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Schiebung auf allen Belägen

TENNIS Das erste Grand-Slam-Turnier des Jahres läuft im australischen Melbourne, und doch redet derzeit keiner überTie-Breaks, Returns und Stoppbälle, sondern über die grassierende Seucheder Spielmanipulation

Zweite Welt: Auch im Tennis gibt es ein Schattenreich, wo Spiele verdealt werden Foto: dpa

aus Melbourne Doris Henkel

Der Himmel war blau, doch in den Katakomben der Rod-Laver-Arena war die Stimmung mies. Noch bevor der erste Ball bei den Australian Open gespielt wurde, dem ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres, ging es um Manipulationen. Die britische Fernsehgesellschaft BBC und das US-Portal BuzzFeed berichteten am Montag von geheimen Unterlagen, die Spielabsprachen und Wettbetrug auf höchstem Niveau im Welttennis belegen. Dem Bericht folgend sollen im zurückliegenden Jahrzehnt 16 Spieler aus den Top 50 auffällig geworden sein, darunter offenbar auch Gewinner von Grand-Slam-Titeln. Aber in keinem dieser Fälle, so die Quintessenz der Kritik, sollen trotz der Verdachtsmomente von den zuständigen Stellen Maßnahmen ergriffen, Sperren verhängt worden sein.

In den Dokumenten wird von Wettsyndikaten in Russland, Norditalien und Sizilien berichtet. 28 Spieler insgesamt sollen an gekauften Partien beteiligt gewesen sein, drei davon in Wimbledon stattgefunden haben, Namen wurden nicht genannt. Der Chef der Spielerorganisation ATP, Chris Kermode, wies in Melbourne im Namen aller Tennis-Organisationen die Vermutung zurück, entdeckte Fälle des Wettbetrugs könnten nicht verfolgt oder nicht gründlich genug untersucht worden sein: „Die Kommission muss Beweise finden, nicht nur Informationen, Unterstellungen und Behauptungen“, sagte er, „eine ein Jahr dauernde Untersuchung des Vorfalls von Sopot 2007 hat etwa keine ausreichenden Beweise gefunden.“

Im Fall von Sopot hatte es sich um ein Spiel zwischen dem Russen Nikolai Dawidenko und Martin Vassallo Arguello aus Argentinien gehandelt, die beide zurückgetreten sind. Ungewöhnlich hohe Wetteinsätze von insgesamt sieben Millionen US-Dollar waren auf das Spiel eingegangen, mehr als ein Jahr lang war der Vorgang danach untersucht worden, bis beide Spieler im Herbst 2008 von den Vorwürfen freigesprochen worden waren. Der Österreicher Daniel Köllerer, einst Nummer 51 der Weltrangliste, wurde dagegen 2011 auf Lebenszeit wegen Spielmanipulation gesperrt, sein Einspruch vor dem Internationalen Sportgerichtshof (Cas) wurde abgewiesen.

Um besser mit den Herausforderungen in solchen Fällen umgehen und früher handeln zu können, hatte die ATP 2008 die Tennis Integrity Kommission (TUI) installiert, quasi eine Antikorruptionspolizei, geleitet von ehemaligen Scotland-Yard-Beamten. Im Geschäft mit Sportwetten werden weltweit Millionen umgesetzt, und die Vermutung, im Tennis könnte es keine Absprachen geben, ist naiv. Anders als bei Mannschaftssportarten sind nur zwei Spieler involviert, da lassen sich Dinge theoretisch leicht regeln. Die Deutsche Spitzenspielerin Andrea Petkovic berichtete beispielsweise, sie habe in der Offenbacher Akademie, in der sie trainiere, von jüngeren Spielern gehört, denen finanzielle Angebote unterbreitet worden seien.

Bei konkreten Verdachtsfällen kann der Verband die Prüfung von Smartphones, Computern und Laptops der Profis fordern

Bisher wurde angenommen, Spieler aus den hinteren Regionen der Rangliste seien in erster Linie potenzielle Adressaten für Betrüger. Die von der BBC und BuzzFeed bekannt gemachten Vorwürfe gehen insofern darüber hinaus, als darin die Rede vom berühmtesten Tennisturnier der Welt und von Grand-Slam-Siegern ist. Der Erste der Weltrangliste, Novak Djokovic, bestätigte, indirekt selbst betroffen gewesen zu sein. Auf die Frage, ob es stimme, dass ihm 2007 ein Betrag von 200.000 Dollar angeboten worden sei, um ein Erstrundenspiel bei einem Turnier in St. Petersburg zu verlieren, antwortete er, er sei nicht persönlich angesprochen worden, sondern ein Mitglied seines damaligen Teams. In den letzten sechs, sieben Jahren sei ihm aber nichts Vergleichbares passiert. Aus seiner Sicht ist die Sache ganz klar: „Das ist für mich ein krimineller Akt. Ich denke, dafür sollte in keinem Sport Platz sein, speziell nicht im Tennis.“

Eine Theorie zur Lösung des Problems besagt, es könne helfen, kleinere Turniere besser zu dotieren und Spielern aus den hinteren Rängen damit bessere Verdienstmöglichkeiten zu geben und sie damit nicht zu leichten Opfern der Wettbetrüger zu machen. Roger Federer kann damit nichts anfangen. Wer so denke, sagt er, liege falsch. „Es kommt nicht darauf an, wie viel Geld du in das System pumpst. Es wird immer Leute geben, die Spielern Angebote machen werden, egal in welchem Sport.“

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