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Unter der Trockenhaube ist das Leben noch schön

Erzählung An der Volksbühne liest Sophie Rois "Probleme, Probleme" von Ingeborg Bachmann – mitreißend, lustvoll, bitterböse

Wenn man irgendwas auf der Welt Sinnhaftigkeit abgewinnen will, dann doch wohl der eigenen Frisur

„Grauenvoll.“ – „Dumm.“ Eine „Belastung“. Es gab einige Schlüsselwörter an diesem Leseabend in der Volksbühne, die den Zuhörerinnen und Zuhörern noch eine Weile nachhängen sollten. Aus dem Munde von Sophie Rois, die die Erzählung „Probleme, Probleme“ von Ingeborg Bachmann im Großen Saal vortrug, klang „grauenvoll“ so richtig „grraaaunvoll“; bei der „Belastung“ schwang die Belastung phonetisch noch mal mit – und wenn Rois von all den „dummen“ Menschen referierte, so klang es beim Aussprechen des Worts, als wolle sie die bemitleidenswerten Kreaturen bei der Lautbildung des einleitenden Konsonanten gleich zwischen Zunge und Gaumen zerquetschen.

Bei allen drei Begriffen handelt es sich um Lieblingswörter von Beatrix, der Protagonistin aus Bachmanns Erzählung. Bea­trix findet eigentlich alles im Leben grauenvoll, belastend und dumm. Es sei denn, es handelt sich ums Schlafen oder um Friseurbesuche.

Grauenvoll und belastend mag so manch einer auch die Weihnachtsfeiertage finden; wie verständlich, dass diese Veranstaltung am ersten Feiertag, die den Namen „Sophie Rois liest gegen die Weihnachtsdepression“ trug, im Nu ausverkauft war. Rois, seit Beginn der Castorf-Ära Anfang der 90er Ensemblemitglied an der Volksbühne, fläzte sich auf einem großen, mintgrünen Sofa, bei dem man unweigerlich an Loriot denken musste, und erledigte den im Titel anklingenden Job souverän.

Wem die komische Seite Ingeborg Bachmanns (1926–1973) bislang nicht so geläufig war, für den war dieser Abend zudem eine Entdeckung. „Probleme, Probleme“, im Erzählungsband „Simultan“ (1972) enthalten, schwappt immer wieder ins Groteske, obwohl man die Handlung auch als existenzielle Krise eines Subjekts deuten kann.

Die Story: Protagonistin Beatrix hat ein Verhältnis mit Erich, der ihr in langen Gesprächen – oder eher Monologen – von den Problemen seiner Ehefrau „Guggi“ erzählt, von deren Selbstmordversuchen und dem Scheitern der gemeinsamen Ehe. Beatrix aber, gerade 21 Jahre alt, will eigentlich nur schlafen und nochmals schlafen, mit Erich trifft sie sich nur aus Mitleid – und Freude bereitet ihr eben nur ein neuer Haarschnitt.

Auch mit der gleichaltrigen Jeanne, dem Drop-out („drob­aut“), kann sie nichts anfangen – die will durch die Welt reisen und leidet an einem fürchterlichen Aktivismus. Und einer Arbeit nachzugehen, „unter schlecht riechenden Leuten acht Stunden zuzubringen“, das wäre wirklich der Horror für Beatrix; eigentlich will sie nur im Bett liegen, ihre frisch gemachten Haare ausbreiten und ihre Füße betrachten. Irgendwann aber, nach einem Friseurbesuch, verliebt sich Beatrix, „ihr Herz fing an zu jagen, sie befeuchtete sich die Lippen und flüsterte sich etwas zu“. Sie entdeckt die erste große Liebe: „(…) das gab es also wirklich, ein so starkes Gefühl in einem Menschen, dass man vor Lachen und Weinen, zwischen Lachen und Weinen, keinen Ausdruck fand“. Merkwürdig nur, dass ihre erste große Liebe narzisstisch ist: Sie entdeckt die Angebetete im Spiegel. „(…) ich bin ja richtiggehend verliebt in mich, ich bin zum Verlieben!“

Sophie Rois kostet den tragikomischen Charakter dieser Erzählung genüsslich aus. Locker mit Manuskript vor sich auf dem Sofa hockend, zwischendurch am Tee nippend, liest sie mitreißend, leidenschaftlich, bitterböse. Sie wechselt Erzähltempo und Betonung, schöpft das Onomatopoetische lustvoll aus, das „Schlaaafen“ wird bei ihr zu einem Refugium, die Minuten unter der Trockenhaube zur Wohltat, und wenn man irgendetwas auf der Welt Sinnhaftigkeit abgewinnen wollte, dann doch wohl der Frisur und der eigenen Schönheit – sonnenklar, wie sie das da so liest. Zwischendurch, in kurzen Lesepausen, gibt es jazzige Musik, der Abend bekommt Revuecharakter.

Wenn es also darum geht, das Grauenvolle, das Belastende in einen witzigen, antidepressiven Wort-Cocktail zu verwandeln: Bitte, liebe Bühnenprogrammverantwortliche dieser Stadt, engagieren Sie Sophie Rois. Wieder und wieder. Am allerliebsten zu Weihnachten. Jens Uthoff

Ingeborg Bachmann: „Simultan“. Erzählungen. Piper Verlag, 224 S., 9,99 Euro (Paperback)

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