Kolumne Behelfsetikett: Personal Jesus
Warum ich David Bowie schon als Kind lieben lernte und lange Zeit keine Schallplatte von ihm kaufen konnte. Ein sehr persönlicher Nachruf
Früher war eben doch nicht alles besser: Einmal pro Woche bin ich mit dem Bus von meinem Heimatkaff in die nächste Kleinstadt gefahren. Der Ikarus (eine ungarische Marke) juckelte rund 30 Minuten übers Land. Eine Stunde hatte ich Zeit in dem Städtchen an der Elbe, doch das reichte allemal, denn ich hatte nur ein Ziel: die „Volksbuchhandlung“.
Rein prophylaktisch suchte ich regelmäßig den einzigen Ort weit und breit auf, der Bücher und Schallplatten verkaufte. Ich war auf Raritäten aus Ost und West aus. Die neuen Bücher von Christa Wolf oder Klassiker wie „Der Fänger im Roggen“ waren absolut schwer zu bekommen, sie ließen sich nicht einfach kaufen. Man musste Beziehungen haben, um an diese „Bückware“ zu kommen. Bückware hieß es deshalb, weil sich der dem Kunden geneigte Verkäufer bücken musste, um die begehrte und zurückgelegte Ware aus den Untiefen des Verkaufstresens hervorzuholen. Oder man brauchte Glück. Na ja, ich musste Glück haben.
Die Planwirtschaft war völlig unplanbar. In einer Mangelgesellschaft wie der DDR wusste der Kunde nie, wann und wo es etwas zu kaufen gab. Mal war Papier knapp, dann wieder Druckerfarbe oder Vinyl (also Erdöl), vor allem aber fehlten Devisen für Lizenzgebühren fürs Liedgut aus dem kapitalistischen Ausland. Mal gab’s aber auch was zu kaufen – aus heiterem Himmel.
Natürlich hatte ich ab und an Glück. So kam ich über die Jahre an Westplatten von zum Beispiel The Police, Silver Convention, Amanda Lear, Abba oder The Cure (und auch ein Salinger-Exemplar fing ich irgendwann ein). Es handelte sich um Lizenzpressungen des DDR-Staatslabels Amiga. Und so bin ich damals ganz naiv davon ausgegangen, dass ich eines Tages auch eine Schallplatte meines Lieblingssängers kaufen könnte. Warum denn nicht? Ich musste nur ein paar Jahre warten: Je älter die Westplatte, desto geringer die Lizenzgebühren, desto wahrscheinlicher eine DDR-Prägung. Ich wusste es eben nicht besser. He, ich muss ungefähr zwölf Jahre alt gewesen sein, als ich 1979 im NDR zum ersten Mal „Heroes“ von David Bowie bewusst hörte. Das Lied landete natürlich gleich auf dem Rekorder. Ich hatte mehrere Versionen auf Kassette, doch kein Mitschnitt war vollständig. Es war leider schon zu jener Zeit Usus, dass die Radiomoderatoren so lange auf die Musik schwatzten, bis jemand zu singen begann.
Es gab nie eine DDR-Platte von David Bowie
Um es kurz zu machen: Eine David-Bowie-Platte konnte ich zu DDR-Zeiten nie kaufen. Es wurde nie eine aufgelegt. Erst nach der Wende realisierte ich, warum, obwohl ich es hätte wissen können, mein Englisch wäre gut genug dafür gewesen. Bowie hatte dank seinem Song über die Helden für einen Tag, die sich über die deutsch-deutsche Grenze hinweg lieben, nie eine Chance auf eine DDR-Plattenveröffentlichung. Nun, dem Weltstar konnte das herzlich egal sein. Ich aber litt Qualen. Und mit mir sicher viele DDR-Jugendliche. Vor allem schwule.
David Bowie war meine persönliche Ikone, mein personal Jesus. Zusammengesetzt aus wenigen TV-Sequenzen aus dem Westfernsehen und ein paar Bildern aus einer in die DDR geschmuggelten Bravo. Der junge, androgyne Typ war einfach zauberhaft, engelsgleich, überirdisch schön und unglaublich sexy. Seine Lieder, die ausgefallenen Outfits (die engen Hosen!), die tollen Frisuren, das irre Make-up, das coole Britischsein, das Glamouröse, das Schwule – den Begriff queer gab es damals noch nicht – ach, einfach alles! Ich als pummeliger schwuler Junge vom Dorf, alles andere als offen schwul, war verliebt in David Bowie. Der durfte so sein, wie er wollte, und wirkte auf mich wie jemand von einem anderen Stern. Ein Rollenmodell par excellence. Und deshalb angebetet – und so merkwürdig vertraut; ein Wegbegleiter durch die Jahrzehnte. Mit seinen Musikstücken ein Seelentröster in schwierigen Momenten. Der Song „Heroes“ ist das bis heute von mir meist gehörte Lied auf meinem Smartphone.
Und jetzt höre ich „Blackstar“, sein trauriges wie innovatives Abschiedsalbum, rauf und runter. Es wimmelt von Todesbotschaften. In „Lazarus“ zum Beispiel singt David Bowie „Look up here, I’m in Heaven“.
Es ist zum Heulen.
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