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Die WahrheitMein Niedergang

Kolumne
von Eugen Egner

Ein Filmteam soll meinen persönlichen Abstieg dokumentieren. Doch leider interessiert es sich nur für meinen Kleiderschrank.

Das Netz der bösen schwarzen Fledermaus überzieht die ganze Stadt“, lautete die neueste Nachricht des Tages. An ebendiesem Tag kam ein Filmteam zu mir, um meinen Niedergang zu dokumentieren. Die erklärenden Worte zu den Aufnahmen, die mich bei verschiedenen misslingenden Tätigkeiten zeigten, sprach ich selbst. Ich begann mit dem Satz: „Während ich mich hier schwerfällig, ungeschickt und widerwillig im Raum bewege, rase ich durch die Zeit, die ebenso wie der Raum bloß eine Illusion sein soll.“

Zur Illustration meiner Bewegung im Raum zerschlug ich ein volles Weinglas an einem metallenen Lampenschirm. Was ich dabei unerwähnt ließ: Volle Weingläser an Lampen zu zerschlagen ist unerlässlich bei der Brautwerbung – doch das soll uns nicht weiter kümmern. Vielmehr erwähnte ich in meinen Ausführungen unter anderem, dass man sich entscheiden müsse, welche der eigenen Körperpartien man im Leben waschen wolle und welche nicht.

In diesem Zusammenhang sah ich von einer entsprechenden Demonstration ab und ließ alle darüber im Unklaren, an welchen Stellen ich mich zu waschen pflegte. Die Filmleute interessierten sich dafür aber weit weniger als etwa für meinen Kleiderschrank, den ich ihnen im Freien als Naturphänomen vorführte. Ich öffnete die Türen, zog Schubfächer heraus und klappte auch etwas schräg auf. Nicht das Geringste deutete darauf hin, dass die Kleidungsstücke in diesem Schrank dazu neigten, sich zu verdoppeln. Es war mir zudem unmöglich, einen Beweis dafür zu erbringen. Deshalb wurde die Arbeit abgebrochen, und wir beschlossen, etwas ganz anderes zu filmen.

Nachdem die Ausrüstung wieder eingepackt war, machten wir uns zu Fuß auf, um in der Nähe einen neuen Drehort zu suchen. „Vielleicht gibt es hier irgendwo etwas Interessantes“, meinte der Regisseur, „die Gegend ist ja vielversprechend. Es war ein sonniger, nicht zu warmer Sommernachmittag, und niemand dachte mehr daran, dass in den Nachrichten behauptet worden war, das Netz der bösen schwarzen Fledermaus überzöge die ganze Stadt.

Unterwegs passierten wir ein eingezäuntes, von hohen alten Bäumen bestandenes Grundstück, das ich nicht kannte. Das solide Gartentor zwischen den gemauerten Pfosten war halb geöffnet. Weil ich von allen in unserer Gruppe am dichtesten daran vorbeiging, sah ich neugierig hinein. Mein Blick traf auf eine Gestalt, die hinter dem linken Torpfosten gestanden hatte und jetzt hervorkam. Ich wollte aufschreien, erstarrte jedoch im selben Moment vor Schreck. Ein großer, pelziger Affe stand aufgerichtet vor uns, halslos, mit grimmigem Maul und schwarz umrandeten Augen. Wir wichen zurück. Keiner von uns wusste, was zu tun war, Todesangst erfüllte alle. Im Nu erhob sich die Bestie in die Luft, sodass sie wie eine monströse Eule oder Fledermaus drohend über uns schwebte. Dann stürzte sie auf den Kameramann herab – nein, nichts dergleichen geschah, es ist alles völlig frei erfunden. Als ob sich irgendjemand für meinen Niedergang interessierte!

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