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Kommentar Streit um die RenteVolkspartei und Opferkonkurrenz

Kommentar von Martin Reeh

Konzepte gegen die Altersarmut sind gefragt. Doch auch die von der SPD favorisierte Lebensleistungsrente ist keine Lösung. Sie ist eine Mogelpackung.

Für Betroffene ist es bitter, wenn es im Alter auf jeden Cent ankommt. Foto: dpa

I n der SPD werden sie sich nach dem nächsten Wochenende wieder fragen, warum sie keine Volkspartei mehr sind. Wenn sie das Geschimpfe nach außen (über die AfD und die wahlmüde Bevölkerung) und nach innen (über ihren Vorsitzenden im Zickzackmodus) einstellen, könnten sie auf eine einfache Antwort kommen: Weil sie einen Teil der Bevölkerung nicht mehr vertreten – all die Beschäftigten, die trotz langer Lebensarbeitszeiten im Alter auf die Grundsicherung angewiesen sind.

Mit der Absenkung des Rentenniveaus unter Rot-Grün hat sich die SPD einen Teil ihrer Stammklientel nachhaltig entfremdet, von Supermarkt-Verkäuferinnen über Leiharbeiter bis hin zu Kurierfahrern.

Der damals ebenfalls eingeführte Niedriglohnsektor bewirkte das weitere Absinken ihrer Rentenansprüche. Gleichzeitig fehlt ihnen das Geld für private Altersvorsorge. All das war der SPD bewusst, als sie in die Große Koalition eintrat.

Das deshalb im Koalitionsvertrag vereinbarte Konzept einer sogenannten Lebensleistungsrente für die Beschäftigten im Niedriglohnsektor kann die früheren Rentenkürzungen aber nicht wiedergutmachen. Sie setzt zudem das Einzahlen in eine private Altersvorsorge voraus, was auch mit Mindestlohn kaum möglich ist. Kurz: Die Lebensleistungsrente ist, im Gegensatz zur Rente mit 63, eine Mogelpackung.

Mit der Absenkung der Renten hat sich die SPD einen Teil ihrer Stammklientel entfremdet

Dennoch opponiert nun ein Teil der Union gegen das Konzept. Das zeigt erstens, dass die CDU nicht so weit sozialdemokratisiert ist, wie gern behauptet wird. Und zweitens, dass die CDU den Ernst der Lage angesichts der AfD-Erfolge nicht begriffen hat.

Sigmar Gabriel behauptet zu Recht, dass sich seit letztem Jahr ein schlimmer Satz in die Mitte der Gesellschaft frisst: „Für die (Flüchtlinge) macht ihr alles, für uns macht ihr nichts.“ Wer eine Opferkonkurrenz zwischen Flüchtlingen und hier schon länger Lebenden vermeiden will, muss ein wirksames Konzept gegen Altersarmut vorlegen. Die Lebensleistungsrente ist es nicht.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.
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4 Kommentare

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  • Die SPD hat ja Erfahrung mit Mogelpackungen. Die privat ersparte Riesterrente wird bis heute auf die Grundsicherung angerechnet. Im Klartext, die mühsam ersparte Zusatzrente steckt der Staat ein, die staatlichen Zulagen kassiert die Finanzwirtschaft. Die Sozialdemokratie wie sie seit Schröder leibt und lebt; leider.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "Kurz: Die Lebensleistungsrente ist, im Gegensatz zur Rente mit 63, eine Mogelpackung."

     

    Die letztere sollte die Urstammklientel der Sozialdemokraten bedienen (http://www.wz.de/home/wirtschaft/studie-gut-elf-prozent-der-betriebe-von-rente-mit-63-betroffen-1.1960297), die erste sollte mit ausgeschmücktem Begriff die Menschen verarschen, die auch glauben dazu zu gehören.

  • Sehr schön, dass Sie das Problem auch mal von dieser Seite angehen. Interessant wäre in diesem Zusammenhang auch, mal etwas genauer hinzusehen, was die AfD dazu konkret in ihrem Programm hat und das ein bisschen mehr breit zu treten.

    • @Artur Möff:

      Ich bin Ihrem Rat gefolgt und habe hingesehen. Sogar "etwas genauer", als ich eigentlich wollte. Ergebnis: Weder im Wahlprogramm für Baden Württemberg noch in dem für Sachsen-Anhalt erwähnt die AfD die Rentner auch nur mit einem einzigen Wort.

       

      In BaWü will sie (wie wohl jeder) "Partner der Wirtschaft sein" und den Arbeitsmarkt weiter flexibilisieren. Angeblich in der Hoffnung darauf, dass dadurch "der missbräuchliche Einsatz von Leiharbeitsverhältnissen und Werkvereträger [...] unattraktiv und eingedämmt" wird. Während sie in den 5 Absätzen eines eigenen Kapitels "Tiere vor unnötigem Leid schützen" will, geht ihr das unnötige Leid von Menschen offenbar selbst dann am Arsch vorbei, wenn diese nicht grade erst aus Syrien eingewandert sind.

       

      In Sachsen-Anhalt will die AfD den Mittelstand, das Handwerk und die Bauwirtschaft stärken, und zwar in dem sie "Bürokratie abbau[t] und den Fördermitteldschungel lichte[t]", sowie "Finanzinstrumente wie Bürgschaften oder Wagniskapital" einsetzt. Sie weiß, dass "Wirtschaftsverbände […] ein natürliches Interesse an einem großen Arbeitskräfteangebot [haben]", und dass sich dieses natürliche Interesse schlecht mit den Zielen "jede[r] Arbeitsmarktpolitik" verträgt, "die Arbeitslosenquote zu verringern". Eine geringere Arbeitslosenquote nämlich bedeutet laut AfD, dass "die Auswahl für personalsuchende Unternehmen [ge]schmälert" wird. Welche "innovativen Ansätze der Arbeitsmarkt und Rentenpolitik" die AfD in Sachsen-Anhalt kennt und stärken will, verrät sie lieber nicht in den vier Zeilen, die unter dieser Überschrift abgedruckt wurden.

       

      Resümee: Wer weder abhängig beschäftigt noch arbeitslos ist oder werden möchte oder gar Rente kriegt, der sollte die Partei NICHT wählen. Zumindest dann nicht, wenn er nicht entweder sofort oder später richtig arm sein will, sondern wünscht, dass Wahlversprechen eingehalten werden.