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Umgestaltung der BergmannstraßeFremdeln in der Zone

Am Dienstagabend geht die Bürgerbeteiligung zur „Begegnungszone“ in der Kreuzberger Bergmannstraße in die zweite Phase. Gegen das Projekt regt sich Widerstand.

Eigentlich jetzt schon eine „funktionierende“ Straße, finden viele Anwohner. Foto: dpa

Annemarie Woll* hat wenig Vertrauen in die Bürgerwerkstatt. „Was ist der tiefere Sinn, so viele Bürger auszusparen und eine geschlossene Veranstaltung zu machen?“, fragt sich die Kreuzbergerin. Seit 30 Jahren wohnt sie am Südstern, am Marheinekeplatz ist sie oft unterwegs – aber warum darf gerade sie am heutigen Dienstag mit 50 anderen in einer Schulaula über die Umgestaltung der Bergmannstraße diskutieren? Per „Zufallsstichprobe“ wurde sie eingeladen, und sie will auch hingehen. Um ihre Meinung zu sagen, nicht wegen der 30 Euro „Aufwandsentschädigung“: „Kopfgeld für Claqueure“, findet sie.

Nicht nur Woll regt sich zurzeit auf, wenn das Gespräch auf die Bergmannstraße kommt. Viele AnwohnerInnen und vor allem Gewerbetreibende im Kiez stören sich am Plan von Senat und Bezirk, die Flaniermeile zwischen Mehringdamm und Marheineke-Markthalle zu Berlins zweiter „Begegnungszone“ zu machen. Sie befürchten, dass die Straße mit viel Geld und noch mehr Pollern ihres Charmes beraubt wird. Auf der exklusiven Bürgerversammlung legt das Planungsbüro LK Argus heute erste Skizzen vor.

Ob die Planer mit viel Widerstand gerechnet haben, ist unklar. Aus ihrer Sicht tun sie den Anwohnern ja etwas Gutes mit dem „Modellprojekt 5“ der „Berliner Fußverkehrsstrategie“. Mit drei Begegnungszonen – in der Schöneberger Maaßenstraße, in der Bergmannstraße und am Checkpoint Charlie – will man „Ideen entwickeln, wie Straßen künftig aussehen könnten, damit das Zu-Fuß-Gehen einfacher und sicherer sowie die Aufenthaltsqualität gefördert wird“, so steht es auf den Seiten der Stadtentwicklungsverwaltung.

Weniger Verkehr, weniger Lärm, mehr Flächen für Fußgänger – was ist daran schlimm? Jochen Ziegenhals, Wirt des „Atlantic“, Ecke Nostitzstraße, sieht es so: „Die Bergmannstraße hat Erfolg, weil sie eine gewachsene, urbane Straße ist. Warum machen sie so eine Zone nicht dort, wo es drängende Probleme gibt?“ Als im September die erste Beteiligungsphase startete, sammelte er bei den Gewerbetreibenden in der Straße rund 50 Unterschriften gegen das Projekt.

Berliner Begegnungszonen

Mit einer "Bürgerwerkstatt" für 50 Personen startet heute Phase zwei der Bürgerbeteiligung zur "Begegnungszone" Bergmannstraße. Dabei werden Umbauskizzen vorgestellt, die auch online kommentiert werden können. Am 4. März folgt eine offene Werkstatt im Columbia-Theater.

Die Begegnungszone in der Schöneberger Maaßenstraße hat rund 800.000 Euro gekostet – das deutlich längere Teilstück der Bergmannstraße könnte laut Senat doppelt so teuer werden.

In den "Begegnungszonen" gilt Tempo 20, zudem sollen Verengungen oder künstliche Kurven ("Fahrbahnverschwenkung") für eine Drosselung des Tempos sorgen. Mit dem – ebenfalls umstrittenen – Konzept des "Shared Space", wo Verkehrsregeln quasi aufgehoben sind, haben die Zonen nichts gemein. (clp)

„Ausgeburt von Hässlichkeit“

Nicht, dass für ihn alles zum Besten bestellt ist. „Natürlich könnte die Bergmannstraße ein paar Eingriffe vertragen“, meint Ziegenhals, „etwa gegen die Raser. Aber warum werden nicht Blitzer aufgestellt oder Zebrastreifen aufgemalt?“ Die Probleme ließen sich rein verkehrstechnisch lösen, findet er. „Aber Stadtplaner wollen eben planen, so wie Bäcker backen wollen. Wohin das führt, sehen Sie an der Maaßenstraße, dieser Ausgeburt von Hässlichkeit.“

Tatsächlich ist die im Oktober eröffnete Begegnungszone zwischen Nollendorf- und Winterfeldtplatz nur eine mittelprächtige Werbung. Viele belächeln die bunten Poller, die den mäandernden Parcours für Autofahrer abgrenzen, die Metallbänke, auf denen niemand sitzt. „Als Referenzpunkt hilft uns das nicht so viel im Moment“, sagt selbst Hans Panhoff, der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg. Er plädiert dafür, die warme Jahreszeit abzuwarten. Dann werde man sehen, ob sich die leergeräumte Maaßenstraße mit Leben füllt.

Die Bergmannstraße könnte ein paar Eingriffe vertragen

Wirt Jochen Ziegenhals

Durchblicken lässt Panhoff, dass er Fahrbahn-„Verschwenkungen“ eher nicht favorisiert. Ein reine Verkehrsregulierung sei jedoch auch keine Lösung: „Sie können ja nicht alle hundert Meter eine Radarfalle aufstellen.“ Man werde behutsam vorgehen und eine Umgestaltung „nicht gegen alle Widerstände erzwingen“. Den Eindruck massiven Widerstands gegen die Pläne hat Panhoff aber gar nicht.

Das sieht man in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung genauso. Kein Wunder, immerhin wurden die Begegnungszonen dort erdacht. Sprecherin Petra Rohland erinnert daran, dass die Bergmannstraße trotz ihres „Flairs und der Quirligkeit“ seit Jahren „im Mittelpunkt von massiven Beschwerden und Verbesserungsvorschlägen“ stehe. „Kritische Stimmen gibt es natürlich auch, die sind aber aus unserer Erfahrung heraus nicht immer repräsentativ für die Mehrheit“, so Rohland. Am Ende werde ohnehin die BVV über das Paket entscheiden.

Für Annemarie Woll sind die Probleme der Straße ohnehin eher Probleme der Gesellschaft. Sie beklagt fehlende Achtsamkeit und Aggressivität – bei allen Verkehrsteilnehmern. „Ich möchte auf dem breiten Berliner Trottoir gedankenverloren flanieren können, ohne umgefahren zu werden“, sagt sie. Es ist zu befürchten, dass sich daran so schnell nichts ändert.

*Name geändert

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3 Kommentare

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  • In der kürzlich fertiggestellten (Begegnungs-) Zone Maaßenstr. begegnen wir der planerischen Schlichtheit eines Entwurfes aus der wohl abgebrochenen Feder des Regionalmanagements CITY West, das sich mit der ausgeführten Planung hart an der Grenze zur städtebaulicher Barbarei bewegt. In enger Zusammenarbeit vielleicht mit Lichtner Dyckerhoff Beton oder der Zementwerk Berlin GmbH ist es den Herren Gäbler und Krüger sowie Frau Schöttler gelungen, durch Betonierung des öffentlichen Raumes (Public Lean Design) eine pflegeleichte und rückfragenfreie Quartierdurchfahrt zu verunstalten. Die Frequenz der Inanspruchnahme hat wie gewünscht schon nachgelassen. Gleiches dürfen nun die Nutzer des Bergmannkiezes erwarten. Die Flaneure des Bergmannkiezes sind nicht nur fußläufige Besucher! Die Umsatzeinbußen des Gewerbes interessieren niemanden, aber das auch Kunden ausbleiben, die ja die Begegnungsmenge der "Zone" darstellen, entgeht der Weitsicht der planenden Frühstücksdirektoren. Verkehr und Raserei müssen beschränkt werden - keine Frage, aber Bodenwellen o.ä. hätten es auch getan. Oder Grün statt Beton. Die vernunfteinschläfernden Begründungen für dieses Steinfiasko kann ich nur als unterirdisch voraus-eilenden Gehorsam einer vermeintlich urbangrünen Kiezbevölkerung gegenüber verstehen, die aber nicht - wie von den Planern wohl antiziepiert - an Geschmacksverirrung erkrankt ist. Es sieht so schlimm aus, wie nach dem Krieg in Hannover, wo Stadtplaner ihren Ing. noch für einen Sack Kartoffeln bekamen, und die Stadt in den 60ern dann entsprechend aussah. Die Verwaltungs-Apparatschiks haben nun sogar einer Ladenbesitzerin der Maaßenstr., die mit 2 Blumenkübeln vor ihrem Geschäft die Tristesse auflockern wollte, 10.000 € Strafgeld angedroht. Dazu ins Verhältnis gesetzt, müsste eigentlich jetzt über Haftstrafen für Stadtplaner u.a. nachgedacht werden.

    Danke CITY WEST, danke SPD für die visuelle Kakofonie des Unlebendigen!

     

    Mela nie wieder

  • Warum lässt man sich die Bergmannstraße nicht weiter entwickeln. Ohne gravierende Eingriffe, die den Charakter zerstören. Wir haben schon zu viele "kaputtverschönte" Plätze. Für den Verkehr braucht es sicher neue Konzepte, z.B. mehr Parkhäuser um die Straßen zu entlasten. Gegen Raser helfen auch alte Mittel, wie die "liegenden Polizisten". Da braucht es keine "Verschwenkungen" .

  • Stadt ist Veränderung.

     

    Die Bergmannstraße verändert ihr Gesicht. Einzelhandel wird zunehmend von Gastronomie verdrängt, was einher geht mit zunehmendem Tourismus. Und eigentlich auch nur ein Symptom für die weit fortgeschrittene Gentrifizierung darstellt.

     

    Warum diese Marktmechanismen nicht einmal um ein planwirtschaftliches Konzept ergänzen? Und den automobilen Verkehr, der in dieser Gegend überwiegend aus Parkplatzsuchenden besteht, zugunsten anderer Verkehrsteilnehmer eindämmen?

    Kann sein, dass das zu noch mehr Partymeile führt, es macht die Straße aber auch für "ansässige" Fußgänger lebenswerter.

     

    Dass sich Widerstand regt, ist doch normal. Da sind die Gewerbetreibenden, die um Umsätze fürchten, weil PKW fahrende Kunden sie nicht mehr erreichen würden. Und das bei der katastrophalen Parkplatzsituation - ausgenommen die Tiefgarage, die aber kaum in Anspruch genommen wird! Da sind warnende Stimmen vor einer Provinzialisierung - dabei ist schneller Verkehr automobilgerechte Infrastruktur doch gerade ein Merkmal ländlicher Gegenden!

     

    1.5 Millionen Euro sind ja nicht viel Geld im Stadtbaukontext. Ob alles besser wird oder nicht entscheiden auch weniger die Planer, sondern die Menschen durch die Nutzung der Gegebenheiten. Und ihre Mitarbeit bei der Planung.

     

    Stadt ist Veränderung. Die wir mitgestalten können.