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Kommentar Grenzen auf dem BalkanVersuchte Nötigung

Daniél Kretschmar
Kommentar von Daniél Kretschmar

Österreich sucht nach Partnern zur Grenzsicherung. Damit wird auch ein erwartbares flüchtlingspolitisches Signal nach Deutschland gesandt.

Gesamteuropäische Lösung auf nationaler Ebene: Einfach überall Zäune bauen, wie hier zwischen Slowenien und Kroatien. Foto: dpa

D er Flaschenhals für die Flüchtlinge auf der Westbalkan-Route wird enger. Die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner erklärte gegenüber Spiegel Online, dass bereits in Slowenien oder Kroatien die europäische Grenze zu sichern sei.

Dieser neuerliche Versuch einer Koordinierung mit den südlichen Nachbarn kann aber nicht nur als Maßnahme souveräner Staaten zur Grenzsicherung gesehen werden: Sie ist auch, vielleicht sogar vordringlich ein Signal an Deutschland und die EU ganz allgemein. Alle Appelle für eine verbindliche gesamteuropäische Lösung sind schließlich fruchtlos geblieben. Selbst die mühsam ausgehandelten Umverteilungsquoten scheinen vergessen zu sein.

Derweil finden Zurückweisungen auf der Route statt – von Deutschland nach Österreich, von Österreich nach Slowenien, welches selbst entsprechende Maßnahmen an der Grenze zu Kroatien ankündigt. Noch handelt es sich um eine geringe Zahl abgewiesener Menschen, aber wer weiß schon was morgen ist.

Die deutsche Debatte um Obergrenzen wird sehr aufmerksam dort verfolgt, wo die „überzähligen“ Flüchtlinge stranden würden. Niemand auf der Westbalkan-Route will die Folgen tragen müssen, wenn der populistische innenpolitische Druck auf Angela Merkel weiter steigt.

Farbe bekennen

Die Schließung der Grenzen in Skandinavien für Flüchtlinge ohne gültige Papiere verursacht schon jetzt einen Rückstau knapp 1.500 Kilometer weiter südlich. Der eher informelle Umgang deutscher Behörden mit der Situation bringt nun Österreich dazu, den großen Nachbarn öffentlich in die Pflicht zu nehmen.

Das Angebot eines gemeinsamen deutsch-österreichischen Einsatzes an der slowenisch-kroatischen Grenze ist dabei in gewisser Weise eine Nötigung auf diplomatischem Wege: Die deutsche Regierung soll endlich Farbe bekennen, und selber dafür Sorge tragen, dass weniger Menschen an ihre Grenzen kommen.

Selbst wenn die europäischen Partner letztlich vielleicht nicht in der Lage sein werden, in der Sache genug Druck aufzubauen: Das Unbehagen mit der unilateralen und arroganten Politik Deutschlands, ob in der Griechenlandkrise oder in der Flüchtlingsfrage, ist nicht mehr zu übersehen.

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Daniél Kretschmar
Autor
Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei. Newsletter unter: https://buttondown.email/abgelegt
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1 Kommentar

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  • 1G
    19412 (Profil gelöscht)

    Der Titel "versuchte Nötigung" ist interessant - wer nötigt wen ? Das bleibt leider offen oder jeder sucht sich das aus den vielen Möglichkeiten selbst aus.

     

    Zitat: "Niemand auf der Westbalkan-Route will die Folgen tragen müssen, wenn der populistische innenpolitische Druck auf Angela Merkel weiter steigt." - Heißt also wenn D die Grenzen dicht macht oder kaum noch Flüchtlinge reinläßt.

     

    Ich finde diesen Satz aus dem Artikel sehr bemerkenswert.

    Generell muss man dann aber doch fragen: Warum will die Folgen niemand tragen und warum müssen wir ...? Wer keine Folgen tragen will hat doch Gründe dafür. Haben wir diese Gründe nicht?

    Das bleibt leider ebenfalls offen.