Die Verkehrssünder des Fußballs: Dicke Gehaltsschecks, dicke Karren
Vor einem Jahr kam raus, dass Marco Reus jahrelang mit gefälschtem Führerschein unterwegs war. Damit hat er es in einen speziellen Klub geschafft.
Lange Zeit war Marco Reus ein kleines Licht unter den Autoprolls des Fußballs. Ja, er mochte schicke Wagen, machte kräftig Werbung dafür und fuhr auch gern mal zu schnell. Damit aber machte er als Fußballer keine Schlagzeilen. Nicht, wenn Olli Kahn 163 km/h statt der erlaubten 80 fuhr und Karim Benzema mit 216 km/h den Begriff Tempo-100-Zone dehnte. Nicht, wenn Stefan Effenberg nach gefühlt jeder Wiesn alkoholisiert am Steuer erwischt wurde und in einer anderen Polizeikontrolle gewohnt charmant den Beamten als „Arschloch“ verabschiedete. Effenbergs gar nicht so schlechter Erklärungsversuch vor Gericht: Ein Missverständnis, er habe „schönen Abend noch“ gesagt.
Außer Konkurrenz: Mario Balotelli, der allein in den ersten zehn Monaten in Manchester Strafzettel im Wert von 11.000 Euro fürs Falschparken sammelte und 27-mal abgeschleppt wurde. Gestört hat es ihn offenbar nicht, denn in Italien ging es gleich weiter so. Nach einer rasanten Fahrt mit Führerscheinentzug erklärte Balotelli: “Ich habe nicht gemerkt, dass ich so schnell unterwegs war.“
Dass Reus es dann doch noch unter die großen Verkehrssünder des Fußballs schaffte, verdankte er bekanntlich dem Strafbefehl im Dezember 2014, als herauskam, dass er jahrelang mit gefälschtem Führerschein unterwegs war und einen richtigen Lappen nie besessen hatte.
Es gibt keine statistischen Daten zur Frage, ob Fußballer öfter im Verkehr straffällig werden als andere Menschen. Es hat auch offensichtlich niemand je den Versuch unternommen, so etwas zu zählen. Wer aber sucht, findet von A wie Arnautović und B wie Balotelli, Ballack und Benzema bis Z wie Zidan (der Ägypter, nicht der Franzose) das Who’s who des Fußballs beim Führerscheinentzug. Zeit also, einen Blick zu werfen auf das besondere Verhältnis von Fußballern zu ihren Autos.
Der Zauberfuß mit dem Ferrari-Fimmel
Irgendwie muss es Günter Netzers Schuld sein. Natürlich gab es schon vorher Fußballer, die es mit den Verkehrsregeln nicht so genaunahmen, legendär etwa die promilleträchtigen Fahrten von Helmut Rahn. Doch Netzer, der Fußballpopstar der Siebziger, brachte das Auto als Statussymbol in die Bundesliga. Dicke Gehaltsschecks machten Schlitten möglich, von denen die vorherige Generation nur träumen konnte.
Netzer fuhr Ferrari, den heißesten Scheiß also, ließ sich ständig damit ablichten, raste dank guter Beziehungen zum Straßenverkehrsamt ohne große Konsequenzen an Geschwindigkeitsbeschränkungen vorbei. Bis heute beliebt die Geschichte, wie er es schaffte, Kumpel Franz Beckenbauer übers Ohr zu hauen, indem er ihm einen maroden Jaguar verscherbelte. Franz empörte sich öffentlich über die „Scheißkarre“, dann löste er das Problem auf seine Art und verkaufte die Kiste weiter: an den arglosen Wolfgang Overath.
Flüchtlinge haben viel verloren und müssen das betrauern dürfen, sagt der Psychoanalytiker Vamik Volkan. Ein Gespräch darüber, was die Flucht mit der Seele macht, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 12./13. Dezember 2015. Außerdem: Rainer Wendt ist Deutschlands lautester Polizist und nie um eine rechte Parole verlegen. taz-Autor Martin Kaul hat den Gewerkschaftsboss begleitet. Und: ein Portrait des schmächtigen Hahns Frank Sinatra – zum hundertsten Geburtstag. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Damals, Anfang der Siebziger, fing an, was bis heute kein Ende gefunden hat. Mittlerweile kann sich jeder 18-jährige Bundesligaspieler kaufen, was früher Statussymbol der Alphatiere war. Und während einst Paul Breitner Schwierigkeiten hatte, seine Garage an die neueste Mode dicker Bentleys anzupassen (Breitner nonchalant: „Da hab ich einfach die Wand durchbrechen lassen“), können Cristiano Ronaldo & Co. heute für ihre Fuhrparks ganze Autohäuser anmieten. Warum aber gerade das Auto? Und warum rasen viele Profis so gern jenseits von Gut und Böse?
Das Auto war nie einfach nur Fortbewegungsmittel. „Der Reiz des Autos war schon immer die Beschleunigung“, sagt Armen Avanessian, Beschleunigungsphilosoph. „Die Geschwindigkeit hatte einen Schockeffekt.“ Je schneller der technologische Fortschritt in der Gesellschaft, desto stärker reagierten die Menschen ihrerseits mit Beschleunigung. Allerdings im Auto nicht jeder in gleichem Maße, denn, so sagt der Sportsoziologe Thomas Alkemeyer: „Die Lust an Geschwindigkeit ist hochgradig genderspezifisch.“
Tempo als Männlichkeitsritual
Und dafür haben Fußballprofis ideale Voraussetzungen: jung, männlich, reich genug, um Geldstrafen ziemlich egal zu finden und um sich einen Schlitten zuzulegen, von dem andere nur träumen. „Das Auto ist ein geliebtes Objekt“, so Alkemeyer. „Es spiegelt einen Teil der Persönlichkeit wider.“ Begeisterung für Technik, für Selbstinszenierung und für Risiko seien die entscheidende Kombination. „Geschwindigkeit im Auto ist eine Art Männlichkeitsritual.“ Und ein weiterer Faktor könnte eine Rolle spielen: Fußballer gehen einer Beschäftigung nach, in der Adrenalin und Risikobereitschaft gewissermaßen Zugangsvoraussetzung sind.
„Man kann diskutieren, ob das Fußballspiel nicht ein Einüben von Männlichkeit ist“, so Alkemeyer. „Es geht um hohen Körpereinsatz, aber auch um Spielwitz. In Deutschland ist Fußball eng mit Männlichkeit verknüpft.“ So eng wie sonst vielleicht nur Bier. Und das Auto. Aber ob Fußballer deshalb lieber rasen als andere? Vielleicht stehen sie einfach nur eher im Scheinwerferlicht. Oder es gilt das alte Klischee der Parallelwelt des Glamours: zu schnell, zu jung, zu reich. Symptomatisch für solche Selbstüberschätzung wurde ein Spruch von Marko Arnautović, der bei einer Polizeikontrolle sagte: „Du hast mir gar nichts zu sagen. Ich verdiene so viel, ich kann dein Leben kaufen.“
Anfang des Jahres sorgte der Unfall von Junior Malanda für Aufsehen: Der Jungprofi des VfL Wolfsburg verunglückte tödlich im eigenen Auto, das von einem Bekannten gefahren wurde, 40 km/h zu schnell, bei Regen und Sturmböen. Allein in den sechs Monaten zuvor war der Wagen 21-mal geblitzt worden, die Jungs hatten stolz ihren Tacho bei 200 km/h fotografiert.
Wer braucht schon einen Führerschein?
Nach dem Unfall Malandas beschuldigte dessen Berater die Vereine, rasende Jungprofis nicht genügend zu mäßigen: „Sie schauen weg und sind nicht konsequent bei Bestrafungen, weil sie Angst haben, dass sich ihr Talent einen anderen Verein suchen könnte.“ Einige Klubs wie Eintracht Frankfurt oder Mainz 05 ließen daraufhin verlauten, dass sie ihren Spielern ohnehin lediglich Mittelklassewagen zur Verfügung stellten, um Raserei zu vermeiden. Ob das hilft, darf bezweifelt werden. Oder, wie Avanessian es formuliert: „Auch mit einem kleinen Wagen kann man viel Dummes anstellen.“ Und wenn ein reicher Profi will, kommt er nicht nur ohne dicken Wagen, sondern auch ganz ohne Führerschein gut aus.
So wie etwa vor ein paar Jahren Dutzende Spieler dank eines Fahrlehrers aus Bad Gandersheim. Der hatte mit einigen Kumpels Fußballern, die keinen Führerschein besaßen, großzügig Lizenzen beschafft. Natürlich nicht ohne Eigengewinn: 2.900 Euro kostete es, wenn man auf die Fahrstunden oder die Prüfung verzichten wollte. Zu den Klienten gehörten renommierte Profis wie Diego oder Marcelinho. Auch die Mauschelei hat Tradition: Schon Günter Netzer hatte in Norbert Pflippen einen Freund beim Straßenverkehrsamt, der seine Strafzettel verschwinden ließ. Als Fußballprofi findet sich schnell mal ein Helfer im Straßenverkehr.
Freilich gibt es auch bei der Trickserei geschicktere und weniger geschickte Vertreter. Schön etwa der Fall von Adrian Ramos, der einst die Fahrprüfung umgehen wollte und ein Double schickte. Schlecht für Ramos: Der Doppelgänger war hellhäutig. Später, zu BVB-Zeiten, nützte Ramos sein inzwischen bestandener Führerschein dann doch noch: Er chauffierte den aufgeflogenen Marco Reus.
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