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Debatte um EU-Beitritt der TürkeiEin sehr privilegierter Partner

Plötzlich ist wieder von der Aussicht auf einen EU-Beitritt der Türkei die Rede. Doch das ist reine Augenwischerei. Denn den will in Wirklichkeit niemand.

Wurde kürzlich unter Zwangsverwaltung gestellt: die türkische Zeitung Zaman. Foto: ap

Man sieht sich im Leben immer zweimal. Das wird sich der türkische Präsident Tayyip Erdoğan gedacht haben, als er das EU-Treffen mit der Türkei in Brüssel aus der Ferne verfolgt hat. Denn die Regie des Gipfels dürfte ganz seinen Vorstellungen entsprochen haben. Endlich darf sein Land die wichtige Rolle spielen, die es in seinen Augen ohnehin verdient hat, als Teil einer gemeinsamen Achse mit Berlin und Athen. Parvenü war gestern.

Seit die Türkei an die Tür der EU klopft, wurde sie in Brüssel meist wie ein lästiger Bittsteller empfangen. Selbst mit dem Beginn der Beitrittsverhandlungen vor über zehn Jahren hat sich daran wenig geändert. Schon vorab wurden die Hürden für eine Aufnahme so hoch gehängt wie bei keinem anderen Kandidaten – so dass es fast demütigend wirkte.

Immer wieder wurden die Türken vertröstet, oder es wurde auf bestehende Defizite im Bereich der Menschenrechte, der Meinungsfreiheit und dem Schutz von Minderheiten verwiesen, die einem EU-Beitritt der Türkei prinzipiell im Wege stünden. Und nun plötzlich, obwohl sich die Lage in den letzten Jahren in all diesen Bereichen nicht verbessert hat, soll davon keine Rede mehr sein?

Keine Sorge

Selbstbewusst fordert der türkische Premier Ahmet Davutoğlu als Dank für das Entgegenkommen in der Flüchtlingsfrage, endlich weitere Kapitel in den stockenden Beitrittsverhandlungen zu eröffnen. Und die EU scheint dazu bereit. Zu dem Skandal, dass kurz vor dem Gipfel die größte unabhängige Tageszeitung des Landes unter staatliche Kontrolle gebracht wurde, kommt aus Brüssel kaum ein Wort der Kritik.

Ein schlechterer Zeitpunkt, um über einen EU-Beitritt der Türkei zu verhandeln, ist kaum vorstellbar: Die Rückschritte im Bereich der Meinungsfreiheit sind unübersehbar, von einer unabhängigen Justiz ist die Türkei weit entfernt, und im neu entflammten Krieg zwischen der Armee und der PKK im Südosten des Landes bleiben die Menschenrechte auf der Strecke.

Aber keine Sorge: Die Aussicht auf rasche Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei sind nicht ernst gemeint. Und zwar von beiden Seiten nicht. Einem Egomanen wie Erdoğan, der die Türkei in ein Präsidialsystem umbauen will, das ihm noch mehr Vollmachten einräumt, liegt nichts ferner, als irgendwelche Vorrechte an Brüssel abzugeben.

Und in Brüssel und Berlin, wo man schon genug Probleme mit Querköpfen wie Viktor Orbán oder den Nationalkonservativen in Polen hat, dürfte man ebenfalls wenig Neigung verspüren, sich mit Erdoğan einen weiteren Problemfall ins Haus zu holen. Zumal dessen Land schon allein aufgrund seiner schieren Größe die bisherige Kräfteverteilung in der EU aus der Balance bringen würde.

Eine EU-Grenze an Bürgerkriegsländern? Eben.

Hinzu kommt, dass es schönere Aussichten gibt, als direkt an Bürgerkriegsländer wie Syrien und den Irak anzugrenzen. Und welchen Sinn sollte eine Einigung mit der Türkei über eine Arbeitsteilung in der Flüchtlingsfrage haben, wenn das Land in die Europäische Union soll? Eben.

Das Gerede von einem EU-Beitritt der Türkei ist deshalb bloß leere Rhetorik, es ist reine Augenwischerei. Angela Merkel beeilte sich deshalb schon am Montag, zu betonen, dass sich an ihrer Einstellung dazu nichts geändert habe: Das Thema stehe nicht auf der Tagesordnung. Und für die Türkei hat die Forderung nur symbolischen Charakter: Sie will die Genugtuung auskosten, endlich von der EU auf Augenhöhe empfangen zu werden. Ansonsten dienen die Beitrittsverhandlungen als Verhandlungsmasse, um andere Konzessionen herauszuschlagen.

Dabei wären ernsthafte Verhandlungen über einen EU-Beitritt das Beste, was den Menschen in der Türkei derzeit passieren könnte. Nur dadurch ließen sich überhaupt noch Fortschritte im Bereich der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit in der Türkei erzielen. Die so wichtigen Beitrittsverhandlungskapitel über Justiz und Grundrechte oder über die Sicherheits- und Verteidigungspolitik wurden zum Beispiel noch gar nicht geöffnet. Viel mehr Einflussmöglichkeiten hat Europa da ohnehin sonst nicht.

Zunächst aber ist die Türkei für Europa nun das, was sie nach Merkel Meinung und der vieler Konservativer möglichst auch bleiben sollte: ein äußerst privilegierter Partner.

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6 Kommentare

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  • Glaubt wirklich nach Ungarn und Polen noch irgend jemand, dass die EU ernsthaft Demokratie, Gerechtigkeit und Offenheit für Berichterstattung, Polizei und Justiz von einem Beitrittskandidaten wie der Türkei verlangen kann, ohne selbst ein Hohnlächeln dafür zu ernten - kehrt erst mal vor der eigenen Tür, bevor Ihr große Bedingungen stellt. Die EU sieht derzeit reichlich zerrupft aus. Handeln in Einigkeit und Harmonie, mit einer Stimme - davon ist am Horizont weit und breit nichts zu sehen.

  • Es wäre schön, wenn eine Türkei in der EU die Türkei automatisch demokratischer, rechtstaatlicher und menschenrechtsfreundlicher machen würde. Doch worauf ist diese Hoffnung begründet?

    Die EU hat keine Menschenrechtscharta. In Europa ist der Europarat und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Hüter von Demokratie und Menschenrechten. Beide haben nichts mit der EU zu tun und die Türkei ist bereits Mitglied im Europarat und hat die Menschenrechtskonvention unterzeichnet. Gleichzeitig hat Frankreich trotz EU-Mitgliedschaft die Menschenrechtskonvention suspendiert. Eine EU-Mitgliedschaft hat daher leider nichts mit Menschenrechten zu tun. Allenfalls gibt es eine gefühlte Verpflichtung der anderen Regierungen, schlechten Entwicklungen wie in Ungarn oder Polen entgegen zu wirken. Es muss jedoch befürchtet werden, dass die Regie der Menschenrechtsfeinde in der EU an Bedeutung gewinnt. Neben Polen, Ungarn und Frankreich spielt auch GB mit dem Gedanken bei den Menschenrechten auszusteigen.

    Fatal ist dabei, dass der Vorrang der Menschenrechte vor nationalen Gesetzen und Gerichten immer mehr zur Disposition steht aber der Vorrang von privaten Schiedsgerichten von den Regierenden vorangetrieben wird.

  • Merkel hat die Führungsrolle in der EU verloren. Ihre Aussage: die Balkanroute wird nicht geschlossen. Der Rest der EU fügt sich dem, indem auf dem Papier nachgegeben wird, tatsächlich aber gegen Merkels Aussage gehandelt wird.

     

    Genauso läuft es bei den Verhandlungen mit der Türkei. Offiziel wird entsprechend des Merkel-Plans mit der Türkei verhandelt. Tatsächlich will außer Merkel und vielleicht noch den Griechen niemand der Türkei nachgeben.

     

    Erdogan ist ein Autokrat und Kriegstreiber, der in der EU nichts verloren hat. Man kann darauf vertrauen, dass die Mehrheit der EU sich den Merkel-Türkei-Chaos-Plan nicht zu eigen machen wird.

     

    Erdogan überzieht, weil er die Stellung von Merkel und die Erpressbarkeit der EU falsch einschätzt. Außer Merkel und vielleicht noch den Griechen ist niemand in der EU auf Erdogan angewiesen.

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    "Seit die Türkei an die Tür der EU klopft, wurde sie in Brüssel meist wie ein lästiger Bittsteller empfangen."

     

    Und jetzt, wo die EU nur noch eine Fassnachtsveranstaltung ist, da können wir die Türkei auch mit einem herzlichen Helau willkommen heißen? Im Europa von Kurz und Orbán wirkt das in der Tat nicht mehr wie Koks aus Brüssel, sondern wie (Maas das nennen würde) die Politik des Machbaren. Wenn man den ganzen Scheiß so verfolgt, der sich heute als politische Lösung ausgibt, kann man eh nur noch auf die Facepalme klettern.

  • Die Erklärung für das Einknicken vor dem autoritären Staat Türkei ist einfach. Sie soll die Drecksarbeit für die EU erledigen nach dem Motto: "Wasch mir den Pelz, aber mach ihn mir nicht naß". Die EU läßt sich mangels eigener Lösungsideen und aufgrund der zum Inbegriff der EU gewordenen Insolidarität von der Türkei erpressen und instrumentalisieren. Schließlich hat die Türkei beste Reputationen in Sachen Niederknüppeln, Niederbomben, Niederschießen und Foltern. Bessere Vorrausetzungen für einen previlegierten Partner kann es gar nicht geben.

  • Nein, den will wirklich niemand. Warum auch?