Arctic Series. Part I“: bis 28.3., Städtische Galerie Delmenhorst; „Part II“: ab 17.4., Kunsthalle Bremerhaven
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