: Der Campus-Bouquinist
Stephan Balko verkauft Bücher auf dem Campus der Hamburger Universität. Aber nur solche, die er mag. Besonders gut läuft das Geschäft trotz treuer Stammkundschaft allerdings nicht
Von Kristina Allgöwer
Zwischen Staatsbibliothek und Mensa ist Stephan Balko von guten Freunden umgeben. Sie liegen ausgebreitet vor ihm auf zwei Holztischen: Bücher von Charles Bukowski und Henry Miller. Daneben Werke von Autoren, die die beiden beeinflusst haben oder von ihnen beeinflusst wurden: Hemingway, Houellebecq, Hennig von Lange. Stephan Balko ist Buchverkäufer auf dem Campus der Universität Hamburg. Er verkauft nur Bücher, die er mag.
Manchmal fällt es Stephan Balko schwer, sich von seinen Schätzen zu trennen. „Im Laden ordert man verkaufte Bücher einfach wieder nach“, erzählt der 36-Jährige. „Ich brauche vielleicht zehn Jahre, bis ich ein seltenes Buch mal wieder auf dem Flohmarkt finde.“ Möglicherweise mit ein Grund dafür, dass der Bücherberg bei Balko zu Hause weitaus schneller wächst als sein Kontostand.
Bis vor fünf Jahren hat Stephan Balko Literatur studiert, „im Turm da hinten“, von seinem Bücherstand aus kann er ihn sehen. Auf Scheine hat er dabei nicht geachtet. Als er dachte, er wisse jetzt genug, hat er mit dem Studieren aufgehört. Bücher, die er nicht mehr braucht – und solche, die er auf Flohmärkten, bei Internet-Auktionen und in Antiquariaten zusammengesammelt hat –, verkauft er nun bei gutem Wetter auf dem Campus.
Hauptberuflich arbeitet Balko als Steward im Nachtzug. „Ein großartiger Job“, findet er. Lustige Leute lerne er dort kennen. Das sei ähnlich wie auf dem Campus, wo Professoren neben Obdachlosen in der Mensa säßen. Und das wiederum erinnere ihn an seinen Lieblingsautoren Charles Bukowski, den Erfinder der „Pennerliteratur“. Mit dem Nachtzug ist Balko viermal im Monat in Paris. Dann stöbert er regelmäßig bei seinen französischen Buchhändler-Kollegen: die Bouquinisten an der Seine. Dort einmal zu arbeiten, ist Stephan Balkos heimlicher Traum.
Mit den Kunden an seinem Bücherstand ist der Bouquinist vom Campus sehr nachsichtig: Er bleibt geduldig, wenn ein Kunde in einem 45-minütigen Spontanvortrag erklärt, warum Goethe ein „blasiertes Arschloch“ war. Und es stört ihn auch nicht, wenn jemand eine halbe Stunde in einem seiner Bücher liest, dann nach dem Preis fragt, und das Buch für zwei Euro dann doch nicht kaufen will. Bei den Preisen ist Stephan Balko flexibel. Von den rund 20 Büchern, die er am Tag verkauft, kann er ohnehin nicht leben. Und so verschenkt er auch ab und zu mal ein Buch an einen Obdachlosen.
Manchmal bekommt auch Stephan Balko etwas geschenkt. „Das brauche ich nicht mehr“, sagt Wilfried M. und legt eine Ausgabe von Flauberts „Madame Bovary“ zwischen Miller und Bukowski. Der Rentner studiert seit kurzem Islamwissenschaften. Immer wenn er auf dem Campus ist, stöbert er bei seinem „liebsten Verkäufer“ nach französischen Originalausgaben von Werken, die er in seiner Jugend auf deutsch gelesen hat. Und manchmal bringt er dem Händler auch Bücher, wenn die Schränke zu voll werden.
Stephan Balko nimmt sich für jeden Kunden Zeit. Auch Jahre später weiß er noch genau, wer welches Buch gekauft hat. Das schätzt auch sein Stammkunde, der Fotograf Daniel Neculai: „Wenn Stephan mir etwas empfiehlt, weiß ich, dass es mir gefällt.“ Zuletzt hat er die Tagebücher der Autorin Anaïs Nin bei Balko gekauft, einer Freundin von Henry Miller. „Das zu lesen war so, als sei ich mir selbst begegnet“, sagt Neculai.
Gut läuft das Geschäft für Stephan Balko trotz seiner treuen Anhänger nicht. Drei Buchverkäufer gibt es noch auf dem Campus. Früher waren es viel mehr: Einige haben in den letzten Jahren aufgegeben. Balko will weitermachen. Und wenn er doch einmal aufhören muss, könnte er mit dem Bücherberg in seinem Keller eine Bibliothek eröffnen. Oder einen Bouquinisten-Stand an der Seine.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen