: Die Erfindung von Krautrock
KAUZ Einst begründete der Gitarrist Michael Rother in der Band Neu! ein eigenes Genre. Am Montag spielt er in der Volksbühne
Höchste Zeit, eine Hymne auf das Eigenbrötlerische und das Kauzige anzustimmen. Ohne diese charakterlichen Eigenschaften wäre die Popgeschichte des 20. Jahrhunderts jedenfalls um einige Kapitel ärmer. Zum Beispiel um das Kapitel Krautrock. So lautet die bis heute gängige Genrebezeichnung des Musikentwurfs, den Bands wie Kraftwerk, Can, Harmonia, Neu!, Cluster oder Tangerine Dream in den 70ern vertraten und der – besonders für deutsche Verhältnisse – wegweisend und visionär war.
Für die Erfindung von Krautrock brauchte es diese leicht verschrobenen, nerdigen Typen, die die bis dato gültigen Grenzen von Komposition und Musikproduktion nicht einfach so hinnahmen. Die mit Synthesizern und spacigen Sounds, Field Recordings und Loops operierten und denen es zum Beispiel schnurz war, dass ein Popsong sich an einer zeitlichen Norm – einer bestimmten Länge etwa – zu orientieren hatte.
Michael Rother ist einer der bedeutendsten Vertreter dieser Generation, er hat sowohl bei den frühen Kraftwerk als auch bei Harmonia und bei Neu! mitgemischt. Das Musikverständnis des Krautrock-Zirkels hat der heute 65-Jährige in einem De:Bug-Interview mal recht gut auf den Punkt gebracht: „Einfach spielen. Nach vorne streben, sich am Horizont ausrichten. Nicht gucken, was links und rechts ist. Sich nicht bremsen lassen. Durch alle Mauern. Grenzen sprengen. Fliegen.” Eine solche Herangehensweise an das kreative Schaffen einte ihn mit Künstlern wie seinen ehemaligen Bandkollegen Hans-Joachim Roedelius (Harmonia), den verstorbenen Neu!-Schlagzeuger Klaus Dinger, Jaki Liebezeit (Can) oder auch den ebenfalls verstorbenen Produzenten dieser Bands, Conny Plank. Die ganze Kraut-Clique eben.
Flammende Herzen
Die Auftritte Rothers sind – zumindest in Deutschland – rar, von daher darf man gespannt sein auf zwei Veranstaltungen, die in den kommenden Tagen in Berlin stattfinden. Zuvorderst auf das Konzert am kommenden Montag in der Volksbühne, für das Rother Songs aus dem Repertoire seiner Bands genauso wie Solo-Werke ankündigt. Mit Drummer Hans Lampe ist ein Neu!-Mitglied dabei, komplettiert wird das Trio vom Gitarristen Franz Bargmann, der früher bei der Berliner Band Camera spielte. Bereits einen Tag vor dem Konzert, am Sonntag, ist Michael Rother im Gespräch mit dem Journalisten Max Dax auf dem Podium im Acud macht Neu zu sehen und zu hören.
Rother ist dabei vielleicht der einzige aus dieser Generation, der es früh zu wirklichen Erfolgen brachte. Zunächst nahm Rother mit Neu! und Harmonia bis Mitte der 70er Jahre Alben wie „Neu!“ und „Neu! 2“ sowie Harmonias „Deluxe“ auf, die später als epochal galten, damals aber in der Nische blieben. Songs wie das repetitive „Deluxe (Immer Wieder)“ von Harmonia oder „Hallogallo“ von Neu! sollten zu Klassikern werden und ihre Spuren in den folgenden musikalischen Epochen wie NoWave, Postrock oder auch im Techno hinterlassen. Ende der Siebziger startete Rother eine Solokarriere und verkaufte mit seinem Debüt „Flammende Herzen“ (1977, Soundtrack zum gleichnamigen Film) gleich mal mehr Alben als er je mit seinen Bands an den Mann und an die Frau gebracht hatte (von über 150.000 Exemplaren ist die Rede). Konstante in seinem Solo-Werk blieben in der Folge die nach Vorabendserie klingenden Titel („Sterntaler“, „Süssherz und Tiefenschärfe“, „Traumreisen“) und ein feiner Sinn für Ironie. Dass Rother bis Ende der 80er zwar immer wieder Alben veröffentlichte und für diese gefeiert wurde, aber live nicht in Erscheinung trat, passt gut zu den Künstlern dieser Ära, denen Startum fernlag.
In der Reihe an Bands, die Neu! als wichtige Inspirationsquelle nennen, finden sich Namen wie Sonic Youth, LCD Soundsystem oder Radiohead. Auch zu David Bowie gab es eine gewisse Nähe, da Brian Eno sowohl mit den deutschen Avantgardisten als auch mit dem verstorbenen britischen Ausnahmekünstler kooperierte (Bowies „Heroes“ bezieht sich übrigens auf den Neu!-Song „Hero“).
Wer sich in aller Ausführlichkeit dem Werk Rothers und seiner Kompagnons widmen will, der ist bei dem von Herbert Grönemeyer betriebenen Grönland-Label an der richtigen Adresse. Das Gesamtwerk von Harmonia ist dort kürzlich als Vinyl-Box („Complete Works“) erschienen, auch von Neu! gab es einige Reissues. Daneben ist das Hamburger Label Bureau B fleißiger Wiederveröffentlicher des umfangreichen Kraut-Katalogs.
Rother ist übrigens weiterhin im Weserbergland zu Hause, wo die Band Harmonia damals als Musikkommune startete. Mitte der 70er war das, als die Käuze zueinander fanden. Jens Uthoff
Michael Rother im Gespräch mit Max Dax: 24. Januar, 19 Uhr, Acud macht Neu, Veteranenstraße 21. Und: Michael Rother plays Neu!, Harmonia & Solo Works: 25. Januar, Volksbühne, 20 Uhr
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