: Spitzfindige Lüge über geheime Fandatei
AUSGEFORSCHT Die Hamburger Polizei führt seit Jahren eine Datei über vermeintlich gewaltbereite Fans – und hat das mehrfach geleugnet. Von fast 2.200 Personen sind Adressen, Fotos und sogar soziales Umfeld erfasst
So eine Datei gibt es nicht: Im Brustton der Überzeugung verneinte die Hamburger Polizei im Juli 2014 die Anfrage des Piraten-Politikers Burkhard Masseida, ob der Stadtstaat eine Fandatei führe, in der gewaltbereite Anhänger der Hamburger Sportvereine samt ihrem engen Umfeld aufgelistet sind. Am Wochenende aber kam nun aufgrund einer neuerlichen Anfrage der Hamburger Linkspartei-Politikerin Christiane Schneider heraus: Alles gelogen. Eine entsprechende elektronische Akte wird in Hamburg bereits seit der Fußball-WM 2006 geführt. Fast 2.200 Personen sind darin erfasst, darunter 1.070 Fans des HSV, 426 Anhänger des FC St. Pauli und 30 Hamburger Handball- und Eishockey-Begeisterte.
„Dieser Fehler ist bedauerlich“, entschuldigt sich Polizeipressesprecher Timo Zill für die faustdicke Lüge, die er anfangs noch versucht hatte, kleinzureden: Die Piraten hätten in ihrer Anfrage auf eine vergleichbare Berliner Datei Bezug genommen und die Kollegen die Frage nun mal „buchstabengetreu beantwortet und sind zu dem Schluss gekommen, dass die Hamburger Datei nicht der Berliner entspricht“.
Diese Spitzfindigkeit findet in der Fanszene nun wenig Anklang. Der Leiter des HSV-Fanprojekts spricht von einem Skandal und beklagt, dass „Menschen, die strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten sind“, hier in „geheimen Dateien unter Generalverdacht gestellt“ würden. Von einem „herben Rückschlag“ im „Verhältnis zwischen den Fans des FC St. Pauli und der Hamburger Polizei“, spricht der FC St. Pauli-Fanladen: „Uns selbst gegenüber wurde auf persönliche Nachfrage bei einem Hamburger „szenekundigen“ Beamten die Existenz einer solchen Datei verneint“, fühlt sich der Fanladen getäuscht.
Auch der Hamburger Datenschutzbeaufragte Johannes Caspar betonte gegenüber dem Hamburger Abendblatt, dass auch die Polizei verpflichtet ist, „vollständige und richtige Antworten zu geben“. Die Linkspolitikerin Schneider stellt drei Fragen, die es nun „zu klären“ gelte: „Hamburg ist schon an der bundesweiten Datei „Gewalttäter Sport“ beteiligt, warum gibt es eine zweite? Warum auch das Interesse an Geheimhaltung? Und warum schließlich werden nicht nur Beschuldigte und Verdächtige, sondern auch deren Begleit- und Kontaktpersonen gespeichert?“ Schneider rät allen potentiell Betroffenen „ein Auskunftsersuchen zu stellen“.
Erst im vergangenen Jahr war bekannt geworden, dass die Polizeidirektion Hannover ebenfalls seit 2005 eine vergleichbare Fandatei geführt hat, deren Existenz aber gezielt verheimlicht hatte.Marco Carini
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