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OSTPUNKS UND IHRE EXISTENZ NACH DEM UNTERGANG DER DDRDas Wirgefühl im Pogoland

VON HELMUT HÖGE

Der Anarchodichter Bert Papenfuß sprach in seiner und Mareile Felliens Kulturspelunke „Rumbalotte continua“ von „Saufen, Kotzen, Vögeln“ als den drei Essentials der ostdeutschen Punkbewegung. Ein viertes wäre ihre fortdauernde künstlerische Existenz über die DDR hinaus: in Form der Fanzines „Floppy Myriapoda“, „Drecksack“, „Gegner“ und „Konnektör“; als Interviews in mehr als einem halben Dutzend Büchern von Frank Willmann über die Punkfußballfans vor allem des Ostberliner Klubs 1. FC Union; als groß- und kleinflächige Malereien in Ausstellungen der „Staatsgalerie“ von Henryk Gericke; und als Bandformationen wie „Herbst in Peking“ und „Tarwater“, die gerade zusammen mit einigen Punkdichtern unter der Regie der norwegischen Anarchistin Tone Avenstroup im AckerStadtPalast ein Aktionstheaterstück aufführen. Der Titel: „Nein“!

Die Verherrlichung der DDR-Punkmusik scheint ansonsten in das Ressort des „Fritz“-Wellenleiters Ronald Galenza zu fallen, der ebenfalls bereits ein halbes Dutzend Bücher darüber veröffentlicht hat, beginnend mit einem Wälzer über die halbnomadische Punkgruppe „Feeling B“ und deren 2000 gestorbenen Gründer Aljoscha Rompe. Dieser war bereits 1987 zu einer Legende geworden: durch den Film „Flüstern und Schreien“ über die ostdeutsche Rockmusikzene.

Aufruf zur Revolution

Der Regisseur Dieter Schumann hatte darin die Frage „Rufen wir mit dem Film zur Revolution auf?“ mit „Ja!“ beantwortet. Koregisseur Jochen Wisotzki schwärmt noch heute von der ruhelosen Renitenz des Punksängers Rompe, nach dessen Biografie der Punkdichter und IM aller anderen Punkdichter des Prenzlauer Bergs, Sascha Anderson, sich angeblich immer gesehnt hat.

Während des Kriegsrechts in Polen tourte Feeling B mit einem ausgebauten Kleinbus durchs Land. Beim Mauerfall machten sie von sich reden, indem sie vor laufenden Westkameras den SED/PDS-Vorsitzenden Gregor Gysi bestürmten, die Mauer wieder dicht zu machen – sonst sei alles zu spät. Recht hatten sie!

Auch mit Feeling B war es danach aus: Die Musiker Flake und Paul Landers gründeten 1993 die Gruppe Rammstein mit, die weltweit Erfolg hat. Rompe wurde über diese Verluste immer stiller – bis er schließlich eines Nachts in seinem Wohnwagen in Prenzlauer Berg erstickte. Die taz titelte: „Ein Kämpferherz hat aufgehört zu schlagen!“

Das hätte man auch von dem Punkdichter Mathias Baader Holst sagen können, der 1990 unter eine Straßenbahn geriet und starb. Regelmäßig erinnern nun schriftlich und mündlich die Dichter Peter Wawerzinek und Susann Immekeppel an ihn. Letztere hat das im soeben erschienenen Buch des Punk-Biographen Frank Willmann wieder getan. Es heißt „Leck mich am Leben. Punk im Osten.“

Satan, verzeih mir!

Davor hatte Willmann ein einfühlsames Porträt des Sängers von „Schleimkeim“ – Otze Ehrlich – veröffentlicht: „Satan, kannst du mir noch mal verzeihen.“ Bei Amazon heißt es dazu: „Schleimkeim waren eine der einflussreichsten Bands der ehemaligen DDR und dies weit über Punk-Kreise hinaus. Die Biografie ihres Sängers liest sich abenteuerlicher als jeder Roman. Sie spiegelt die ganze innere Zerrissenheit eines unangepassten Charakters in einem autoritären Staat wider.“ In eine ähnliche Kerbe haute 2006 der Dokumentarfilm „OstPunk! Too much Future“ von Michael Boehlke und Carsten Fiebeler. Einer der Protagonisten des Films ist heute Türsteher des Clubs Berghain.

Zu all diesen kreativen DDR-Punks – ob tot oder lebendig – gehörte auch die Ostberliner Punk-Modeszene. Über sie gab es 2009 eine Ausstellung im Kunstgewerbemuseum „In Grenzen Frei“ und dazu einen anrührenden Dokumentarfilm: „Ein Traum in Erdbeerfolie“. Die darin gezeigten Kleider aus Duschvorhängen, Abdeckplaste oder Windeln erwarb das Deutsche Historische Museum.

Die im Kunstgewerbemuseum gezeigten Fotos unter anderem von Tina Bara, Sibylle Bergemann, Roger Melis und Helga Paris findet man jetzt in der großen Ausstellung der Berlinischen Galerie über die „Künstlerische Fotografie in der DDR. Geschlossene Gesellschaft“ wieder, die noch bis Ende Januar läuft.

Auf zur Antilesebühne!

Trotz all dieser liebevollen Rückerinnerungsaktionen und wertgesteigerten Paraphernalien der einst in der DDR nur widerwillig tolerierten Punks fand Bert Papenfuß, das reiche nicht. Es sei nun an der Zeit, in die Offensive zu gehen, und zwar mit einer nicht bloß auf Lacher hin orientierten „Anti-Lesebühne“ in der Kneipe Rumbalotte: „Traute statt Flaute“, jeden zweiten und vierten Dienstag im Monat.

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