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Volle Konzentrationauf den Text

Musikperformance Die Postpunk-Band Messer lud am Freitagin der Volksbühne dazu ein, den französischen Autor,Ingenieur, Übersetzer, Musiker, Journalist, Sänger, Jazzkenner, Labelbetreiber und Pataphysiker Boris Vian wiederzuentdecken

Kritischer Blick zum Kollegen am Saxofon: Jazzkenner Boris Vian in Aktion Foto: Jean Dieuzaide/akg

von Jens Uthoff

Der junge Mann, der schlaff und schläfrig in der Bühnenmitte auf einem Stuhl kauert, schreckt auf. Eben noch saß er, den Scheitel streng zur Seite gekämmt und mit starrem Blick ins Nichts schauend, scheinbar lebensmüde da – nun wird sein Typ verlangt. Der Adjutant will ihn sprechen.

„Name?“ – „Vian, Herr Adjutant.“ – „Vorname?“ – „Boris, Herr Adjutant.“ Ein Ausländer, dieser komische Kauz namens Vian? „Leider nein, Herr Adjutant.“ Was er denn beruflich mache? „Oh, Herr Adjutant, ich habe mehrere Berufe, ich bin Ingenieur, Autor, Übersetzer, Musiker, Journalist, Sänger, Jazzkenner und nunmehr künstlerischer Leiter einer Schallplattenfirma.“ – „Donnerwetter … beachtlich“, staunt sein Gegenüber, aber „wer viel anpackt, packt nichts richtig an.“ Kurz darauf ergeht sich der Adjutant in einer Schimpftirade auf die Kaste Künstler und Intellektuelle: „Wenn ich das Wort Kultur höre, entsichere ich meinen Revolver.“

Groteske Prosa

Eine kleine Episode, geschrieben von ebenjenem Boris Vian, der hier in seinem eigenen Text als Figur auftaucht. Eine Episode, die viel über den tollen und lange vergessenen existenzialistischen französischen Autor Vian aussagt. Hendrik Otremba, Sänger der Postpunk-Band Messer, rezitiert diese Passage zu Beginn eines Abends in der Volksbühne, der sich ganz dem literarischen Werk des Franzosen widmet. Die aus Münster, Hamburg und Berlin stammende Band hatte ausgewählte Texte im vergangenen Jahr für die Ruhrfestspiele vertont – nun war die musikalische Performance erstmals in Berlin zu sehen.

Boris Vian, der mehrere wichtige surrealistische und groteske Prosawerke schrieb, wurde im deutschsprachigen Raum vor einigen Jahren wiederentdeckt – Gedichte, Erzählungen, satirische Kurzprosa und Romane erschienen bei Wagenbach in Neuausgaben. Dass der 1959 im Alter von nur 39 Jahren gestorbene Autor oft nur in einem Atemzug mit den befreundeten Intellektuellen Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir genannt wird, wird ihm nicht ganz gerecht: Denn all das, was er im oben genannten fiktiven Dialog mit dem Adjutanten aufzählt, war er wirklich. Ein umtriebiger Lebenskünstler, in allen Genres unterwegs. Er vergaß gegenüber dem Adjutanten übrigens zu erwähnen, dass er Vertreter des absurden Wissenschaftskonzepts der Pataphysiker war und die pataphysische Vereinigung in Paris mitgründete.

Auf Vians wohl kühnstes und berühmtestes Werk referieren Messer gleich zu Beginn – den Skandalroman „Ich werde auf eure Gräber spucken“ schreibt der Franzose 1946 unter dem Pseudonym Vernon Sullivan und gibt sich als Afroamerikaner aus. Zunächst ist am späten Freitagabend nur Sänger Otembra auf der Bühne – ein starker Performer mit dem nötigen Pathos für die sprachgewaltigen Texte Vians. Er liest sie, als gehe es um Leben und Tod. Natürlich geht es auch um Leben und Tod.

Die Band, an diesem Abend aus den Schlagzeugern Manuel Chittka und Philipp Wulf, Bassist Pogo McCartney und dem neuen Messer-Gitarristen Milek bestehend, steigt soft und leise zu den von Otembra vorgetragenen Monologen ein. Zunächst klingt das nach postrockig-instrumentaler Begleitmusik, die versucht, inhaltliche Akzente des Textes aufzunehmen.

Sänger Otembraliest Boris Vians Texte, als gehe esum Leben und Tod

Dann aber – dem Jazztrompeter Boris Vian hätte das wohl gefallen – gibt es auch jazzigere Klänge zu hören oder Kompositionen, die sich bestens als Soundtrack für Stummfilme eignen würden. Pogo McCartney klettert da am Bass langsam die Tonleiter rauf und runter; es ist eine Freude, ihm zuzuhören. Genau wie dem verspielten, Jam-artigen Zusammenspiel der beiden Drummer – vor allem Chittkas leichthändiges Spiel mit Klangrohr und Trommeln ist toll.

Schade ist, dass Text und Töne, für sich genommen famos, zusammen nur bedingt funktionieren. Otremba zitiert noch weitere Vian-Werke mit aller gebotenen Verve – wie zum Beispiel „Der Politische“, „Ich saufe“ sowie eine Geschichte über eine schräge Taxifahrt. Er verkörpert diesen Vian wie ein guter Schauspieler. Auch an den Songs ist nichts auszusetzen, es sind meist lange, repetitive Stücke, die nur manchmal so laut sind, dass sie Sänger Otembra übertönen. Zwischendurch streuen Messer von Vian inspirierte Albumsongs ein (etwa „Die kapieren nicht“). Einzig die Visuals – verlaufende organische Formen im Bühnenhintergrund, die auf die Musik reagieren – wirken eher überflüssig.

Zufall ist es wohl nicht, dass man jene Passagen am stärksten in Erinnerung hat, die Otembra ohne Begleitung einspricht: Da liegt die volle Konzentration auf dem Text, während man insbesondere den längeren Erzählungen nicht immer folgen kann, wenn sie von beschwingt-groovigen Klängen unterlegt sind.

Als Einladung, Boris Vian wiederzuentdecken, nimmt man die Inszenierung dennoch dankbar an. Der bekannteste und am häufigsten adaptierte Roman des Franzosen, die kafkaesk-tragische Liebesgeschichte „Der Schaum der Tage“, ist übrigens vor Kurzem in einer Neuübersetzung im Karl Rauch Verlag erschienen. Auch was Messer betrifft, darf man auf neue Veröffentlichungen gespannt sein: dieser Tage mischen die Herren ein neues Album ab.

Boris Vian: „Der Schaum der Tage“. Karl Rauch Verlag, Düsseldorf 2015. 220 Seiten, 20 Euro

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