: „Der Aufwand, die Lohnlücke zu schließen, ist gering“
GERECHT Deutschland soll ein Lohngleichheitsgesetz bekommen. Ein Schweizer Pilotprojekt zeigt: Bürokratie erzeugt das kaum
62 Jahre, ist Vizedirektor im Bundesamt für Justiz der Schweiz. Von 2009 bis 2014 leitete er das Pilotprojekt „Lohngleichheitsdialog“, das 50 Firmen auf Lohndiskriminierung prüfte, darunter Novartis und McDonald’s.
taz: Herr Mader, Sie haben bis 2014 ein Pilotprojekt zur Lohndiskriminierung in der Schweiz geleitet. Wie groß ist die Lohnlücke in Ihrem Land derzeit?
Luzius Mader: Im Moment beträgt die Differenz rund 18 Prozent. Davon sind 9 Prozent erklärbar: Frauen arbeiten in schlechter bezahlten Berufen und auf weniger gut bezahlten Posten. Aber 9 Prozent sind eben durch solche objektiven Faktoren nicht erklärbar. Da ist es sinnvoll, genauer hinzuschauen, ob eine Diskriminierung dahintersteckt.
In Deutschland fordern die Arbeitgeber von der Kanzlerin, den hiesigen Gesetzentwurf, der auch einen verbindlichen Test fordert, zu stoppen. Der erfordere eine „gigantische Bürokratie“. Wie gigantisch war denn die Bürokratie in Ihren Fällen?
Der Aufwand ist relativ gering. Man analysiert die ohnehin vorhandenen Lohnzahlen eines Unternehmens mit diesem Instrument. Das ist eine klassische Regressionsanalyse, lange erprobt und nicht übermäßig aufwändig. Man kann das ohne Weiteres in ein paar Stunden schaffen. Die rund fünfzig Unternehmen, die bei unserem Projekt mitgemacht haben, haben sich nicht über den Aufwand beklagt.
Die zweite Befürchtung ist, dass „Kosten in Millionenhöhe“ auf die Betriebe zukommen würden. Wie war das bei Ihnen?
Die Analysewerkzeuge sind ja in der Regel kostenlos. Was die Arbeitgeber also nur befürchten können, ist, dass derart starke Diskriminierungen gefunden werden, dass sie mit massiven Lohnerhöhungen reagieren müssen. Das würde aber nur passieren, wenn herauskäme, dass sie stark diskriminieren. Das wäre dann nicht verfassungskonform und müsste ohnehin geändert werden.
Dass Frauen schlechtere Bezahlungen akzeptieren, sei eine Sache der Vertragsfreiheit, meinen die Unternehmen.
Aber der Gleichberechtigungsartikel in der Verfassung setzt der Vertragsfreiheit in der Marktwirtschaft natürlich Grenzen.
Haben Sie bei den 50 Unternehmen Diskriminierungen gefunden?
Bundesfrauenministerin Manuela Schwesig (SPD) will bis Ende 2016 ein „Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern“ durchsetzen. Für alle Beschäftigten soll dann ein Auskunftsanspruch bestehen, wie hoch die KollegInnen bezahlt werden. Unternehmen ab 500 Angestellten sollen verpflichtet werden, ihre eigene Entgeltgleichheit zu prüfen, herzustellen und darüber zu berichten.
Derzeit verdienen Frauen in Deutschland durchschnittlich 21,6 Prozent weniger als Männer. Unternehmerverbände und Unionspolitiker lehnen das Gesetz ab: Dieses schaffe eine „gigantische Bürokratie“.
Auch die Schweiz erarbeitet gerade ein Entgeltgleichheitsgesetz, ähnlich wie das deutsche. Von 2009 bis 2014 untersuchte das Land in einer Pilotstudie die dortige Lohnlücke. (dpa, taz)
Es gab einige Unternehmen, in denen es unerklärbare Differenzen gab, aber keine riesengroßen. Ein typisches Beispiel ist, dass Teilzeitbeschäftigte relativ zu den Vollzeitkräften schlechter bezahlt werden. Und Teilzeitarbeit ist bei Frauen natürlich sehr weit verbreitet, da ist also ein Einfallstor für Diskriminierung.
Nun gibt es in Ihrem Gesetz ebenso wie im deutschen keine direkte Sanktion, wenn Lohnungleichheiten festgestellt werden. Das ist ein Manko, oder?
Ja, das ist ein Manko, aber Sie dürfen nicht unterschätzen, dass nun Arbeitnehmerinnen Zahlen in der Hand haben und klagen können. Im Gesetz ist ebenso wie im deutschen vorgesehen, dass bei einem Verdacht die Beweislast sich umkehrt. Das Unternehmen muss dann nachweisen, dass es nicht diskriminiert. InterviewHeide Oestreich
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