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Beim Gehen den Boden berühren

Porträt Der Schriftsteller, Dramatiker, Maler und Filmemacher Herbert Achternbusch blickte stets schonungslos auf den Mief der bayrischen Provinz. Im Zentrum seiner Arbeit steht der Faschismus

Herbert Achternbusch selbst tendierte eher zum Buddhismus Foto: badgeman.de

von Detlef Kuhlbrodt

Am weitesten reichte der Ruhm von Herbert Achternbusch wohl in den 80er Jahren. In der großen Zeit des deutschen Autorenfilms, als Filme-Gucken noch ein subversiver Akt der Selbstbildung war. In jenen Zeiten liefen in den Programmkinos Westdeutschlands und Berlins ständig Retrospektiven. Die feineren Leute guckten die ganze Zeit Godard; die anderen Wim Wenders, Alexander Kluge, Rosa v. Praunheim, Lothar Lambert und eben Herbert Achternbusch. Wobei das natürlich auch nicht ganz stimmt. Aber doch ein bisschen.

Spätestens mit dem „Gespenst“, das 1982 für Skandal sorgte, war Achternbusch in ganz Westdeutschland und Berlin berühmt geworden. Vor allem eine Szene, in der ein Frosch gekreuzigt wurde, und eine andere, in der Jesus als „Scheiße“ angesprochen wird, sorgten für Skandal.

Wegen Blasphemie wurde dem Schwarz-Weiß-Film vorübergehend die Freigabe durch die Freiwillige Selbskontrolle der Filmwirtschaft verweigert, der damalige Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann verweigerte die Auszahlung der noch ausstehenden Fördersumme von 70.000 DM. In Österreich ist der Film wegen Herabwürdigung religiöser Lehren immer noch verboten, darf jedoch in einigen österreichischen Bibliotheken für wissenschaftliche Arbeiten ausgeliehen werden. Als Kind hatte er so gern geglaubt, „das war so schön“. Natürlich wurde „das Gespenst“ gerade in Kreisen der christlichen Filmkritik oft und gern diskutiert. Es ist eher eine herzhafte als billige Reli­gions­kritik und erreichte auch wegen seiner Skandalisierung weit mehr Zuschauer (150.000) als die anderen etwa 30 Achternbusch-Filme, die mir eigentlich noch besser gefallen. Selber tendiert Achternbusch eher zum Buddhismus, und wie viele Filme er bis 2002, als er sich vom Filmemachen verabschiedete, gemacht hat, ist strittig: in Wikipedia sind über 30 aufgelistet; Achternbusch selbst spricht in der schönen Dokumentation „Achternbusch“ von Andi Niessner (2008) von 28 Filmen.

Das Tempo, in dem Herbert Achternbusch seit 1970 Filme machte, ist beachtlich. Wie Lothar Lambert drehte er viele Jahre mit dem gleichen Team, mit der gleichen „Zirkustruppe“. Die großartigen Laienschauspieler wie Annamirl Birbichler, seine große Liebe, die er in so vielen Filmen und Büchern besang, Franz Baumgartner, Gabi Geist, Sepp Bierbichler, der stolz darauf war, als echter Schauspieler so gut zu sein wie ein Laie, federten das ab, hoben das auf, was egomanisch oder zu subjektivistisch in seinen Filme scheinen könnte. Oft drehte er zwei Filme im Jahr. Das niedrige Budget tat seinen Filmen oft gut. Der billigste, auf Super 8 gedrehte Film „Blaue Blumen“ (1984), der von einer Chinareise erzählt, gehört zu seinen schönsten, der teuerste Achternbuschfilm „Wanderkrebs“ (1984) dagegen zu seinen schlechteren.

Das Tempo, in dem er schrieb (dabei waren die Übergänge zwischen den Büchern, Drehbüchern, Theaterstücken stets fließend) war unglaublich. Die Drehbücher seien oft in weniger als einer Woche entstanden, erzählt er in der Dokumentation „Achternbusch“.

Während des Zivildienstes Anfang der 80er hatte ich die ersten Filme von Achternbusch gesehen. „Atlantikschwimmer“ (1976), „Das Andechser Gefühl“ (1975), „Das Gespenst“ (1982), „Der Depp“ (1982), „Das letzte Loch“ (1981). Ich hatte damals tatsächlich das Gefühl, von seinen Filmen gerettet worden zu sein, und freute mich dann fast zwanzig Jahre immer wieder über seine neuen Arbeiten.

Seine Drehbücher sind oft in weniger als einer Woche entstanden

„Mein Vater war eine Sau, meine Mutter war ein Nazi“; im Zentrum der meisten seiner Filme steht der Faschismus, der Mord an 6 Millionen Juden. Der Schmerz, „ich wollte schon immer den Schmerz zeigen und Schmerz hab ich“. Die Landschaften der Kindheit. Einsamkeit. Die Hassliebe zu Bayern. Vorbilder: Karl Valentin oder Groucho Marx, der so aussah wie Achternbuschs Mutter. Weil er nie Rücksicht auf sein Publikum genommen hatte, wurden die Filme so gut. Dass manchmal auch Zuschauer einschliefen, spricht nicht dagegen. Mit dem „Upperclass-Gezwitscher“ bekennend linker FilmemacherInnen hatte er nichts am Hut. Im „proletarischen Sumpf“ des Oktoberfests („Bierkampf“, 1977) fühlt er sich wohl.

Mit Begeisterung las ich seine Bücher; „Die Alexanderschlacht“ (mit dem zentralen Satz: „Die Sekunde, in der ich lebe, ist schon vorbei.“) „Das Haus am Nil“, von dem Rainald Goetz so geschwärmt hatte, „Die blaue Blume“, „Wind“, „Das Ambacher Exil“ und so weiter.

Zu geflügelten Worten wurden Achternbusch-Sätze: „Das Andechser Gefühl ist das Gefühl, dass wir nicht allein sind“, „Es ist ein Leichtes, beim Gehen den Boden zu berühren“, „Du hast keine Chance, aber nutze sie“, „Diese Gegend hat mich kaputtgemacht. Und ich bleibe so lange, bis man ihr das anmerkt.“ Wobei der letzte Satz auf den zweiten Blick doch etwas seltsam ist. Und seltsam muss es ausgeschaut haben, als ­München den großen Filmemacher, Dichter und Maler ehrte, indem diese und andere Achternbusch-Aphorismen auf Flaggen in der ganzen Stadt zu sehen waren.

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