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Polizei stürmt besetztes Haus in BerlinEskalation in der Rigaer Straße

Die Polizei stürmt am Mittwochabend das Hausprojekt Rigaer94 in Berlin-Friedrichshain. Zuvor war ein Streifenpolizist angegriffen worden.

Großeinsatz: Die Berliner Polizei dringt ins Gebäude ein Foto: Björn Kietzmann

Berlin taz | Fünf Hundertschaften, zwei Sondereinsatzkommandos, abgeriegelte Straßen, kläffende Polizeihunde und darüber ein stundenlang kreisender Hubschrauber: Der Großeinsatz der Berliner Polizei am Mittwochabend konnte sich sehen lassen. Das Ziel: das autonome Hausprojekt Rigaer94, eines der letzten zumindest zum Teil tatsächlich noch besetzten Häuser in Berlin.

Der Anlass: Am Vormittag war ein Streifenpolizist, der gerade dabei gewesen sei, einen Falschparker aufzuschreiben, von vier Personen angegriffen worden, die anschließend in die Räume der Rigaer94 flüchteten. Der Polizist wurde nach Angaben der Polizei leicht verletzt, sei aber noch in der Lage gewesen, seinen Dienst fortzuführen.

„Wir werden in Berlin keine Rückzugsräume für Straftäter dulden“, erklärte der Sprecher der Berliner Polizei, Stefan Redlich, am Abend. Deswegen habe man sich entschlossen, das Haus „zu begehen und nach gefährlichen Gegenständen zu suchen“. Die Maßnahme beschränke sich aber auf den Hausflur und den Innenhof des Gebäudes – in die Wohnungen werde man nicht eindringen, schließlich liege auch kein Durchsuchungsbeschluss vor. Die Polizei gehe außerdem nicht davon aus, dass sich die Täter des Angriffs vom Vormittag noch in den Räumlichkeiten befänden.

„Wir zeigen mit dieser Maßnahme, dass wir in Berlin keinen Rückzugsort für Straftäter dulden“, sagte Redlich am Mittwochabend. Die Rigaer Straße war rund um das betroffene Haus auch für Presse und Abgeordnete gesperrt. An den Absperrungen versammelten sich SympathisantInnen des Hausprojekts. Die Stimmung blieb friedlich, allerdings beschwerten sich AnwohnerInnen darüber, von der Polizei nicht zu ihren Häusern gelassen zu werden.

Um Mitternacht zog die Polizei eine erste Bilanz: Im Keller und Innenhof des Hauses seien Steine, Eisenstangen und Krähenfüße, mit denen Autos am Wegfahren gehindert werden können, gefunden worden. Auf Twitter veröffentlichte die Berliner Polizei Bilder von ihren Funden, darunter einige Pflastersteine in einem Einkaufswagen, eine Gasflasche sowie mehrere Feuerlöscher. Festgenommen wurde laut Polizei niemand.

Anwohner sprechen von einem Gefahrengebiet

Die Rigaer Straße und der umgebende Friedrichshainer Nordkiez waren einst Zentren der Hausbesetzerszene im Osten der Stadt, mittlerweile wirken die verbliebenen Hausprojekte und linken Kneipen wie Inseln in einem ansonsten größtenteils durchsanierten Wohnkiez. Insbesondere die Rigaer94 steht seit einigen Jahren aber verstärkt im Fokus von Polizei und Verfassungsschutz: Das Haus, in dem sich die Kneipe „Kadterschmiede“ befindet, sei die „wohl wichtigste Institution der Berliner Anarcho-Szene“ und „Ausgangspunkt und Rückzugsort von bzw. nach militanten Aktionen“, schreibt der Berliner Verfassungsschutz.

Seit einigen Monaten wird die Stimmung im Kiez zunehmend angespannter: Die Anzahl der Polizeistreifen wurde massiv erhöht, die Polizei führt immer wieder verdachtsunabhängige Personenkontrollen durch. Anwohner sprechen von einem Gefahrengebiet und fühlen sich schikaniert, die Polizei und Innensenator Frank Henkel (CDU) verweisen auf die Gefahr, die von diesem Gebiet für Polizisten ausgehe – im September hatten Unbekannte vom Dach eines Hauses Steine auf einen Polizeiwagen geworfen. Schon am Mittwochnachmittag hatte Henkel erklärt, den Angriff auf den Polizisten werde „der Rechtsstaat nicht unbeantwortet lassen“.

Die Stimmung auf der Straße ist klar am Mittwochabend: „Die Polizei will hier einfach mal ne Ansage schieben“, sagt eine Anwohnerin. Auch Polizeisprecher Stefan Redlich verheimlicht nicht, dass es bei dem Einsatz nicht um konkrete Ermittlungsarbeit, als vielmehr um einen Beitrag in dem sich hochschaukelnden Konflikt zwischen der Polizei und dem Kiez geht: „Es geht darum, hier Entschlossenheit zu demonstrieren, wir werden klarstellen, dass man einen Polizisten nicht angreift.“ In einer Stellungnahme, die BewohnerInnen des Hausprojekts während des Einsatzes auf dem linken Internetportal Indymedia veröffentlichten, sprechen sie von überzogener Hetze seitens der Polizei.

Aus der Opposition wurde der Einsatz am Donnerstag scharf kritisiert. „Offensichtlich geht es darum, dass Innensenator Henkel ein halbes Jahr vor der Wahl den Hardliner raushängen lassen möchte“, sagte die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram. Henkel selbst verteidigte den Einsatz: „Ich dulde keine Rückzugsräume für Gewalttäter“, so der Senator am Donnerstag, den Einsatz unterstütze er „zu hundert Prozent“. Die Opposition kündigte an, die Ereignisse zum Thema der nächsten Sitzung des Innenausschusses zu machen.

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13 Kommentare

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  • Gleiches "Recht" für alle? Rechte zertrümmern einen Stadtteil, zünden Flüchtlingsunterkünfte an, jagen und verletzen ausländische Menschen, laufen trotz Strafbefehls frei herum, aber hunderte von Polizisten sind hinter vier LINKEN mutmaßlichen Straftätern her, das geht? Der Rechtsstaat war und ist bis heute, auf dem rechten Auge blind.

  • Dort werden keine Rückzugräume für Gewalttäter geduldet. Am Kotti werden die Menschen allein gelassen.

  • Die Morgenpost in Berlin berichtet: http://www.morgenpost.de/berlin/article206919825/Grosseinsatz-nach-Angriff-auf-Polizisten-an-der-Rigaer-Strasse.html

    Auszug:

    „500 Polizisten waren am Abend an der Rigaer Straße im Einsatz, darunter auch etwa 20 Beamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK). Hundestaffeln wurden ebenso eingesetzt wie ein Polizeihubschrauber, der zeitweise über der Szenerie kreiste. Auch auf den Dächern der umliegenden Häuser waren Beamte unterwegs. Die Rigaer Straße wurde zwischen Liebig- und Zellestraße komplett abgeriegelt.

    Es waren nicht deutsche Frauen von schwarzen Händen bedroht. Nein, die Staatsmacht fühlte sich bedroht. Den Anlass des Polizeieinsatzes liest man ausführlicher hier: http://www.morgenpost.de/berlin/article206918459/Polizist-stellt-Knoellchen-aus-und-wird-niedergeschlagen.html

    Also, noch einmal ganz langsam. Ein Kontaktbereichsbeamter schreibt ein „Knöllchen“. Es kommt zu einer Auseinandersetzung. Am Ende: Hubschrauber, Hundestaffel, 500 Beamte, 20 Beamte SEK.

    Der knöllchenschreibende Kontaktbereichsbeamte ist also ein höher zu schützendes Rechtsgut als aufreizend gekleidete Frauen am Kölner Hauptbahnhof, die nicht eine Hitlergrußlänge Abstand halten von schwarzen Männern. Extrapoliere ich mal.

    In Berlin ist es also möglich, zeitnah 500 Beamte, Hundestaffeln, einen Hubschrauber, 20 Beamte SEK in Marsch und Einsatz zu bringen. In Köln ist eine solche logistische Leistung am Hauptbahnhof nicht möglich. Und leise kommt der Verdacht auf, das man in der Sylvesternacht einen Vorgang instrumentalisieren wollte, so wie man am 13. 1. den Knöllchenvorfall instrumentalisierte.

    Wo sind wir hier eigentlich?

     

    Wahrscheinlich immer noch hier:

    https://www.youtube.com/watch?v=JT7G-6_pGWs

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Schön wäre es, die Polizei ginge gegen rechte Straftäter genauso vor. Aber das kann man von CDU-Henkel nicht erwarten. Das könnte ja Stimmen kosten...

  • Was Ortsfremde vielleicht nicht wissen: Bei der Riga94 handelt es sich um ein verbarrikadiertes Haus, von dessen Dach regelmäßig Gegenstände auf Polizeiautos geworfen werden. Es sind sogar schon falsche Hilferufe an die Polizei ergangen, nur um die Streifen dann beim Eintreffen anzugreifen. Da im Umfeld der Straße regelmäßig Autos brennen, wird von nicht wenigen Anwohnern der gestrige Einsatz der Polizei positiv gesehen.

    • @Mark_Sch:

      Ja klar.

      Früher in Westberln wurden auch immer Steine vom Mehringhof auf Bullenwagen geworfen. -Vom 2. Hinterhof aus...

      Bis heute behaupten Bullen, daß da eine Schußwaffe auf Polizeibeamte gerichtet worden sei.

      Wahnvorstellungen von berliner Bullen!

    • @Mark_Sch:

      Ist klar, glauben Sie den Blödsinn eigentlich selber?

  • Nur mal wegen der Relation - besoffene Unruhen an Silvester: 200 Mann.

    4 Linke in einem Haus: 500 Mann

    Es ist nicht so, dass wir zu wenig Polizisten haben, die sind nur alle mit viel wichtigerem beschäftigt, als die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten.

    • @Frank N. Stein:

      @Frank N. Stein

      oder über 20tsd. Beamte um 7 Personen in Elmenau zu schützen? Als blockupy in Frankfurt/Bankenviertel, friedlich gegen die Spekulanten demonstrieren wollten, wurde halb Frankfurt abgesperrt?

  • Fotos von einem "kleinen Teil der Gegenstände" die dort gefunden wurden findet man hier.

    https://twitter.com/polizeiberlin/status/687416452874407937

     

    Ich frage mich allerdings was ein Gartentor, eine Hantel, Feuerlöscher und eine Gasflasche im Keller gefährlich machen.

    Naja, vor ein paar Monaten hatte die hamburger Polizei ja auch Angst vor Klobürsten.

    • @Stefan mit f:

      Doof isse nicht, die Berliner Polizei - keiner der aufgezählten Gegenstände eignet sich so gut wie die Klobürste als Zeichen des Protestes, da für den alltäglichen Rucksacktransport zu schwer.

  • Könnte man die Überwachung des ruhenden Verkehrs nicht einfach an die Bewohner delegieren? Falschparker, deren Autos dafür angezündet werden, tun's bestimmt nicht wieder!