: Gevierteiltes Land
Kuddelmuddel Seit diesem Wahlsonntag sind im spanischen Parlament vier starke Parteien vertreten.Die Menschen haben den Wandel gewählt. Doch eine klare Mehrheit für ein Lager findet sich nicht
von Reiner Wandler
Aus den Lautsprechertürmen dröhnt der Ghostbusters-Song, als Podemos-Spitzenkandidat Pablo Iglesias mit seiner Mannschaft die Bühne betritt. Tausende Menschen aller Altersgruppen und ganze Familien haben geduldig bis Mitternacht auf dem Platz neben dem Madrider Kunstmuseum Reina Sofia ausgeharrt, um den Erfolg ihrer Partei zu feiern.
20,6 Prozent erzielte Podemos (Wir können) auf Anhieb und liegt damit auf Platz 3. Die Partei, die vor knapp zwei Jahren gegründet wurde und sich den Kampf gegen Korruption und Sparpolitik auf die Fahnen geschrieben hat, ist damit der unumstrittene Wahlsieger. „Heute wurde ein neues Spanien geboren, das eine neue politische Epoche eröffnet“, erklärt Iglesias selbstsicher.
Das Ergebnis von Podemos ist die Niederlage des spanischen Zweiparteiensystems, das seit über 30 Jahren die Politik dominiert. Die bisher mit absoluter Mehrheit regierende Partido Popular (PP) unter Mariano Rajoy erzielte nur noch 28,7 Prozent und 123 Parlamentssitze. Die Konservativen wurden für ihre Korruptionsskandale und für die Austeritätspolitik abgestraft. Die sozialistische PSOE konnte davon nicht profitieren. Sie büßte ebenfalls knapp sieben Prozent und 20 Sitze ein und erzielte mit 22 Prozent und 90 Abgeordneten ihr historisch schlechtestes Ergebnis. Podemos liegt nur 1,4 Punkte dahinter, hat allerdings nur 69 Abgeordnete, was dem Wahlrecht, das die Sitze auf Provinzebene vergibt, zuzuschreiben ist (s. Kasten). Enttäuschend verlief die Wahl für die ebenfalls erstmals spanienweit präsente, rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger) unter Albert Rivera. Umfragen sahen Rivera lange auf Platz 2. Letztendlich wurde es nur 13,9 Prozent und 40 Sitze.
Ratlosigkeit machte sich in der Wahlnacht breit. Denn egal wie man rechnet, gibt es keine stabile Mehrheit im neuen Parlament. Weder PP mit den Ciudadanos noch Podemos und PSOE summieren die nötigen 176 Abgeordneten. Bleibt die Möglichkeit einer Minderheitsregierung, die mit wechselnden Bündnispartnern ihr Programm umzusetzen versucht. „Ich werde versuchen, eine stabile Regierung zu bilden, wie sie Spanien braucht“, beteuerte Mariano Rajoy in seiner Bewertung des Ergebnisses, wohl wissend, dass eine der Bedingungen von Ciudadanos für eine Unterstützung der PP sein Kopf sein wird.
„Spanien will links, will den Wandel“, meldet auch der Sozialist Pedro Sánchez seine Ansprüche an. Nur mit dem schlechten Ergebnis der PSOE und den innerparteilichen Kritiken, denen der Kandidat nach einem denkbar schwachen Wahlkampf mit drei verlorenen Fernsehdebatten ausgesetzt ist, hat er es nicht leicht, sich zur Führungsperson zu machen.
Spaniens Wahlrecht ist unproportional, das zeigt auch das Ergebnis vom Sonntag. Die Sozialisten bekommen mit 22 Prozent 90 Abgeordnete, Podemos mit knapp 21 Prozent nur 69. Das liegt daran, dass die 350 Sitze auf Provinzebene vergeben werden. In manchen Provinzen wie etwa Guadalajara unweit von Madrid werden nur drei Abgeordnetensitze vergeben. Podemos erzielte 17,5 Prozent und erhält dennoch keine Sitze. 100 der 350 Sitze werden in solch kleinen Provinzen mit drei oder fünf Abgeordneten vergeben, das kommt den großen Parteien zugute. Wer auf Platz drei oder vier liegt, geht meist leer aus. Die PP erzielte mit 55.000 Stimmen einen Abgeordneten, Podemos brauchte 71.000. (rw)
„Spanien hat für einen unaufschiebbaren Systemwandel gestimmt“, verkündete Podemos-Kandidat Iglesias und fordert die Verankerung sozialer Rechte in der Verfassung. Außerdem verlangt er ein proportionales Wahlrecht. Ein Punkt, mit dem sich alle anderen spanienweit angetretene Parteien schwertun dürften, ist seine Forderung nach einer „Verankerung des Plurinationalismus“ in der Verfassung. Podemos ist die einzige Kraft, die das Land als Vielvölkerstaat definiert. Das kommt an. Sie ist stärkste Kraft in Katalonien und dem Baskenland und Zweiter im Land Valencia, Navarra, den Balearen, Galizien und selbst in der Hauptstadtregion Madrid.
So mancher in Wirtschaft, Medien sehen nur einen Ausweg aus dem Dilemma eines aufgesplitterten Parlaments: eine Große Koalition. Auch Brüssel und Berlin dürfte hinter den Kulissen Druck in diese Richtung ausüben, denn im kommenden Jahr will die Troika weitere Sparmaßnahmen von rund 10 Milliarden von Spanien. PP und Ciudadanos stehen einem solchen Bündnis wohlwollend gegenüber. Pedro Sánchez von der PSOE freilich ziert sich. Denn er fürchtet, dass dies weitere Wähler in die Arme von Podemos treiben könnte. Wie schnell das gehen kann, hat Griechenland bewiesen. Dort liegt die Schwesterpartei der PSOE, die Pasok – einst eine der beiden Großen des Landes – nach einer Großen Koalition bei nur noch acht Prozent. Die Schwesterpartei von Podemos, Syriza profitierte davon.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen