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Pianist Keith Tippett beim Jazzfest BerlinPerfektionist ohne Berührungsängste

Zwischen freier Form, Prog-Rock und Soundtracks: Der Pianist Keith Tippett ist eine prägende Figur des britischen Jazz.

Prächtiger Backenbart als Markenzeichen: der britische Keith Tippett. Foto: Franz Soprani / Skylar

Polizisten haben einen schlechten Ruf. Sie sollen helfen, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten und die Zivilbevölkerung zu schützen, doch mitunter tun sie das Gegenteil. Das liegt auch daran, dass sie Waffen tragen.

Auch wenn sie damit meist keine unbewaffneten Bürger erschießen, haftet ihnen stets ein Ruch von Unberechenbarkeit und der „dunklen Seite des Gesetzes“ an, wo andere Regeln als Recht und Ordnung gelten. Ob diese Ambivalenz einen direkten Einfluss auf Keith Tippetts musikalischen Werdegang hatte, ist ungewiss. Und dennoch erscheint bemerkenswert, dass der Pianist, der 1947 in Bristol geboren wurde, ausgerechnet einen Polizisten zum Vater hatte.

Der Sohn sollte in seiner Musik alles andere tun, als bestehende Ordnungen einzuhalten. Tippett, der heute Abend beim Jazzfest Berlin mit seinem Oktett spielt, hat fast schon systematisch Grenzen eingerissen und freie Formen erkundet, die noch weniger Vorgaben folgten als im Free Jazz, der die Freiheit immerhin im Namen trägt.

Zunächst einmal machte Keith Tippett aber als einer der maßgeblichen Vertreter des britischen Jazzrock von sich reden. Und nicht einfach bloß mit Ensembles, die in mehr oder minder traditioneller Jazzbesetzung ein paar elektrische Instrumente hinzunahmen. Tippett dachte auch bei der Zahl der Mitwirkenden gern in Größenordnungen, die das herkömmliche Maß hinter sich ließen.

Er denkt bei Mitwirkenden in Größenordnungen jenseits des Herkömmlichen

So versammelte seine programmatisch benannte Formation Centipede 50 Musiker, die aus den unterschiedlichsten Richtungen kamen. Ihr 1971 erschienenes Album „Septober Energy“ gilt als Meilenstein des grenzüberschreitenden Jazz: Herkömmliche Jazzmusiker spielten zusammen mit Vertretern des Progressive Rock – am Schlagzeug saß etwa Robert Wyatt von der Artrock-Band Soft Machine –, hinzu kamen Soul-Sängerinnen wie Tippetts Ehefrau Julie Tippetts – oder klassisch ausgebildete Instrumentalisten.

Quecksilbrig durch allerlei Genres

Der heterogenen Herkunft der Beteiligten entsprach die quecksilbrig durch allerlei Genres mäandernde Musik. Stilistisch bewegte sich dieser Koloss zwischen atmosphärisch-ruhigen Stellen, Free Jazz-Ausbrüchen und Jazz Rock im Big-Band-Format.

Keith Tippett

Keith Tippett Octet, 6. November, Haus der Berliner Festspiele, Berlin

Tippett kennt kaum Berührungsängste. Ende der Sechziger schon arbeitete er mit Soft Machine zusammen, und Anfang der siebziger Jahre spielte er auf drei Alben der Prog-Rock-Institution King Crimson, steuerte wahlweise lyrische Passagen bei oder lieferte wilde Cluster-Ausbrüche, mit denen er zum Beispiel dem Song „Cat Food“ von 1970 explosive Energie verlieh. King Crimson-Chef Robert Fripp zeichnete seinerseits als Produzent von Tippetts Album „Septober Energy“ verantwortlich.

Keith Tippett, der als Perfektionist lieber noch ein paar Mal öfter übt als zu wenig, tat sich ebenso mit stilistisch homogener, völlig freier Improvisation hervor. Sein Projekt Ovary Lodge, in dem unter anderem seine Frau Julie Tippetts mitwirkte, erkundete offene Formen mit „spontaner Komposition“. Musik, deren Ausgang unvorhersehbar bleibt, ohne beliebig zu werden, und bei deren spezifischer Dringlichkeit auch vor Schreien nicht haltgemacht wird.

Tippett und Tippetts

Mit Julie Tippetts spielt Tippett oft im Duo, wobei Tippetts neben ihrer Stimme diverse Perkussionsinstrumente bedient. Die Namensverwirrung bei dem Ehepaar erklärt sich übrigens wie folgt: Julie Tippetts begann ihre Karriere unter ihrem Geburtsnamen Driscoll und nahm bei der Heirat ihrerseits den Geburtsnamen ihres Mannes an. Der schrieb sich früher ebenfalls mit einem „s“ am Ende. Doch seit seiner Gründung des Keith Tippett Sextet 1967 ließ er den Endlaut der leichteren Aussprache halber einfach weg.

Nach einer „esoterischeren“ Phase in den Achtzigern, in denen Tippett öfter solo musizierte – als Bipede, wenn man so möchte –, gründete er mit Mujician eine konventionellere Free Jazz-Formation, die zu seinen langlebigeren Projekten zählt.

Andere Gründungen blieben kurze Episoden: Mit seinem 22-köpfigen Projekt Ark spielte er 1978 das Doppelalbum „Frames“ ein, das im Untertitel „Music for an Imaginary Film“ versprach und als eine konzentriertere Neuauflage von Centipede betrachtet werden kann. Gelegentlich schrieb er sogar Soundtracks für Filme, darunter die Komödie „Supergrass – Unser Mann bei Scotland Yard“ aus dem Jahr 1985.

Neben Kompositionsaufträgen für Orchester oder Streichquartett ist Tippett auch in der Lehre tätig. So unterrichtete er Musik an der Universität Bristol. Wobei er sich nicht als Lehrer betrachtet. Er sieht sich vielmehr als guten „Ausbilder“, der in jungen Leuten die Liebe zur Musik wecken kann. Was sich auch in der Besetzung seines Oktetts niederschlägt.

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