Martin Reeh über die Klausur der Ökopartei: Der grüne Glaube an sich selbst
Alle sollen sich verändern: die Flüchtlinge, die Deutschen, die Behörden, die Bildungseinrichtungen, auch der Wohnungsbau soll anders werden. So steht es in dem Papier, das die grüne Bundestagsfraktion zur Asylpolitik auf ihrer Klausur beschlossen hat. Starre Obergrenzen lehnt die Partei wie zu erwarten ab.
Das kann man angesichts der Flüchtlingskrise für moralisch geboten halten. Merkwürdig mutet jedoch an, dass die Einzigen, die sich in den Augen der Grünen nicht verändern müssen, die Grünen selbst sind. Ihre Finanzvorstellungen bleiben in Stein gemeißelt: keine Steuererhöhungen, keine neuen Schulden. Die erforderlichen zusätzlichen Ausgaben für Flüchtlinge – das Fraktionspapier wartet mit einer äußerst vagen Schätzung von mindestens 20 Milliarden Euro bis 2020 auf – sollen über zu erwartende Steuermehreinnahmen finanziert werden.
Das ist schon deshalb problematisch, weil eine seriöse Kostenschätzung gar nicht möglich ist, solange nicht klar ist, wie viele Flüchtlinge kommen. Eine Obergrenze, die Kosten kalkulierbarer macht, wollen die Grünen ja gerade vermeiden.
Ehrlich wäre es daher gewesen, hätten die Grünen in Weimar gesagt: Wir wissen, dass unsere Wählerklientel den Flüchtlingen freundlicher gesinnt ist als die anderer Parteien. Zugleich befürchten wir, dass die Bereitschaft unserer Wähler, uns zu wählen, nachlässt, wenn wir ihnen für Syrer und Afghanen Steuererhöhungen abverlangen. Deshalb versuchen wir kurzfristig die Kosten für die Flüchtlinge aus den Steuermehreinnahmen zu decken, können Steuererhöhungen oder neue Schulden in der kommenden Legislaturperiode aber nicht ausschließen.
Dazu sind die Grünen nicht bereit, weil sie Angst um sich selbst und ihre Wahlerfolge haben. Wie aber wollen die Grünen von der Bevölkerung Solidarität mit den Flüchtlingen verlangen, wenn sie selbst nicht bereit sind, etwas zu riskieren?
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen