piwik no script img

Von Arkadien und Merkiavelli

FESTIVAL Hellas Filmbox zeigt das neue griechische Kino in seiner ganzen Breite. Auch die Beziehung zu Europa ist Thema

„Wie eine Ratte“: Die Doku „Paolo‘s Dream“ (2014) porträtiert einen Mann, der auf dem Dach eines zerstörten Hauses in Athen lebt Foto: Promo

von Carolin Weidner

„Griechischer Film hat deutlich mehr Griechenland zu bieten als deutsche Tagespresse“, erklären die MacherInnen von Hellas Filmbox. Das ist ein Filmfestival, das seit vergangenem Frühjahr vorbereitet und nun vom 21. bis zum 24. Januar in das Kino Babylon Mitte Einzug halten wird. Es ist das erste seiner Art in Berlin und hält jener eingangs gemachten Behauptung stand. Grund hierfür ist vor allem die Breite des zusammengestellten Filmprogramms, das das gegenwärtige und vergangene Griechenland zusammenführt – und das nicht selten sogar innerhalb eines Films.

Unterfütterung erfährt das Programm zudem durch interessante Nebenveranstaltungen. So lädt James Chressanthis zu einer Masterclass, die sich mit dem Kino im digitalen Zeitalter befasst, während Michael Kastenbaum einen Workshop mit Titel „Storytelling and Filmmaking: A Tool for Advocacy and Social Justice“ angekündigt hat. Interessant verspricht auch Jannis Zotos Konzertabend im B-Flat zu werden.

Dabei wird die Beziehung zwischen Griechenland und Europa auch in einigen Filmen zum Gegenstand – etwa in Stella Theodorakis’„Amnesia Diaries“ (2012), in welchem sich alte Super-8-Aufnahmen mit Beobachtungen aus dem heutigen Griechenland vermengen. Darüber hinaus wartet Hellas Filmbox mit einem nicht explizit formulierten, so doch zweifelsfrei erkennbaren Griechenland-Deutschland-Fokus auf, der sich bis in die Zeit des Nationalsozialismus erstreckt.

In „Küsse für die Kinder“ (Vassilis Loules, 2012) lassen fünf Griechen aus jüdischen Familien, die eine Kindheit im Angesicht deutscher Besatzung er- und überlebten, an ihren Erlebnissen teilhaben. Regisseur Vassilis Loules hat für die Vorführung am Sonntagabend sein Kommen aus Athen versprochen. Und auch der für Syriza im EU-Parlament sitzende Investigativjournalist Stelios Kouloglou wird im Rahmen von Hellas Filmbox zu begrüßen sein. Sein Film „Die Patin“, ein Porträt Angela „Merkiavelli“ Merkels, befasst sich sowohl mit der Biografie der Kanzlerin als auch mit ihrer maßgeblichen Rolle während der Finanzkrise.

Das Programm führt gegenwärtiges und vergangenes Griechenland zusammen

Auf subtilere Weise arbeitet sich „Boy Eating the Bird‘s Food“(2012) von Ektoras Lygizos an deutschen Vermächtnissen ab: an Bachs Arie „Erbarme dich, mein Gott“ aus der Matthäuspassion zum Beispiel. Dieser stellt sich der 23-jährige Yorgos als Sangesaufgabe – und fällt prompt in Ohnmacht. Doch ist dies nicht die einzige Sorge des jungen Mannes. Als ihm das Geld ausgeht, macht er sich schon mal über die Körner seines Haustiervogels her. Wie verantwortlich der junge Mann für sein Dilemma ist, hält Lygizos im Vagen. Nervlich in nicht mehr ganz erträglichen Gefilden wandelt auch Orsa Saltafero in Pantelis Voulgaris „Little England“ (2013), einem Familienepos, das Hellas Filmbox eröffnen wird. Orsa ist es nicht vergönnt, ihre große Liebe Spyros Anfang der 30er Jahre zu ehelichen. Unwissentlich schlüpft ihre jüngere Schwester Moscha dafür in die Rolle, woran Orsa im Voranschreiten der Jahre zu zerbrechen droht. Ein wenig schwülstig beginnend entwickelt „Little England“ eine aggressiv-dramatische Spielkraft. Insbesondere die beiden Hauptdarstellerinnen erinnern mehr und mehr an die unter der Oberfläche tief verwundeten Frauenfiguren, wie man sie etwa aus Ingmar Bergmans schwer auszuhaltendem „Schreie und Flüstern“ (1972) kennt.

Von dramatischen Einzelschicksalen absehend und sich lieber in eine Topografie Griechenlands versenkend, zieht „Grüß dich, Arkadien“ (2015) von Filippos Koutsaftis unbefahrene Straßen entlang, zeigt von Alten bewohnte Städtchen und auf der Erde verteilte Säulenteile. In einem beinahe ununterbrochenen Erzählstrom sucht eine Stimme derweil die einzelnen Steine wieder zusammenzuführen. Ein intellektueller Versuch, den Koutsaftis mit umso eindrücklicheren Bildstrecken vom Landleben unterlegt, an welchen man sich nicht sattsehen kann.

Hellas Filmbox: Babylon Mitte, 22.–24. 1. Infos – auch zu dem Rahmenprogramm – unter: www.hellasfilmbox.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen