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Amtsgericht unterläuft EU-Richtlinien„Mit freundlichen Grüßen von der IS-Behörde“

In Dithmarschen erhalten junge Flüchtlinge keinen Vormund – weil sie Telefonkontakte zu ihren Eltern haben.

Kein gesetzlicher Betreuer in Sicht: Ein jugendlicher Flüchtling blickt aus einem Fenster der zentralen Inobhutnahme in Neumünster Foto: Carsten Rehder/dpa

Dithmarschen taz | Der Jugendliche, der aus einem Bürgerkriegsland stammt, weiß, dass seine Eltern noch leben, weil er hin und wieder mit ihnen telefoniert oder per Whats-App Botschaften erhält. Das reichte vor dem Amtsgericht Meldorf im Kreis Dithmarschen aus, um das Vormundschafts-Verfahren zu beenden: Das Jugendamt, das den amtlichen Fürsprecher beantragt hatte, zog zurück – Motto: Wenn Kontakt zu den Eltern bestehe, könnten die schließlich selbst Papiere unterzeichnen und Entscheidungen für ihr Kind treffen.

Unklar ist, ob der Richter erkennen ließ, dass er den Antrag abgelehnt hätte: „Einen entsprechenden Hinweis gab es nicht“, sagt Gerichtssprecher Philipp Terhorst. Andere Quellen machen dagegen das Gericht verantwortlich. So oder so: „Es ist rechtswidrig, Jugendliche ohne Vormund zu lassen“, sagt Ulrike Schwarz vom Bundesverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (B-UMF) in Berlin.

Sie beruft sich auf die seit dem 1. Januar 2014 geltende EU-Aufnahmerichtlinie, die die Rolle und die Rechte unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge beschreibt. „Spätestens seit Juli 2015 muss diese Richtlinie auch in Deutschland umgesetzt werden“, sagt Schwarz.

Neben der rechtlichen Seite erinnert die Lobbyistin an die lebenswirkliche: „Es ist eine surreale Vorstellung, dass Eltern, die in Syrien, Somalia, Afghanistan leben oder gar selbst auf der Flucht sind, ein deutsches Behördenformular ausfüllen, es durch einen amtlichen Übersetzer beglaubigen lassen und zurücksenden – mit freundlichen Grüßen und Stempeln von der örtlichen IS-Behörde.“

Umgang mit Jugendlichen

Die aktuelle Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge – neu: „unbegleitete minderjährige AusländerInnen“ – ist unbekannt, Schätzungen gehen von bundesweit rund 30.000 aus.

Die meisten sind zwischen 16 und 18 Jahre alt und männlich.

Seit November werden sie bundesweit nach dem „Königsteiner Schlüssel“ auf die Kreise und Städte verteilt.

Für junge Flüchtlinge werden die Jugendhilfestandards – etwa was Zimmergrößen oder Betreuerzahl angeht – aufgeweicht.

Gastfamilien werden gesucht, wo es geht.

Abgeschoben werden Jugendliche nicht, allerdings unterliegen sie ab 18 dem Ausländerrecht – ist dann kein Antrag gestellt, wird es schwierig.

Notwendig sind solche Verfahren, weil alleinreisende minderjährige Flüchtlinge einen Sonderstatus besitzen: Für sie gilt in erster Linie nicht Ausländer-, sondern Jugendrecht. Damit ist das Jugendamt zuständig – bis November jeweils in dem Kreis oder der Stadt, in der ein Jugendlicher registriert wurde.

Doch weil zurzeit Verkehrsknotenpunkte und grenznahe Gemeinden überlastet sind, werden die minderjährigen Unbegleiteten nun bundesweit auf alle Orte verteilt, so auch nach Dithmarschen, wo zwei Dutzend Jugendliche ankamen. Einige hatten bereits Vormünder, für die restlichen müssen die amtlichen Fürsprecher beim Meldorfer Gericht beantragt werden.

Nach taz-Informationen wurden die Anträge in mindestens zwei Fällen wegen des Elternkontakts zurückgezogen, weitere Verfahren sind noch nicht entschieden. Die Jugendlichen bleiben in der Obhut des Jugendamtes und leben in einer Wohngruppe. Doch Entscheidungen für sie treffen oder das Asylverfahren einleiten, damit sie möglichst schnell ihren Status klären können, darf laut dem „Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher“ nur der Vormund.

Sich selbst vertreten darf ein Jugendlicher erst mit 18. Dann aber greift das härtere Asylbewerbergesetz. Auf Anfrage der taz verwies Gerichtssprecher Terhorst auf die Gesetzeslage, die es Jugendämtern verbietet, Kinder unter Vormundschaft zu stellen, wenn Kontakt zu den leiblichen Eltern besteht, auch wenn diese im Ausland sind – doch auf die Sondersituation der minderjährigen Flüchtlinge treffe diese Regel nicht zu, sagt Schwarz vom B-UMF: „Diese Jugendlichen brauchen einen rechtlich qualifizierten Vertreter, der sich auf deutschem Boden aufhalten muss. Der Kontakt zu den Eltern ist emotional wichtig für die Jugendlichen – auf ihren Anspruch auf einen Vormund hat das keinen Einfluss.“

Ende November gab es 2.714 unbegleitete Jugendliche im Land, über 440 mehr als Anfang November. Wie unterschiedlich die Vorgehensweise sein kann, zeigt der Kreis Nordfriesland, der an Dithmarschen angrenzt: Zwar spricht auch Jugendamtsleiter Daniel Thomsen vom „allgemeinen Chaos“. Er hat aber bereits eine Jugendherberge für die unbegleiteten Minderjährigen angemietet, darüber hinaus sucht der Kreis Gastfamilien. Und ohne Frage ist klar: „Jeder einzelne Jugendliche benötigt einen Vormund.“

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