Der Zupacker An einem Herbstnachmittag steht Moritz Dietzel auf einem Parkplatz voller Lastwagen im Gewerbegebiet Neukölln. Der bullige Mann ist Umzugshelfer, und das schon seit 28 Jahren. Ob aufgeräumte oder unfertige Häuser – Dietzel hat alles schon gesehen. Ein Gespräch über Berliner Wohnzimmer, Messis und Günther Jauch: „Es gibt eigentlich nichts Schweres“
Interview Antje Lang-LendorffFotos Piero Chiussi
taz: Herr Dietzel, sind Sie heute schon umgezogen?
Moritz Dietzel: Klar. War aber nur ein ganz kleines Ding.
Ein Privatumzug?
Eine Auslagerung. Ein Mann hat seine Wohnung an der Stralauer Allee renoviert und seine Sachen eingelagert. Wir haben sie aus unserem Lager wieder zu ihm gebracht. 40 Kisten, kaum Möbel, ein Viertel Lastwagen. Wir waren zu zweit und nach zwei Stunden fertig. Das ist nicht das, was ich sonst immer mache.
Was machen Sie denn sonst?
Sonst habe ich immer die großen Umzüge mit zwei bis drei Lkws. Oder die Extravariante, wenn Leute komplizierte Sachen haben. Schickimicki-Möbel, auf die man besonders achten soll. Ich habe auch schon einige Umzüge der oberen Zehntausend gemacht.
Was sieht man da so?
Möbel, die mehr kosten als ein Normalsterblicher hat. Ein Kleiderschrank für 20.000 Euro ist schon was anderes als ein normaler Kleiderschrank.
Ihnen wird vorher gesagt, dass ein Möbelstück so wertvoll ist?
Die Kunden, die ein bisschen was haben, die geben auch meistens ein bisschen an. Die sagen: Vorsicht: Der Schrank kostet soundso viel. Bei Prominenten gibt es solche und solche. Günther Jauch hab ich zweimal umgezogen. Ein ganz feiner Kerl ist das.
Wie hat er sich verhalten?
Als ob er zu uns gehört. Er hat mitgeschleppt, er hat mit uns rumgeflachst, er hat uns verköstigt, alles vom Feinsten. Die Leute treten unterschiedlich auf. Jauch hat Geld, aber er hebt nicht ab. Du bist für den ein normaler Mensch, der seine Arbeit macht. So etwas vergisst man nicht. Der Chef von Cola-Cola war auch so, hat ganz normal mit uns gequatscht.
Und, wie wohnt Günther Jauch so?
Vernünftig. War schön gewesen da. Mehr erzähle ich nicht. Das geht niemanden was an.
Geben die Reichen auch mehr Trinkgeld?
Das Trinkgeld ist insgesamt mächtig zurückgegangen. Ich hatte in der vorherigen Woche fünf Umzüge und hab überhaupt nichts gekriegt.
Ich dachte, es sei üblich, am Ende was oben draufzulegen.
Mal gibt es einen Fünfer oder einen Zehner pro Kopf. Die, die wenig Geld haben, geben noch was. Die, die viel haben, geben oft nichts. Nee, das mit dem Trinkgeld ist vorbei. Daran merkt man, dass alles teurer geworden ist.
Früher war Umziehen eine Art Volkssport in Berlin. Inzwischen sind die Umzüge innerhalb der Stadt deutlich zurückgegangen, von 370.000 im Jahr 2005 auf 294.000 im Jahr 2013. Es ist so schwierig geworden, eine billige Wohnung zu finden, dass die Leute lieber bleiben, wo sie sind. Bekommen Sie das zu spüren?
Also wir haben hier durchweg gut zu tun, ich kann mich nicht beklagen, Aber es gibt eben weniger Trinkgeld. Jetzt sparen sie alle, halten ihr Geld zusammen. Früher haben die Leute auch viele Sachen weggeschmissen. Wenn ein Jungscher von uns eine Couch brauchte und der Kunde eine wegschmeißen wollte und die war noch in Ordnung, musste er sich keine kaufen. Heute stellen sich die Leute damit lieber selbst auf den Trödelmarkt.
Der Mensch: Dietzel, 52, wurde in Eisenach geboren. Er wuchs in Ostberlin auf und machte eine Ausbildung als Isolierer. Anderthalb Jahre ging er zur Armee. Anschließend arbeitete er auf dem Bau, wechselte aber nach zwei Jahren zur DDR-Spedition Autotrans. Nach der Wende ging er zu Zapf. Dort arbeitet er seit 22 Jahren. Dietzel ist verwitwet, er hat zwei Söhne.
Das Unternehmen: Der Firmengründer Klaus Zapf machte 1975 als Jurastudent erste Entrümpelungen und Klaviertransporte mit seinem Gebrauchtwagen. In den 80er Jahren wurde Zapf „Westberlins bestes Umzugskollektiv“. Aus dem Kollektiv wurde später ein Unternehmen mit Klaus Zapf, erst als Inhaber eines Betriebs mit Belegschaftsbeteiligung, dann als alleiniger Chef. Vor einem Jahr starb Zapf. Die „zapf Gruppe“ beschäftigt inzwischen deutschlandweit rund 700 Mitarbeiter. (all)
Viele Wohnungen sind heute auch deutlich schicker als noch vor zehn Jahren, oder?
Klar. Einmal komme ich wo rein, da denke ich: Oha, die Wohnung kenne ich doch. Genau die hatte ich ein halbes Jahr vorher leer gemacht. Die haben die richtig schön hergerichtet. Es gibt sanierte Altbauwohnungen in Pankow und Prenzlberg, da fällt man vom Glauben ab. Die waren früher völlig runtergeranzt, heute ist alles schick gemacht. Das sind dann aber Mietpreise ... In Kreuzberg kriegt man auch keine Wohnung mehr. Ich hab da schon Wohnungen gesehen, mein lieber Mann. Dachgeschosswohnungen, die noch über Eck gehen, mit Riesenterrassen. Die sind dann richtig teuer. Also wenn jemand eine schöne, bezahlbare Wohnung hat, würde ich da auch nicht mehr weggehen.
Wie wohnen Sie denn?
Ich wohne in Schöneweide. In einer Zweiraumwohnung, nichts Großes mehr. Früher haben wir in Karlshorst gewohnt, schöne Gegend. Aber seit vier Jahren bin ich allein, meine Frau ist gestorben. An einem Herzinfarkt auf dem Weg von der Arbeit. Am Ostkreuz ist das passiert. Sie lag auf dem Bahnsteig. Da halten Züge im Minutentakt, Leute steigen aus. Alle sind vorbeigerannt.
Keiner hat geholfen?
Keiner. Der Notarzt hat sie nach 20 Minuten wiederbelebt, aber da war kein Gehirn mehr da. Hätte gleich einer was gemacht, hätte jemand gepumpt, dann hätte sie überlebt.
Das ist ja schrecklich.
Danach war ich ein halbes Jahr weg vom Fenster, hab auch nicht gearbeitet. Meine Kinder sind zurückgezogen zu mir, damit ich über den Berg komme. Der Große ist irgendwann wieder weg, danach habe ich eine Weile eine WG gehabt mit dem Kleinen, das war schön. Der hat die Wohnung inzwischen übernommen, und ich bin nach Schöneweide. Inzwischen geht’s mir wieder gut. Einer meiner Jungs arbeitet übrigens auch bei Zapf, hinten im Lager.
Wenn man den ganzen Tag Möbel in eine Dachgeschosswohnung mit riesigen Terrassen gebracht hat und dann nach Hause kommt in eine kleine Zweiraumwohnung, ist das komisch?
Ach was. Jeder soll so leben, wie er will. Wenn jemand meint, er braucht so eine Wohnung, soll er sie haben. Soll er glücklich werden damit. Ich brauche es nicht. Ich habe mein Hobby und damit ist gut.
Was ist Ihr Hobby?
Motorradfahren. Ich hab mir eine schöne Harley geholt. Das war ein Traum, den ich mir erfüllt habe. Ich brauche keine 300 Quadratmeter, ich bin nicht neidisch. Ich wohne nur wenige Kilometer von der Arbeit entfernt, da ist auch meine Motorradcrew. Das ist für mich ideal.
Fahren Sie schon lange?
Die Harley hab ich mir gekauft, nachdem meine Frau gestorben ist. Ich war damals wirklich in einem tiefen Loch gewesen. Die Motorradcrew, die kenne ich seit über 30 Jahren. Die kamen dann bei mir zu Hause vorbei, haben mir einen Tritt in den Arsch gegeben und gesagt: Komm mal raus hier. Ich hab hier bei Zapf sogar einen eigenen Parkplatz.
Das „Moritz“-Schild gegenüber vom Eingang hängt für Sie da?
Für mein Moped.
Sie genießen hier offenbar ein gewisses Ansehen. Wie lange sind Sie denn schon Umzugshelfer?
Seit 28 Jahren. Wobei ich zwei Jahre gebraucht hab, um auf die Möbel zu kommen. Zu Ostzeiten hab ich Isolierer gelernt. Wärme, Kälte, Schallschutz. Dann war ich erst auf dem Bau. Ich wollte zu Autotrans, der DDR-Spedition in Ost-Berlin, weil man da fast das Dreifache verdient hat. Die Arbeit war natürlich sehr begehrt. Da brauchteste jemanden, der dich reinholt. Nach zwei Jahren hat es geklappt. Da hab ich gut verdient. Aber ich hab auch zwei oder drei Umzüge am Tag gemacht.
Das ging?
Zu Ostzeiten hatten wir keinen Service. Die Möbel waren auseinandergebaut. Die hat man genommen, aufgeladen, weg, ausgeladen. Heute packen wir, montieren die Möbel, wie die Leute das wollen. Nach der Wende bin ich dann zu Zapf.
Der Unternehmensgründer Klaus Zapf ist Legende, er verkehrte früher in der linken Szene, war mit Rudi Dutschke befreundet. Kannten Sie ihn?
Natürlich. Das war ein guter, netter Mensch. Aber mit Politik hab ich gar nichts zu tun.
Vor einem Jahr ist Klaus Zapf plötzlich verstorben. Hat das die Stimmung im Betrieb verändert?
Sicher, wir kannten ihn ja schon lange. Ich arbeite hier jetzt das 22. Jahr. Zapf hat sich aber früher schon rausgezogen aus dem Betrieb, meine Arbeit hat sich durch seinen Tod nicht verändert.
Wie viele Umzüge haben Sie schon gemacht in Ihrem Leben?
In der Regel waren es fünf Umzüge pro Woche. Früher, als ich jung war, hab ich auch die Sonnabende mitgenommen. Da kommt man in 28 Jahren auf insgesamt ... Muss ich das jetzt ausrechnen?
Das müssten zwischen 5.000 und 6.000 Umzüge gewesen sein. Da haben Sie sicherlich schon die unterschiedlichsten Wohnungen zu Gesicht bekommen.
Ich hab alles schon gesehen. Aufgeräumte Wohnungen. Häuser mit Pool. Unfertige Häuser. Ich hab auch mal ein Haus gehabt, der Besitzer hatte noch keine Wände stehen. Der hat nur einen Strich gemalt und gesagt: Hier muss der Schlafzimmerschrank aufgebaut werden, dahinter kommt dann die Wand. Der lag mit offenem Dach da, unter dem Sternenhimmel, nur mit einer Folie über sich. So was haben wir gehabt. Oder eine Einraumwohnung, wo wir 400 Kisten rausgeholt haben.
War das ein Messi?
Ja, um es klar zu sagen: Das war ein Messi. Den schlimmsten Umzug, den ich je hatte, war aber noch zu Ostzeiten, eine Frau mit 20 Katzen. Die Wohnung war klein, die Frau hat mit ihren Katzen im Flur geschlafen. Bevor man da reinging, musste man tief Luft holen.
Wie schafft man es körperlich, 28 Jahre lang Kisten zu schleppen?
Das lass ich inzwischen die Jungschen machen. Früher war ich immer auf der Treppe gewesen. Aber seit vier oder fünf Jahren packe ich den Lkw. Ich bin über 50 Jahre alt, ich kann jetzt ein bisschen ruhiger treten. Ich trage auch noch mal mit, wenn es komplizierte Sachen sind. Aber vor allem pass ich auf, dass nichts passiert. Ich fahre den Lkw, verstaue die Möbel und Kisten darin und mach auch die Papiere, also die Abrechnung am Schluss.
Dann haben Sie auch über 20 Jahre lang geschleppt. Irgendwann geht das doch auf den Rücken, oder?
Ich hab nichts.
Gar nichts?
Ich hatte vielleicht mal einen Nerv eingedreht oder mich verrenkt. Aber bleibende Schäden? Nee. Bandscheiben, Kniescheiben, funktioniert alles.
Warum tragen Sie dann nicht mehr?
Ich trage ja auch noch. Aber ich renne nicht mehr die Treppen hoch und runter. Wegen der Luft. Ich komme außer Atem.
Hassen Sie Waschmaschinen?
Nee. Warum sollte ich?
Weil die so schwer sind.
Die einzige schwere Waschmaschine ist die von Miele. Früher haben wir die alleine genommen. Aber heute dürfen die nur noch zu zweit im Gurt getragen werden. Da gibt es jetzt Vorschriften. Nee, Waschmaschinen sind nicht schlimm. Lieber habe ich zehn große Stücke als hundert Kisten. Dann ist der Umzug nach zehnmal Tragen vorbei. Manche Leute haben einen Sack-Umzug, diese ganzen blauen Tüten. Weil sie Kisten sparen wollen. Das geht mir auf den Keks, da muss man ständig hoch und runter.
Das Gerenne ist nerviger als das Gewicht?
Genau. Es gibt eigentlich nichts Schweres. Das ist alles eine Frage der Technik. Der Normalmensch trägt Kisten ja meistens vor dem Bauch. Wir Umzugshelfer heben sie immer auf die Schulter, damit der Rücken gerade bleibt. Oder wir schnüren mehrere Kisten zusammen und tragen die oberste mit dem Kopf. Man sollte besser nicht so groß sein für die Arbeit. Da stößt man sonst mit Möbeln an die Decke. Die Kleinen und Dünnen tragen auch schwere Sachen.
Wirklich schwere Sachen können Sie ja auch zusammen nehmen.
Die großen Sachen, von denen man denkt, sie passen nicht durch das Treppenhaus, die lassen sich allein viel besser tragen als zu zweit. Es gibt ja diese Esstische von 2,50 Meter Länge. Die trage ich alleine auf dem Kopf runter. Weil ich genau einschätzen kann, wenn man mit dem Hinterteil am Geländer bleibt und sich dann eindreht, stößt man nirgendwo an. Genauso ist es mit den 2,20 Meter hohen Schränken. Die nehme ich auf den Rücken, gehe rückwärts die Treppe runter und drehe mich mit der Treppe mit. Ich hab immer schon alleine getragen. Mit zwei Mann war mir zu blöd.
Zapf hatte früher das Motto „Mens agitat molem“ auf den Lastwagen stehen – „Der Geist bewegt die Masse“. Ist Möbel schleppen auch eine Einstellungssache?
Klar. Ich hab die Arbeit immer sehr gerne gemacht. Ich wollte gar nicht woandershin. Zapf hat damals viele Arbeiter von Autotrans übernommen, weil sie wussten, wir konnten das. Von den Möbelträgern meiner Generation sind heute aber nicht mehr viele übrig. Mir hat das früher keiner beigebracht, ich musste mir das abgucken. Heutzutage bekommen sie eine Ausbildung, trotzdem haben manche eine Einstellung ... Da muss man noch ganz schön Arbeit reinstecken. Aber es gibt auch viele bei den Jungschen, da sieht man: Die wollen und die passen auch auf.
Wie lange wollen Sie den Job noch machen?
Ich hoffe, noch eine Weile. Am Anfang dachte ich, fünf Jahre machste das mal. Jetzt sind es 28 Jahre. Ich hab Spaß daran. Immer noch.
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