Portrait: Keine halben Sachen machen
Per Facebook macht Christoph Strässer um 13.28 Uhr Schluss. „Sehr geehrter Herr Minister, lieber Frank“, steht in dem Schreiben, das er auf seinem Profil veröffentlicht. „Nach intensiver Überlegung habe ich mich entschlossen, von meinem Amt als Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe zurückzutreten.“
Frank-Walter Steinmeier muss sich also jemand anderen suchen für den Posten des guten Gewissens. Es ist ein seltsamer Job: Der Menschenrechtsbeauftragte hat ein Büro im Außenministerium, ist dem Minister aber nicht untergeordnet. Umgekehrt darf er niemandem Anweisungen geben. Sein Nutzwert für die Regierung: Über ihn kann sie Menschenrechtsverletzungen im Ausland kritisieren, ohne dass der Außenminister persönlich diplomatischen Schaden riskiert.
Eine Rolle, die Strässer seit Januar 2014 zuverlässig ausübte. Warum also der Rücktritt?
Neben seinem Amt im Außenministerium sitzt Strässer für die SPD im Bundestag. In seinem Kündigungsschreiben schiebt er seinen Abgang auf die Doppelbelastung: Vor zwei Jahren habe er noch gedacht, Amt und Mandat vereinen zu können. „Angesichts der zunehmenden Herausforderungen insbesondere im Bereich der humanitären Hilfe“ schaffe er das aber nicht.
So weit die offizielle Begründung. Wer auf Strässer Biografie blickt, könnte einen zweiten Grund vermuten: Er kommt aus der Bürgerrechtsbewegung, war bis zum Bruch der sozialliberalen Koalition 1982 Mitglied der FDP und wechselte erst dann in die SPD. Er hat seine Ideale, und dazu gehören neben Bürger- und Menschenrechten auch die der Flüchtlinge. Das neueste Asylpaket der Regierung, über das der Bundestag am Donnerstag abstimmt, lehnt er laut ARD ab.
Waren also auch die Asylrechtsverschärfungen der Koalition ein Grund für Strässers Abgang? Falls ja, trägt er es zumindest nicht nach außen – und so können er und der Minister zumindest Freunde bleiben. Um 15.53 Uhr antwortet Steinmeier auf den Facebook-Eintrag. „Ich habe Deinen Rücktritt nur schweren Herzens angenommen“, schreibt er. „Halbe Sachen gab es für Dich nie.“
Tobias Schulze
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