: Alliiertes Erbe mit Potenzial
Hinterlassenschaft Als die Alliierten vor gut 20 Jahren die Stadt verließen, blieben ihre Immobilien zurück. Viele sind bis heute ungenutzt – ein Unding in Zeiten des Wohnraum-mangels. Eine Bestandsaufnahme in den ehemaligen vier Sektoren
von Anna Bordel und Anna Maria Graefe
Die Fenster im ersten Stock sind zugenagelt, lange Risse durchdringen die graue Fassade. Ein Bauzaun soll am Betreten der Wohnhäuser hindern, Graffiti zeugen davon, dass es doch gelingt. In den zwei verlassenen Häuserblocks mitten in einer sanierten Wohnsiedlung in Karlshorst residierten in den Zeiten von deutscher Teilung und Kaltem Krieg sowjetische Offiziere. Über zwei Jahrzehnte nach dem Abzug der Alliierten sind die beiden Wohnblocks immer noch russisches Staatseigentum. Sie verfallen inmitten eines Bezirks, in dem ansonsten jeder Fleck Boden genutzt wird, um neue Wohnungen zu bauen.
Ehemalige Kasernen, Wohnviertel und Bunker der Siegermächte prägen das Bild Berlins an vielen Ecken bis heute. Einige Gelände sind in die Stadtarchitektur integriert – andere, außerhalb des Stadtzentrums, stehen bis heute leer oder verwahrlosen. Und das, obwohl Berlin dringend Wohnraum benötigt. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt geht davon aus, dass in diesem und im kommenden Jahr rund 80.000 Menschen in die Hauptstadt ziehen werden. Infolge der unüberschaubaren Flüchtlingszuwanderung könnten es noch erheblich mehr werden. Die in diesem Jahr fertiggestellten 12.000 Wohnungen reichen bei Weitem nicht aus.
Am 3. Oktober 1990 vereinbarten die Siegermächte und die Bundesrepublik im Einigungsvertrag, dass die Alliierten-Liegenschaften an den Bund übergehen. In Berlin waren das damals 5.819 Wohnungen, außerdem fast 200 Hektar Freiflächen und Kasernenanlagen. Wie viele der Alliierten-Liegenschaften vom Bund bislang verkauft oder vermietet wurden und wie viele immer noch auf eine Verwendung warten, ist nicht bekannt. Die Daten habe man nicht erhoben, erklärt eine Sprecherin der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima), die im Auftrag des Bundes die Liegenschaften verwaltet. Das sei damals einfach nicht nötig gewesen.
Als die Alliierten 1945 in Berlin einrückten, besetzten sie jene Gebäude, die für eine Armee funktional geeignet waren, sagt Gundula Bavendamm, Direktorin des Alliierten Museums in Dahlem. „Sie bezogen die schönsten Stadtvillen, Kasernen und Flugplätze. Die Bewohner mussten teilweise über Nacht ihre Häuser verlassen.“ Als sich Anfang der 50er Jahre herausstellte, dass die Besatzer auf Dauer bleiben würden, fingen sie selbst an zu bauen – ihre Soldaten sollten sich heimisch fühlen. So entstanden Kinos, Kindergärten und Einkaufszentren.
Einige dieser Standorte wurden nach dem Abzug übergangslos weitergenutzt, wie das Gebäude des Alliierten Museums in Dahlem. Andernorts dauerte es dagegen länger, bis neue Ideen umgesetzt werden konnten. So fand sich zum Beispiel für das ehemalige Hauptquartier der US-Armee in der Clayallee erst nach fast 20-jährigem Leerstand ein Investor, der dort Luxuswohnungen baute.
Für einige Immobilien aber ist die Nutzung bis heute nicht geklärt: ein bekanntes Beispiel ist der Flughafen Tempelhof – ein Teil wurde früher von den Amerikanern militärisch genutzt. Und mancherorts erschwert die militärische Vergangenheit der Gebäude ihre Weiterverwendung. In den von den Franzosen erbauten Wohnvierteln sind Leitungen, Rohre und Kabel nach französischer Bauart verlegt, die mit deutschen Normen nur schwer kompatibel sind. Zäune oder Mauern grenzen Kasernen ein, die häufig Altlasten im Boden enthalten und sich daher nur begrenzt zum Wohnungsbau eignen. Auch stehen viele der oft noch vor dem Zweiten Weltkrieg erbauten Gebäude heute unter Denkmalschutz, sodass eine Sanierung aufwendig und teuer ist. So verfallen in den letzten Jahrzehnten Wohnsiedlungen und Kasernen der ehemaligen Besatzungsmächte immer mehr.
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