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Fußball wie noch nie

ROMANZE Die Doku "Ferne Liebe" porträtiert Fans im Berliner Exil

Alte Liebe Foto: Authentic Fiction

In Berlin heimisch zu werden ist eigentlich leicht – besteht die Stadt doch ohnehin aus lauter Zugereisten und Heimatlosen. Eine Heimat als Fußballfan in der Hauptstadt zu finden ist schon eher eine Herausforderung, denn die Fanidentität leidet bei vielen, sobald sie nach Berlin ziehen. Ob sie nun Düsseldorf-, 60-München oder Bielefeld-Anhängerinnen und -Anhänger sind: Ihr Lieblingsverein spielt fern der eigenen Heimat. Berlin ist die vielleicht einzige Großstadt hierzulande, in der mehr Fußballfans mit anderen Clubs sympathisieren als den hier ansässigen.

Wie gut, dass jeder größere Club eine Fangemeinde in Berlin hat: In der Dokumentation „Ferne Liebe“ greift der Filmemacher und Journalist Martin Zeising, selbst Vorsitzender des 1. FC Nürnberg-Fanclubs „Clubberer 04 Berlin“, das Phänomen hiesiger Exilfans auf. Er begleitet dabei über die gesamte Hinrunde der Saison 2015/16 einige Berliner Fanclubs, während sie die Spiele ihrer Teams in Kneipen gucken, wenn sie sich untereinander austauschen und Belange der Anhänger besprechen, zu Auswärtsspielen bei Hertha und Union ins Stadion gehen und Fan-Turniere veranstalten.

Zeising, dessen Pseudonym The Disorder ist und der in den vergangenen 20 Jahren eine Vielzahl von literarischen Erzählungen, (Kurz-)Filmen und Musik veröffentlicht hat, ist sehr viel in Kiezkneipen unterwegs. Er befragt und filmt dort zum Beispiel Mitglieder der Spreeborussen (Mönchengladbach), der Cannstatter Kurve Berlin (Stuttgart), der Havelpralinen (Fortuna Düsseldorf) oder der Hannover 96-Anhänger von „Das Rote Berlin“, die das herbeigesehnte Niedersachsenstadion – als Klubraum – in die Neuköllner Hobrechtstraße verlegt haben.

Mitfiebern und schwärmen

Während die Kamera die Fans beim Mitfiebern einfängt, erzählen diese am Rande der Public Viewings, welche Bedeutung der Fanklub für sie hat, welche Freundschaften sich daraus ergeben haben und wie sie organisiert sind. Auffällig ist, dass auch viele Urberliner, oft über Freunde und Bekannte, für Clubs aus anderen Städten schwärmen. Filmemacher Zeising, gebürtiger Berliner, ist ein gutes Beispiel dafür: Er ist freiwillig „Club“-Fan und fußballerischer Franke geworden. Aber klar, sonderlich mit Ruhm ­bekleckert haben sich die Ber­liner Vereine – zumindest in den vergangenen 80 Jahren – nicht.

In das Eigenleben dieser Soziotope dringt Zeising weit vor. Die Eigentümlichkeiten und Bedeutung dieser „zweiten Klubs“ neben den eigentlichen Vereinen, wie sie im Film genannt werden, kommen ebenfalls rüber. Für viele der Interviewten – darunter viele Frauen – bilden sie die wichtigste Anlaufstelle überhaupt in ihrer Freizeit.

Dass der Film sich auf deutsche Klubs beschränkt, ist ein Manko. Gerade über englische, spanische und italienische Exilfans hätte man gern mehr erfahren, die Internationalität Berlins bildet „Ferne Liebe“ nicht ab. Zudem ist er zum Teil zu insiderisch und distanzlos geraten und verliert sich in Einzelheiten. Die Close-up-Aufnahmen von Fans in Kneipen hingegen sind eindrücklich; so manch charismatische Protagonistin, manch starken Fan hätte man gern noch näher kennengelernt. So begegnet man in „Ferne Liebe“ vielen Fans flüchtig – wie Kneipenbekanntschaften eben. Jens Uthoff

„Ferne Liebe“. Regie: Martin Zeising. D 2016, 109 Minuten.Beim 11mm-Filmfestival: 18. März, 21.30 Uhr Babylon 1, 21. März, 19.45 Uhr, Babylon 2

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