: Rekorde im Akkord
Größenwahn Dauerwitz erzählen, Telefonbuch zerreißen, Stöckelschuh laufen: In Zehlendorf gingen Menschen auf Weltrekordjagd. Ziemlich abgehoben das Ganze
von Andreas Hartmann
Weltrekorde im Sinne des Guinness Buchs der Weltrekorde, das waren früher: größter und kleinster Mann der Welt und so viele Dominosteine in einer Kettenreaktion zum Umfallen zu bringen wie niemand zuvor. Wie sehr sich das Weltrekordaufstellen inzwischen entgrenzt hat, davon konnte man am Wochenende bei den sogenannten Impossibility Challenger Weltrekordspielen in den Sporthallen der Zehlendorfer John F. Kennedy School einen Eindruck bekommen.
Hier wurden Rekorde gleich im Akkord aufgestellt – wie viele davon letztlich auch vom Guinness Buch aufgenommen werden, wird sich erst weisen. Schließlich waren so manche Disziplinen, in denen Rekorde aufgestellt wurden, doch arg speziell: etwa der Rekord im „400 Meter rennen und dabei einen Fußball köpfen.“
Dass rekordmäßig heutzutage wirklich alles möglich ist, schien auch ein RTL-Reporter vor Ort beweisen zu wollen, der seinen Versuch im „100 Meter in vier Minuten mit verbundenen Augen rückwärts Bobby-Car-Fahren mit Stöckelschuhen“ aufwendig von zwei Kameras filmen ließ. Es regnete in Strömen, die Tartanbahn vor der John F. Kennedy School war nass – und dennoch begab sich der Rekordstürmer tapfer an den Start. Alles musste seine Richtigkeit haben: Der Zeitabnehmer hatte seine Stoppuhr zur Hand, „Achtung, fertig, los“ und ab ging die Stöckelei.
Der Erfinder: ein Guru
Es war eine ziemlich bizarre Veranstaltung da draußen in Zehlendorf. Die Impossibility Challenger Spiele gehen zurück auf Sri Chinmoy, eine Art Guru, der sich mit Yoga, Meditation und Reinkarnation beschäftigt hatte. Irgendwann kam er auf die Idee, Spiritualität mit Sport zu verbinden: Er erdachte die von ihm sogenannte Selbst-Transzendenz, also so etwas wie „Über sich selbst Hinauswachsen“.
Einigermaßen schlüssig ist diese Verbindung durchaus, schließlich wird genau das nicht nur im Spitzensport immer wieder gefordert. „Fordere die Unmöglichkeit heraus!“, lautete der offizielle Leitspruch der diesjährigen Imbossibility Challenger Spiele. Mit so einem Slogan könnte auch der Turnschuhhersteller Nike seine neuen Treter bewerben.
Sri Chinmoy ist nicht nur der Ahnherr der Rekordspiele, die 1982 erstmalig stattfanden, sondern auch omnipräsent bei der Veranstaltung am Wochenende in Berlin. Überall hingen Sinnsprüche von ihm herum: „Wahre innere Freude ist Selbsterschaffen. Sie hängt nicht von äußeren Umständen oder äußeren Errungenschaften ab“ und Ähnliches. Und jeder Rekordhalter bekam am Ende einen kleinen Geschenkkorb, in dem ein kleines Kärtchen mit einem Spruch des großen Meisters steckte. Es gibt ja auch genügend dieser Kalender-Weisheiten von ihm: 115.000 Gedichte soll er geschrieben haben. Das ist sicher auch ein Weltrekord.
Inmitten dieser Ashram-artigen Atmosphäre ging es aber auch ziemlich untranszendental zu. Das Ganze war durchaus ein Treffen der Weltrekordler-Szene. Selbst Ashrita Furman war zugegen, offizieller Rekordhalter im Rekordhalten. Keiner hat so viele Weltrekorde aufgestellt wie er, in über 200 Disziplinen ist er aktuell der Weltbeste. In Berlin hat er einen Rekord im „möglichst viele Pfeile innerhalb von einer Minute mit dem Hals zerbrechen“ aufgestellt.
Oder Albert Jamie Walter, ein Unternehmer aus der Schweiz, der als Hobby „Telefonbuch-Zerreißen“ angibt und einen Weltrekord in der Disziplin hält. Er schafft es, das Münchner Telefonbuch mit seinen 1.500 Seiten in weniger als 9,32 Sekunden zu zerreißen.
Suppe ohne Fleisch
Auch Rainer Schröder aus Thüringen, ein bulliger Mann mit Kugelstoßerfigur, der nicht unbedingt so aussah, als würde er sich nur von der vegetarischen Suppe ernähren, die am Buffet gereicht wurde, ist mehr als nur ein Spaßrekordler. Der Mann nennt sich selbst einen Akrobaten, ist Profi, der vom Rekordemachen lebt, und stellt irgendwelche Kraftrekorde am Fließband auf. Schon mehrfach war er im Fernsehen, sogar Dieter Bohlen hat er mal in einer Sendung mit den Zähnen hochgehoben.
Bei den Imbossibility Challenger Spielen sei er zugegen, erklärte er, um sich seine neuesten Rekorde registrieren zu lassen. Gleich drei waren es an diesem Wochenende: Unter anderem verbog er ein 1-Euro-Stück mit den Zähnen und ein Hufeisen mit den Händen.
Auch Christa Meier wirkte nicht so, als hätte sie es schon mal mit Selbst-Transzendenz versucht. Sie saß in einem kleinen Raum und präsentierte einen kleinen Teil ihrer Sammlung von Schlüsselanhängern: 2.000 von insgesamt 48.000 Stück. Sie habe Probleme mit dem Guinness Buch der Weltrekorde, erklärte sie: Dieses wolle ihren Weltrekord im Schlüsselanhängersammeln nicht anerkennen. Deswegen wolle sie sich ihren Rekord bei den Imbossibility Challenger Spielen beglaubigen lassen, um dann nochmals beim Guinness Buch vorstellig zu werden.
Irgendwie auch ernst
Die Weltrekordspiele in Berlin waren für so manche also eine ziemlich ernste Angelegenheit. Insgesamt überwog jedoch der Spaßfaktor. Besonders in jener Stunde, in der der Schotte Karteek Clark einen Rekordversuch im Witzeerzählen aufstellte: „Jesus ist jetzt auf Twitter, er hat nur 12 Follower“. Und so weiter. Einen Witz nach dem anderen haute der Mann raus. Eher unbeabsichtigt half er dabei dem Äthiopier Belachew Girma bei dessen Rekord. Drei Stunden ohne Unterbrechung lachen, das war seine selbst gestellte Aufgabe.
Wie jeder bei den diesjährigen Rekordspielen hatte er Erfolg bei seinem Rekordversuch. Vielleicht lag’s am Ende ja tatsächlich an der Selbst-Transzendenz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen