„Ich sehe keine Zukunft“

KRIEG Die Journalistin Zaina Erhaim über ihre Arbeit in Syrien und den miesen Umgang mancher Medien mit KollegInnen vor Ort

Zaina Erhaim vor der Verleihung des Mackler-Preises im Oktober in Washington Foto: Andrew Caballero-Reynolds/dpa

Interview Jan-Niklas Kniewel

taz: Frau Erhaim, Sie haben fast 100 Bürgerjournalisten in Syrien ausgebildet. Wie geht es denen heute?

Zaina Erhaim: Einige wurden getötet, andere vom „Islamischen Staat“ entführt. Auch nach Europa haben es einige illegal geschafft. Manche harren noch immer in Syrien aus und versuchen weiter zu berichten.

Sie gaben eine sichere Stelle bei der BBC auf, um in Ihre Heimat zurückzukehren. Warum?

Es ist mein Zuhause. Schon als ich Damaskus verließ, um in London zu studieren, sagte ich am Flughafen allen, dass ich zurückkehren würde. Ich bin keine, die einfach abhaut. Schon vor der Revolution hatte ich also ein Ziel: Damaskus. Nun schaffe ich es nicht mehr dorthin zurück, aber zumindest in Syrien kann ich sein.

Seit gut zwei Jahren wagt sich kaum noch ein westlicher Journalist nach Syrien. Was bedeutet das für jene Syrer, die diese Lücke nun füllen müssen?

Sie tun das ja schon eine ganze Weile. Schon 2012, als es für internationale Reporter noch relativ leicht war, nach Syrien zu kommen, lag die Hauptlast bei den Bürgerjournalisten. Sie sind schon so lange die Hauptquelle für Informationen aus diesem Krieg. Und heute ist ihre Arbeit noch schwieriger geworden, doch noch immer behandeln westliche Medien syrische Journalisten als unsichere Quellen und als nicht vertrauenswürdig genug, um wirklich ernst genommen zu werden. Das ist traurig, denn diese Leute sind die, von denen ihr euch schon seit über vier Jahren die Informationen holt.

Ein Einwand wäre, dass westliche Journalisten das Land einfach nach einigen Tagen wieder verlassen können, sie müssen sich nicht allzu sehr darum scheren, was sie schreiben. Ein Syrer lebt womöglich Tür an Tür mit denen, über die er kritisch berichten muss.

Selbst westliche Journalisten wollen ja meist wieder zurückkehren. Auch sie denken also darüber nach, wie sie keine verbrannten Brücken hinterlassen. Aber natürlich ist es für Syrer weitaus schwieriger. Es fängt schon damit an, dass die Leute einen kennen. Selbst wenn man also einen falschen Namen verwendet, wissen die Menschen, wer man ist. Und natürlich gab es Fälle, in denen Bürgerjournalisten nach ihren Veröffentlichungen von bestimmten Gruppen angegriffen wurden. Aber alles in allem gibt es eine Akzeptanz gegenüber ihrer Arbeit, weil die Leute wissen, dass ohne diese Berichterstatter keine Informationen mehr nach draußen dringen würden. Aber ja, generell rate ich, es sich stets zweimal zu überlegen, bevor man etwas schreibt, das einem ernsthafte, womöglich tödliche Probleme bereiten könnte. Aber es ist natürlich auch eine Möglichkeit für die Syrer, ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Dem gegenüber steht allerdings ein sehr bedenklicher Trend: Diese Reporter sind oft nur noch an der Front. Wie viele Tote, wie viele Bomben und so weiter. Aber sie behandeln nicht mehr die kritischen Themen, denen etwa die Zivilisten sonst gegenüberstehen.

Ein anderer Kritikpunkt ist die Betroffenheit. Auch Ihre Arbeit ist sehr persönlich. Wie gehen Sie mit dem Thema der journalistischen Objektivität und Neutralität um?

Objektivität bedeutet, zwischen zwei Parteien zu stehen, aber es bedeutet definitiv nicht, am Rande zu stehen und einem Tyrannen beim Morden zuzusehen

Ich habe mich mittlerweile von journalistischen Stücken mehr auf Augenzeugenberichte verlegt. Ich habe einige Glaubwürdigkeit gewonnen, und daher wollte ich insbesondere denen, die Englisch sprechen, dabei helfen, das zu sehen, was ich sehe, zu hören, was ich höre. Einer der Gründe ist, dass man nicht neutral bleiben kann, wenn jene, die getötet werden, die sind, die du liebst. Für internationale Journalisten ist es schwer, in so einem Horror zu arbeiten, aber wenn du selbst von dort kommst, die Menschen, um die es geht, deine Leute sind, dann ist es noch schwieriger. Vor gut vier Jahren sah ich, wie meine Freunde auf diesen Demons­trationen behandelt wurden. Einige von ihnen starben unter Folter. Man kann nicht neutral sein, wenn es um einen Kriegsverbrecher geht. Ich denke auch nicht, dass es irgendeinen westlichen Journalisten gibt, der neutral bleibt, wenn es um den IS geht. Objektivität bedeutet, zwischen zwei Parteien zu stehen, aber es bedeutet definitiv nicht, am Rande zu stehen und einem Tyrannen beim Morden zuzusehen. Das ist keine politische Position, es ist eine menschliche Position. Ich bin Journalistin, aber ich ergreife Partei: für Menschlichkeit.

Der Tod des 17-Jährigen Molhem Barakat, der als Freiberufler Fotos für die Agentur Reuters schoss, warf 2013 ein trauriges Licht auf die Bedingungen, unter denen gearbeitet wird. Der Druck ist groß, spektakuläre Bilder zu produzieren. Hat sich das gebessert?

Das hängt stark von den jeweiligen Medien und den Journalisten ab. Einige Agenturen, AFP etwa, trainieren ihre Reporter und behandeln sie wie feste Mitarbeiter, helfen ihnen, wenn sie verletzt werden. Andere aber, einige Fernsehsender und Zeitungen etwa, die mich gebeten hatten, sie mit Bürgerjournalisten in Kontakt zu bringen, nutzten diese aus. Ich habe mittlerweile klargemacht, dass ich keinem internationalen Journalisten mehr helfe, das Material eines Bürgerjournalisten zu bekommen, wenn diese die geleistete Arbeit nicht respektieren. Nur weil sie keine Zeugnisse oder Abschlüsse haben oder kein Englisch sprechen, hat man nicht das Recht, ihre Arbeit und die Gefahr, in die sie sich dafür begeben, gering zu schätzen.

Wie sehen Sie die gegenwärtige Berichterstattung über Syrien?

Ich halte sie für sehr verzerrt. Es gibt viele doppelte Standards. Man hat sich völlig auf den IS fokussiert und ignoriert gänzlich das Hauptproblem und den Hauptgrund für das Leid der Zivilisten: Assad und nun auch Russland. Das Regime ist für die große Mehrheit der zivilen Toten verantwortlich. Das Syrian Network for Human Rights geht von 96 Prozent aus. Und dieser Assad wird nun im Westen als das kleinere Übel, als die bessere Lösung gesehen. Das ist unglaublich für mich. Viele haben über den IS die Menschen und die Zusammenhänge aus den Augen verloren. Und sie präsentieren die syrischen Stimmen nicht. Vor der Parlamentsabstimmung über die Luftschläge gegen den IS haben einige britische Medien, wie der Guardian, versucht, jenen syrischen Stimmen Gehör zu verschaffen, die Einspruch gegen diese Entscheidung einlegten. Nun, sie wurden offensichtlich nicht gehört, aber einige haben diesen Dreh jetzt gekriegt und geben diesen Stimmen Raum, wenngleich das der allgemeinen Geisteshaltung entgegensteht, dass Syrer nicht einmal mehr Zahlen sind.

Sie reisen gerade durch den Westen für Preisverleihungen und Konferenzen. Wollen Sie zurück nach Syrien?

Ja. Bis heute kann ich mich nicht raushalten. Ich versuche mehr Zeit außerhalb Syriens zu verbringen, aber ich kann mich nicht dazu entschließen, nicht zurückzugehen. Ich werde definitiv kein Asyl in einem der Länder beantragen, für die ich momentan Visa habe. Ich werde nächstes Jahr staatenlos werden, weil ich keinen syrischen Pass bekommen konnte. Ich habe sogar einige tausend Dollar bezahlt, doch das Regime hat ihn mir verwehrt. Ich werde also zwischen Syrien und der Türkei festsitzen und ehrlich gesagt kümmert mich das auch nicht. Ich freue mich, nicht mehr in den Westen zurückzukehren. Dort ist es hart für mich, diese Stimmen zu hören, diese Ungleichbehandlung, als potenzieller Terrorist gesehen und behandelt zu werden, weil ich Syrerin bin. In keinem der Länder, die nun in Syrien bombardieren, sind wir noch willkommen. Und dann diese dummen Fragen, wer nun schlimmer sei: Assad oder der IS? Eine Frage wie die, ob man lieber langsam unter Folter oder schnell getötet werden will. Wir sind die, die den IS bekämpfen, ihn am Boden bekämpfen und seine überwiegenden Opfer sind. Und hier behandelt man uns wie Verdächtige.

Wie sehen Sie Syriens Zukunft?

Zaina Erhaim

30, arbeitet als Projektkoor­dinatorin für das Institute of War and Peace Reporting sowie als freie Journalistin. In diesem Jahr gewann sie den Peter-Mackler-Preis für couragierte und ethische Berichterstattung, Reporter ohne Grenzen ernannte sie zur Journalistin des Jahres.

Ich sehe keine.

Und die Konferenzen, in die man so viel Hoffnung setzt?

Ich drücke die Daumen, aber wir haben aufgehört, auf irgendetwas Positives zu hoffen. Die Situation wird nur schlimmer, insbesondere dank der Russen.

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