Testphase für Videoschiedsrichter: Fußball mit entmenschlichtem Antlitz
Die Testphase ist beschlossen. Was bringt ein Videoschiedsrichter im Fußball? Ein wenig Gerechtigkeit und viel Diskussionsstoff.
Es ist ein Albtraum, der nun Wirklichkeit zu werden droht. Die Bundesliga ist fest entschlossen, den Videoschiedsrichter einzuführen, sofern das Weltfußballregelgremium Ifab heute wie erwartet das Okay für diese Revolution gibt. Zunächst für eine Saison nur als Hintergrundübung, ohne Einfluss aufs Spiel, bevor ab dem Spieljahr 2017/2018 dann endgültig für Fairness gesorgt ist.
Nie wieder wird der Fußball als stichhaltiger Beweis für die grundsätzliche Ungerechtigkeit der Welt taugen, weil einer dieser Selbstdarsteller in Schiedsrichterkluft die eigene Mannschaft um ein paar Punkte betrogen hat. Und noch schlimmer: Es ist vorbei mit der verruchten Freude, wenn der Klub des Herzens durch einen aberwitzigen Pfiff mit einem völlig unverdienten 1:0-Sieg beschenkt wurde. Sepp Blatter, der visionäre Fifa-Präsident a. D., hat schon vor Jahren gesagt: Technische Schiedsrichterhilfen nehmen dem Fußball sein „menschliches Antlitz“.
Aber solche Argumente zählen nicht mehr im modernen Hochgeschwindigkeitssport, wo ein verstecktes Foul darüber entscheiden kann, ob ein Klub in den Europapokal kommt oder nicht. Ob er Millionen Euro einnimmt oder ob der Erzrivale aus der Nachbarstadt in diesen Genuss kommt.
Kein Wunder also, dass fast alle Funktionäre und Trainer seit Langem auf eine schnelle Einführung des Videobeweises hinwirken. Und seit die Zuschauer Sekunden nach einem Tor oder Foul im Strafraum Zeitlupen der Szene auf ihren Smartphones sehen können, sind mittlerweile auch die Schiedsrichter Freunde der Technik. Fehlentscheidungen sind längst ein Haupterzählstrang des großen Fußballepos, und den Schiedsrichtern fällt die Rolle der Bösewichter zu.
Geht also all das nun verloren? Wohl kaum. Denn die Videoschiedsrichtertechnik ist derart komplex, dass ganz andere Meinungsverschiedenheiten die Debattenkultur an Deutschlands Theken bereichern werden: Warum hat der Videoschiri das nicht gesehen? Denn der Videoassistent, der in einem TV-Studio vor dem Stadion sitzt, Zeitlupen und Wiederholungen sieht und seine Erkenntnisse dann an den Kollegen auf dem Rasen funkt, soll nur eingreifen, wenn es auf dem Platz eine Fehlentscheidung rund um ein Tor, einen Platzverweis oder eine Elfmetersituation gab.
Was passiert aber, wenn irgendwo im Spiel 30 Sekunden vor einem Tor ein Foul passierte, das übersehen wurde? Korrigiert er dann auch, gewissermaßen im Nachhinein? Oder erst ab 10 Sekunden vor einem Tor? Oder vielleicht 20? „Wir wissen es noch nicht, darum testen wir“, sagt DFB-Schiedsrichterchef Herbert Fandel zu solchen Fragen.
Oder was ist, wenn der ebenfalls erforderliche Experte für das Schneiden von Bildern dem Videoassistenten nicht die Aufnahmen der am günstigsten postierten Kameraposition zeigt, während das TV-Publikum sofort Bilder vorgespielt bekommt, die einen Fehler klar entlarven? Haben plötzlich diese Jungs in Kapuzenpullis an den Scheideplätzen der Fernsehstudios die Macht, Meisterschaften zu entscheiden? Klar ist: Mit dem Videoschiedsrichter wird es mehr Gerechtigkeit geben, ebenso wie ganz neue Kontroversen. Sepp Blatter kann sich freuen über so viel menschliche Fehlbarkeit.
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