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LiebeserklärungSchweinefleisch

Ohne Salami und Kassler wüssten wir nicht, wo unsere Beziehung steht, liebe Mehrheitsgesellschaft. Bitte putz dir die Zähne

Du sprichst aber gut Deutsch!“ Ja, liebe Mehrheitsgesellschaft, das tue ich. Schließlich habe ich das Lesen mit der Tobi-Fibel gelernt. Und nicht nur das: meine Zahnbürste ist von Braun und mein Lieblingsgebäck heißt Brezel. „Wie toll“, sagst du und nickst mir zu. Ich bin das Paradebeispiel der erfolgreich integrierten Migrantentochter und da bist du ganz stolz drauf. Aber nur bis wir gemeinsam in der Kantine anstehen und ich frage, ob das Hackfleisch gemischt ist oder Rind. Denn ich so: Ich esse kein Schweinefleisch. Und du so: Schaust mich an, als hätte ich Crystal Meth geschnupft.

Hach, fast 30 Jahre versuchen wir es schon miteinander, liebe Mehrheitsgesellschaft, und doch scheitern wir immer wieder am selben Punkt. Wäre ich Vegetarierin, fändest du das ja okay. Aber mein Verzicht auf Schweinefleisch ist und bleibt der ultimative Integra­tionsverweigerer. Das hat deine Lieblingspartei, die CDU, diese Woche sogar erneut bestätigt. Der Kieler Fraktionsvorsitzende findet es „falsch“, dass Kassler und Würstchen aus dem Essensangebot in Kitas und Schulen verschwinden – „um auf religiöse Gebräuche Rücksicht zu nehmen“.

Nun ja, bei mir hast du es ja einfacher als bei Dreijährigen. „Du trinkst doch auch Alkohol!“ kannst du mir wie bei jeder Gelegenheit entgegenschreien. Da kann ich nur lachen. Ha, ha, ha. Diesmal werde ich dir nicht erklären, dass ich kein Schwein esse, einfach weil ich auch kein Hund, Pferd und Frettchen esse. Ja, eigentlich ist es sogar verlockend, es mal zu probieren, wo doch alle Gourmets in Reichweite ständig vom Parmaschinken schwärmen. Aber ich werde es nicht tun, und das aus einem neuen Grund: am Schweinefleisch erkennen wir, wo unsere Beziehung steht. Ob du mich endlich so nimmst, wie ich bin. Und umgekehrt. Denn es ist so, wie es ist: Wenn du mich küssen willst, liebe Mehrheitsgesellschaft, dann putz dir gefälligst die Zähne nach dem Salamibrot. Fatma Aydemir

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