piwik no script img

Der erste Punk als Maler

KunstDas Jüdische Museum zeigt Werke von Boris Lurie

Daniel Kahn und seine Kollegin Marina Frenk spielten am Donnerstag vor dem gefüllten Glashof des Jüdischen Museums als Erstes einen Parasong, wie der Anarchist Tuli Kupferberg seine Parodien alter jüdischer Lieder nannte. Auf Jiddisch, Russisch und Englisch und mit kleinen aktuell bedingten Änderungen. Es ist richtig, zur Eröffnung einer Ausstellung der Werke Boris Luries einen Punk mit historischem Bewusstsein wie Daniel Kahn spielen zu lassen, und Kahn hat recht, wenn er sagt, dass der Maler Boris Lurie selbst ein Punk avant la lettre war.

Lurie war ein Zeitgenosse der Pop-Artists der Sechziger, seine Arbeiten waren aber schwer konsumierbar, sie blieben selbst der progressiven New Yorker Kulturszene im Hals stecken. Lurie hatte den Mord an den europäischen Juden überlebt, dabei fast seine gesamte Familie verloren. Mit seinem Vater wanderte er nach New York aus. Bekannt wurde er dort durch seine Collagen, in denen er oft Pin-ups verwendete, die ihn auch in seinem Atelier umgaben. Auf manchen seiner Collagen stellte er die Fotos nackter Frauen, die für ihn die Verfügbarkeit und Wertlosigkeit des Menschen in der Moderne symbolisierten, Fotografien von Leichenbergen von den europäischen Killing Fields und Vernichtungslagern gegenüber.

Die Retrospektive im Jüdischen Museum ist beeindruckend, manche der Bilder wurden nie öffentlich gezeigt. Die Originale der Werke, die man aus Katalogen kennt, sind viel feiner und zugleich kraftvoller, als man sie sich vorgestellt hat. Es sind großformatige Gemälde zu sehen, die so manche zeitgenössische Malerei ästhetisch alt aussehen lassen, deren Sujets aber beim linksliberalen Kunst­establishment politisch anecken mussten. 1964 begnügte sich Lurie, der eine Liebe zu Israel entwickelte, noch damit, die Zeile „A Jew Is Dead“ auf einer Collage aus Papier und Klebeband erscheinen zu lassen. 1970 wurde er auf einem knallbunten Gemälde voller Slogans deutlicher: „Israel Imperialiste“ ist darauf zu lesen, kleiner darunter ­„Judenrein“. Ulrich Gutmair

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen