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Geschäft Während die Polizei in der Vorstadt Plantagen räumt, denken Beamte über Coffeeshops nach. Wer heute in den Knast geht, könnte bald ein Unternehmer seinDa wächst was

Foto: Matt Nager/Redux/laif

von Daniel Schulz, Plutonia Plarre, Elisa Britzelmeier und Luciana Ferrando

In einer anderen Welt wäre Pascal N. als Cannabis-Züchter vielleicht längst reich geworden. Es hätte eigentlich schon gereicht, in einem anderen Land aufzuwachsen. Weil er allerdings in Berlin-Spandau, Deutschland, lebt und nicht in Denver, USA, erfuhr N. während einer Schicht als Fahrkartenkontrolleur in der U-Bahn, dass zu Hause ein Mannschaftswagen der Polizei vor seiner Tür stand. Pascal N. fuhr also los, eine Stunde vom Berliner Osten ganz in den Westen, zu den Männern und Frauen, die seine Wohnung aufgebrochen hatten.

Das war am 11. September 2014. N. erinnert sich noch daran, dass die Polizisten ihn auf dem Weg in die Untersuchungshaft fragten, ob sie ihm Handschellen anlegen müssten. Er fand das ziemlich nett damals.

Als Pascal N. ins Gefängnis musste, durften Menschen im US-Bundesstaat Colorado seit neun Monaten Marihuana kaufen. Inzwischen ist das auch in Washington an der Westküste und in Oregon so, 23 Staaten der USA und Kanada erlauben den Verkauf von medizinischem Cannabis. Die Erben von Bob Marley wollen ins Geschäft einsteigen, der Rapper Snoop Dogg hat eine soziales Netzwerk nur für Kiffer gegründet. Für Colorados Hauptstadt Denver listet der Touristenführer „Colorado Pot Guide“ mehr als 100 Geschäfte auf und liefert dazu Adressen von kifferfreundlichen Hotels und Pensionen.

Die Boxen, in denen die Angeklagten im Gerichtssaal in Berlin-Moabit sitzen, sehen aus wie Fahrkartenschalter auf einem Bahnhof, Streben aus braunem Holz und Metall, dazwischen Glas. In einem dieser Kästen sitzt ab Februar 2015, als sein Prozess beginnt, Pascal N. Er ist 26, hat blaue Augen, helle Brauen, ein Gesicht zwischen Junge und Mann, das rund wird, wenn er lächelt. Im Gefängnis haben ihm Justizbeamte gesagt, er sei ein guter Junge. Während des Prozesses trägt er graue Pullover, blaue Jeans, Turnschuhe.

Umfrage: „Ja, ich inhaliere“

Die Fragen:Die taz.am wochenende hat Prominente gefragt, wann sie das letzte Mal gekifft haben und wie es war.

Die Zielgruppe:43 Schauspieler, Sängerinnen, Regisseurinnen, Komiker und Journalisten

Die Rücklaufquote:4,65 Pro­zent, zwei der Befragten haben bis Redaktionsschluss geantwortet. Auf etwaige Langsamkeiten konnten wir leider keine Rücksicht nehmen.

Das Ergebnis I:Komiker und Schauspieler Kurt Krömer schrieb uns per Mail, dass er momentan so dermaßen vollgeballert sei mit Crack, dass es ihm nicht möglich sei, etwas Sinnvolles über das Kiffen zu schreiben. Alles in Kleinbuchstaben, außer „Crack“.

Das Ergebnis II: Ein bekannter Satiriker bedankte sich für die Nachfrage. „Mache ich“, schrieb er auf unsere Bitte nach Auskunft. Und: „Bis Mittwoch!“ Wir warten immer noch.

Unauffälligkeit sei die Strategie seines Anwalts, wird Pascal N. später erzählen. Der Richter soll vergessen, dass er überhaupt da ist. Heute aber steht er im Mittelpunkt, er wird reden.

In Deutschland verfolgt die Polizei Haschischraucher und Hanfanbauer immer noch. Sie ermittelte 2014 in 161.000 Cannabis-Delikten. Der höchste Wert der vergangenen sechs Jahre. Doch auch hier ändert sich gerade etwas. Die Grünen haben einen Entwurf für ein Cannabis-Kontrollgesetz vorgelegt, Erwachsene sollen bis zu 30 Gramm Marihuana kaufen und besitzen dürfen. Der Regierende Bürgermeister in Bremen sagte als erster Landesregierungschef, die Kriminalisierung von Cannabis sei nicht mehr zeitgemäß. Sogar der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Joachim Pfeiffer, fordert einen legalen Cannabismarkt.

Und in Berlin-Kreuzberg sitzt im August ein Mann in einem Café im Görlitzer Park und hat einen Plan, der das Land verändern könnte. Horst-Dietrich Elvers ist Suchthilfekoordinator des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg. Er will Deutschland seine ersten Coffeeshops bescheren. „Ich habe noch nie gekifft“, sagt Elvers, 41 Jahre alt, Ohrring, Ehering, helle Hose, kurzärmeliges Hemd. Trotzdem hat er beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vier Marihuana-Fachgeschäfte für den Bezirk beantragt: Alle erwachsenen Einwohner von Friedrichshain-Kreuzberg sollen dort bis zu 60 Gramm Cannabis im Monat kaufen können.

Es ist heiß, Elvers sitzt draußen. Ein paar Wochen wird es noch dauern, bis der Herbst kommt und sein Plan fürs Erste scheitert.

Man muss die Coffeeshops, die er beantragt hat, wohl als Abwehr verstehen. Gegen die Dealer im Park, die eine Zeit lang nicht nur Berlin, sondern ganz Deutschland beschäftigten. Gegen die Gewalt, die die Geschäfte mit sich bringen. Vor allem aber will er Jugendliche schützen. Elvers hofft, dass man mit ihnen besser über die Gefahren reden kann, wenn man Gras nicht verdammt, sondern es wie Alkohol oder Nikotin betrachtet – als Genussmittel.

Ob Merkel das von ihrem Büro aus sieht? Die Berliner Hanfparade im August 2014 Foto: Karsten Thielker

17,7 Prozent der jungen Menschen zwischen 18 und 25 haben in den vergangenen 12 Monaten Cannabis konsumiert. Das zeigt eine aktuelle Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. 2008 waren es nur 11,6 Prozent. Bisher ist Cannabis in Deutschland nur als Medikament zugelassen und nur in Ausnahmefällen, zum Beispiel bei Multipler Sklerose, ADHS oder depressiven Störungen.

Wenn Angeklagte in einem Prozess aussagen, lassen sie ihre Verteidiger meist vom Blatt ablesen. Pascal N. redet an diesem Prozesstag selbst. Es ist Frühjahr 2015. N. gegenüber sitzt einer seiner ältesten Freunde, Sven W. Beide kennen sich schon so lange, dass Pascal N. sich nicht erinnern kann, seit wann. Der Freund fragte ihn, ob er sich nicht ein bisschen was dazuverdienen wolle. Jemand suchte Räume für Hanfplantagen.

N. kifft selbst nicht, Gras mache ihn müde, sagt er. Ihn reizte die Aussicht, schnell an Geld zu kommen. Außerdem wollte er seine Mutter mit billigem Gras versorgen. Sie war früher Finanzbeamtin, leidet nach einer Borreliose an Muskelschwäche und kann seit Jahren nicht arbeiten. 358 Euro im Monat gebe ihr der Staat, sagt sie. Wenn sie die Treppen zum Gerichtssaal hinaufgeht, hat sie Schmerzen. Gras vom Arzt zu bekommen, ist ihr zu teuer und zu kompliziert. Sie sagt, sie kriege das Gramm noch für zehn Euro, wo gebe es das schon noch in Berlin, sie sei eine treue Kundin.

Vom März bis Dezember 2012 gehörte Pascal N.s Wohnzimmer Harry. So sollte er den Holländer nennen, der seine Fenster abklebte, damit die Nachbarn nichts merkten, der die Hanfpflanzen in seine Wohnung brachte und die Lampen anbaute, die grünen Setzlinge brauchen das richtige Licht. Einhundert Pflanzen könnten da gestanden haben, vielleicht auch zweihundert. „Mir wurde nichts weiter verraten“, sagt Pascal N. zum Richter, er berlinert, die Stimme dunkel und rau, „aber ich wollte es auch nicht wissen.“ Seinem Freund Sven W., der ihn an Harry vermittelt hatte, gab er einen Wohnungsschlüssel. Harry düngte die Pflanzen, goss sie, manchmal an einem Tag pro Woche, mal an dreien.

N. hatte Angst vor der Polizei und schlief öfter bei Freunden. Nicht nur die Plantage war ihm unheimlich, der Holländer war es auch. „Wenn es nicht so lief, ist er ausgerastet“, sagt N. Es lief öfter nicht. Ungeziefer befiel die Pflanzen, „so kleine Spinnentiere“. Harry sprühte Gift. Sie ernteten alle zehn bis zwölf Wochen.

Pascal N. half, die Blütenstände von den Pflanzen zu schneiden und sie in Pappkartons zu legen. Karton nimmt die Feuchtigkeit der Pflanzen auf, das half gegen Schimmel.

Es war ihm nicht egal, was mit den Pflanzen passierte, er wollte profitieren, aber dabei so wenig wie möglich involviert sein. Beim Wiegen des Grases war er nicht dabei, er hörte aber, wie die anderen von drei Kilogramm pro Ernte redeten. Wieder war der Holländer unzufrieden, er hatte das Doppelte erwartet.

Nach drei Ernten, im Winter 2012, war plötzlich Schluss. N. merkte es, als er nach Hause kam und in einem leeren Wohnzimmer stand. Die Pflanzen, die Lampen, die Kartons – alles weg. Wahrscheinlich hatte der Holländer es mitgenommen.

Eine Bande sollen sie sein, sagt der Staatsanwalt. „Eine Familienbande wohl eher“, sagt Pascal N.

Im Juli 2014, als Gras in Seattle legal gekauft werden durfte Foto: Jason Redmond/reuters

Sieben Männer und eine Frau sind mit ihm angeklagt, die meisten, weil sie in Wohnungen Hanf angebaut haben. Einer hat die Ware aufgekauft und weitergedealt.

N. kennt sie fast alle. Sie sind in Spandau zusammen aufgewachsen. Da sitzt ein Mann, der jetzt mit der Frau zusammenlebt, mit der N. eine fünfjährige Tochter hat. Der arbeitete früher bei Obi, kam billig an Baumaterialien für die Plantagen heran und mietete für den Grasanbau extra eine Wohnung. Neben ihm Sven W., der Freund, der N. mit dem Holländer zusammengebracht hat. W. ist mit der Schwester von N.s Exfreundin liiert. Die vier – der Obi-Mitarbeiter, die Mutter von N.s Tochter, Sven W. und die Schwester von N.s Exfreundin – wollten am 12. September 2014 heiraten, Doppelhochzeit, der Raum war gemietet, die Gäste hatten Salate gemacht. Dann kam am Tag davor die Polizei.

In den Verhandlungspausen ziehen seine Freunde Pascal N. auf, weil man ihm ansieht, dass er Angst hat, nervös ist. Einer holt eine Packung Papiertaschentücher heraus und sagt: „Hier, die brauchst du noch.“ Es ist ein Running Gag, über den alle immer wieder lachen, weil Pascal N. geweint hat, als sie ihn aus der Untersuchungshaft entlassen haben. Dabei ist er doch der Rapper in der Gruppe, King Avatar, erster Song mit 13 Jahren, Scheißbullen und Huren, alles dabei. Seine Mutter singt seine Lieder mit, er findet das peinlich, lächelt aber, wenn er sie deswegen anpöbelt.

N. hat seinen Job als Fahrkartenkontrolleur verloren, sein Mikro für 300 Euro und den Verstärker musste er verkaufen, wegen der Prozesskosten.

Harry, der Holländer, ist auch da. Roland May heißt er, erfährt Pascal N. in der Haft und dass er ein Großunternehmer mit mehr als 30 Mitarbeitern und Plantagen in brandenburgischen Kleinstädten gewesen sein soll. Damit Richter und Staatsanwälte den Fall bewältigen können, splitten sie ihn in drei Prozesse, May ist in allen die zentrale Figur. Über ihn wollen sie an weitere „holländische Investoren“ rankommen. Pascal N.s Wohnung in einem vierstöckigen grauen Mietshaus im Westen Berlins war nur eine kleine Filiale.

Zwanzig Kilometer weiter östlich sitzt Horst-Dietrich Elvers im Café im Park und sagt, dass das Marihuana für die Coffeeshops möglichst in der Region angebaut werden sollte. „Ideal wäre Gras aus Berlin. Kurze Wege, kein unnötiger CO2-Ausstoß.“ Wenn sich die Idee von Elvers langfristig durchsetzt, könnten aus Menschen wie Pascal N., die heute noch als Verbrecher gelten, vielleicht einmal Unternehmer werden.

Leute wie Elvers sind die neue Hoffnung von allen, die eine Freigabe von Cannabis wollen. Sie sind keine Altkiffer, die endlich ihre Drogen unbesorgt kaufen wollen und an ein Recht auf Rausch glauben. Sondern nüchterne Politiker in Anzügen. Sie argumentieren, die bisherige Politik gefährde die Gesundheit der Bevölkerung und treibe dem organisierten Verbrechen Kunden in die Arme.

Vor allem bei den Sozialdemokraten bewegt sich derzeit etwas. Da ist der Berliner Gesundheitspolitiker Thomas Isenberg, der mit seiner weißen Tolle aussieht wie ein Reeder. Oder der Koordinator des Arbeitskreises Drogenpolitik Burkhard Blienert, Kurzhaarschnitt, randlose Brille, der könnte bei einer Sparkasse arbeiten. Sie wollen eine Freigabe von Cannabis, aber mit strengem Jugendschutz.

Das Betäubungsmittelgesetz entsprechend zu ändern, lehnt Gesundheitsminister Hermann Gröhe ab, die Drogenbeauftragte der Bundesregierung ebenfalls. Aber Veränderungen müssen nicht per Bundesgesetz deklariert werden. Dass sich tatsächlich etwas verändert, liegt vor allem an den Kommunen.

In Düsseldorf haben die Abgeordneten des Stadtparlaments ihre Verwaltung aufgefordert, einen Entwurf für ein Musterprojekt wie in Berlin zu entwickeln. In Hamburg-Altona diskutieren sie das ebenfalls. Elvers wird oft zu Veranstaltungen dort eingeladen. Wenn von ganz oben nichts kommt, dann gibt es vielleicht eine kommunale Graswurzelbewegung. Eine Revolution von unten.

Der, den sie auf den Fluren des Gerichtssaals den „Casanova“ nennen, will offenbar auch seinen Beitrag dazu leisten, mit seinen Anträgen. Heinz-H. Möller ist einer der Verteidiger im Prozess. Er liest so schnell, das manche im Gerichtssaal gar nicht mitkommen. Der Holländer und seine Übersetzerin zum Beispiel. Seit über dreißig Jahren tue er sich solche Prozesse an, sagt Möller. Cannabis, immer wieder.

Dabei habe es doch noch keinen einzigen bekifften Amokläufer gegeben, dafür umso mehr besoffene. Deswegen spricht Möller wie einer, der Wut in sich trägt, den Arm auf die Bank vor ihm gestützt, ein Schluck aus der Wasserflasche, Blick auf den Richter, weiter, fünf Anträge, der kürzeste zwei Seiten, der längste sechs.

Freude über kostenlose Verdampfer auf dem High Times U.S. Cannabis Cup in Seattle Foto: Jason Redmond/reuters

Möller will einen medizinischen Sachverständigen laden lassen, der sagt, Marihuana führe bei Schwerkranken zu einer „spürbaren Verbesserung des Allgemeinbefindens“, einen Professor von einer psychiatrischen Klinik, der zwar gegen eine Freigabe von Cannabis ist, aber sagt, Cannabis sei vor allem für die schädlich, die es in sehr jungem Alter konsumieren. Außerdem will Möller einen Psychotherapeuten aus Bremen reden lassen, der 2013 eine Streitschrift für die Entkriminalisierung mitinitiiert hat – 122 Strafrechtsprofessoren haben sie unterschrieben. Ein Substitutionsmediziner soll sagen, dass die „Verwahrlosungs- und Delinquenztendenzen nicht kausal auf die Einnahme der Droge selber“ zurückzuführen seien, sondern deshalb auftreten, weil die Droge verboten sei und illegal beschafft werden müsse. Ein anderer Mediziner soll kommen und sagen, chemische Drogen seien gefährlicher als natürliche Rauschmittel.

Es ist das volle Programm, die Drogendebatten der vergangenen Jahrzehnte. Möller will die geringe Schuld seines Mandanten belegen, aber der Rechtsanwalt macht das Spektakel auch, weil es ihm um das Grundsätzliche geht.

Pascal N. und die anderen Angeklagten finden ihn cool, sie haben ihm wegen seines dramatischen Auftritts den Spitznamen „Casanova“ verpasst.

Während Pascal N.s Prozess läuft, sprechen in der Verwaltung von Kreuzberg Unternehmer und Investoren vor, erzählt Horst-Dietrich Elvers, der Suchthilfekoordinator. Sie wollen bei den ersten Coffeeshops Deutschlands dabei sein. „Nach dem Motto: Wir haben Kapital. Was braucht ihr?“, sagt Elvers. Sogar ein CDU-Naher sei dabei gewesen. Wenn er an den Auftritt des Mannes denkt, muss er schmunzeln. „Sein Bestreben war, Cannabis mit einem modernen Geschäftsmodell und einer seriösen Finanzierung aus der Schmuddelecke zu holen“, sagt er.

Im Frühjahr vergangenen Jahres warf einer der vielen Dealer im Görlitzer Park einen Rucksack auf das Gelände eines Kinderbauernhofs, der sich im Park befindet. Die Polizei fand darin eineinhalb Kilo Gras und einen Scheck über 65.000 Euro. Wer bringt das Marihuana in den Park? Laufen Verbindungen zu dem, was die Polizei organisiertes Verbrechen nennt? Das wollen viele der Legalisierungsbefürworter verhindern.

Auf den Zuschauerbänken im Gerichtssaal in Berlin-Moabit sitzen meistens wenige Menschen, Pascal N.s Eltern kommen immer, und die Freundinnen zweier Angeklagter. An einem der Prozesstage sitzen da drei massige Typen, Rocker. Es ist ein sonniger Nachmittag im März, eine Kommissarin erzählt gerade, wie sie eine der Wohnungen entdeckt haben, die für den Cannabis-Anbau in Spandau gemietet wurden.

Auf einmal Unruhe, ein Wachmann geht auf die drei Männer zu, versucht, einem das Handy wegzunehmen. „Was willst du?“, grollt der zurück. „Die versuchen zu fotografieren“, sagt der Wachmann zum Richter. Er ist groß und schmal, er wirkt wie ein Baum zwischen drei Felsen. Jetzt reizen die Rocker ihn, stellen sich dumm. „Das siehst du falsch mit deiner Brille!“, sagt einer. „Wir fühlen uns diskriminiert!“, ein anderer.

Hunde gleichen ihr Verhalten dem ihres Besitzers an Foto: Jason Redmond/reuters

Als der Richter verlangt, dass die drei ihre Handys herzeigen, ist dort kein Foto. Sie könnten es gelöscht haben, vielleicht gab es nie ein Bild, aber eines haben sie geschafft: Sie wurden gesehen, jeder weiß jetzt, dass dieser Prozess von ihnen beobachtet wird. Die Wörter „Hells Angels“ fallen an diesem Tag nicht, aber lange schon erzählen Angeklagte, und es steht auch in den Zeitungen, dass Roland May, der Holländer, von Rockern bedroht worden sei oder das zumindest behaupte. Ab diesem Tag wird jeder, der in den Gerichtssaal will, einmal öfter kontrolliert.

Später, als Anwalt Möller den Gewerkschaftsvorsitzenden der Polizei laden will, scherzen zwei andere Verteidiger, zurückgelehnt in ihren Stühlen, dass in Colorado schon mehrere Konzerne ins Geschäft eingestiegen seien. Einer der beiden sagt, er müsse mal schauen, ob seine Lebensversicherung nicht schon in den Anbau von Haschisch investiere.

Möller will diesen Scherz nicht so stehen lassen, fünf Tage später hat er wieder einen Antrag dabei, zwei Seiten, er wird laut, er sieht ohnehin immer ein wenig wütend aus, wegen seines geröteten Gesichts, der dichten Augenbrauen, die wie spitze Dächer nach oben ragen. Ihm sei gar nicht an einer ungehemmten Legalisierung der Droge gelegen, sagt Möller, sondern an deren Lizenzierung und Besteuerung. Was in den USA passiert, nennt er „nahezu apokalyptisch wirkende kapitalistische Ausuferungen.“

So würden auch viele der neuen deutschen Cannabiskämpfer die Situation in den USA beschreiben, wenn auch weniger harsch. Liberaler wollen sie es auch hier haben, aber eine Droge der freien Marktwirtschaft zu überlassen, so völlig ohne staatliche Kontrolle, das ist ihnen suspekt. Vorbilder für eine Legalisierung gibt es nicht nur in den USA.

In Uruguay darf jeder seit Mai 2014 sechs Cannabispflanzen bei sich zu Hause ziehen. Privatleute können sich zu Cannabisclubs zusammentun und maximal 99 Pflanzen anbauen. Wer sein Gras nicht selbst herstellen will, darf es in Apotheken zu festgelegten Preisen kaufen, Cannabissamen gibt es bei einer staatlichen Stelle, die Behörden kontrollieren Anbau und Handel. Ausländer sind von diesem Modell ausgeschlossen.

Auf einer Legalisierungsdemo im kolumbianischen Medellín im Mai 2015 Foto: Fredy Builes/reuters

In Europa galten die Niederlande lange als das liberalste Land, was den Umgang mit Cannabis angeht, aber alles, was dort in Coffeeshops verkauft wird, muss vorher illegal angebaut und beschafft werden. Aufzucht und Vertrieb von Cannabis sind verboten. Das Geld geht an kriminelle Organisationen.

In Spanien steht der Handel mit Marihuana und Haschisch unter Strafe, der Anbau für den Eigenbedarf und der Konsum werden aber geduldet.

In Portugal hat die Regierung die Strafen für den Besitz und den Konsum von geringen Drogenmengen aufgehoben, wer mit zwei Gramm Kokain oder fünf Gramm Haschisch erwischt wird, begeht nur noch eine Ordnungswidrigkeit.

Welches Modell könnte in Deutschland funktionieren? Wenn man den neuen Hanfkämpfern zuhört, wollen sie jedenfalls, dass der Staat dabei ist, kontrolliert, mitverdient.

Pascal N. findet den Plan für die Kreuzberger Coffeeshops nicht schlecht. In den Prozesspausen redet er manchmal mit den anderen Angeklagten darüber. Alkohol sei doch viel schlimmer, finden sie.

„Jedenfalls Quatsch, wenn alle sagen, die Kids kommen dann zu leicht ran“, sagt Pascal N. „Die kiffen doch jetzt schon alle, und wenn es staatlich wär’, bekämen sie wenigstens nicht so gestreckten Schrott.“ Marihuana und Haschisch werden mit Haarspray, Vogelsand, Blei oder Schimmel gestreckt. Seit 2006 komme das immer häufiger vor, sagt der Sprecher des deutschen Hanfverbands.

Peace Foto: David Oliveira

Horst-Dietrich Elvers steht am Fenster seines Büros im Rathaus Kreuzberg. Er blickt auf die Kastanie im Innenhof. Rot leuchtet das Herbstlaub. Wenn er enttäuscht sein sollte, ist ihm das nicht anzumerken.

Vor 48 Stunden hat er erfahren, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte den Antrag seines Bezirksamts auf die Coffeeshops abgelehnt hat. „Viel Rauch um nichts“, titelte der Berliner Tagesspiegel. Elvers sieht das anders. „Für uns ist das kein Scheitern. Wir haben die Diskussion vorangebracht.“

Über Coffeshops in Kreuzberg „Ideal wäre es, wenn das Gras aus Berlin käme. Kurze Wege, kein unnötiger CO2-Ausstoß“Hans-Dietrich Elvers, Suchthilfekoordinator in Berlin

Am 5. Oktober kam der Ablehnungsbescheid. Der Verkauf von Cannabis zu Genusszwecken sei mit „dem Schutzzweck“ des bestehenden Betäubungsmittelgesetzes nicht vereinbar, heißt es darin. Wenn, dann sei es Aufgabe des Gesetzgebers, das Betäubungsmittelgesetz zu ändern, „sollte sich die Akzeptanz gesetzlicher Verbotsregelungen im Verlauf einer gesellschaftlichen Entwicklung tatsächlich verändert haben“.

„Stockkonservativ und platt“, findet Elvers die meisten Anmerkungen. „Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema sieht anders aus.“ Elvers’Büro ist funktional eingerichtet. Zwei Äpfel und eine Müsli-tüte im Regal, ansonsten hauptsächlich Leitzordner. An der Wand ein Lageplan von Kreuzberg und die jüngste Forsa-Umfrage zum Thema Cannabis. Die CDU hat sie im Sommer 2015 in Auftrag gegeben. 39 Prozent der Berliner wollen, dass alle volljährigen Bürger legal Cannabis kaufen können. Ein beachtliches Ergebnis für eine Umfrage der Union, findet Elvers.

Über Gras und Jugendliche „Die kiffen doch jetzt schon alle, und wenn es staatlich wär’, bekämen sie wenigstens nicht so gestreckten Schrott“Pascal N., angeklagt wegen des Anbaus von Gras

Jetzt sei die Politik dran, sagt er. „Ich als Beamter habe meinen Auftrag erfüllt.“ 2016 sind Berliner Landtagswahlen, 2017 wird ein neuer Bundestag gewählt. Der Berliner Innensenator Frank Henkel von der CDU begrüßt die Ablehnung der Coffeeshops. Schon im Ansatz sei „das Kreuzberger Drogenbiotop“ gescheitert, sagt er, und dass es gut so sei, der Staat dürfe nicht zum Dealer werden. Henkel, der auch CDU-Landeschef ist, hat den Görlitzer Park im Frühjahr zur „Null-Toleranz-Zone“ erklärt.

Am letzten Tag, als im September das Urteil verkündet wird, kommt Pascal N. in dunkler Hose und weißem Hemd. Seine Mutter sagt, das sehe aus, als wolle er sich bei den Richtern einschleimen. Dabei war er nur arbeiten, 14 Stunden auf einer Messe, Sicherheitsdienst, 8,60 Euro die Stunde. N. ist nervös, er stülpt die Lippen nach innen, nach außen, immer wieder, kaut darauf herum, der Staatsanwalt hat zwei Tage vorher zwei Jahre und neun Monate für ihn gefordert, da wurde er so bleich, dass seine Augen wie zwei ins Weiße gestanzte Löcher wirkten.

Ein Jahr und sechs Monate, sagt der Richter.

Pascal N. schaut seinen Anwalt an. In seinem Gesicht bewegt sich nichts. „Wo bleibt das mit der Bewährung, habe ich gedacht“, sagt er später, draußen.

Ein Jahr und sechs Monate. Auf Bewährung.

Daniel Schulz, 36, ist Redakteur der taz.amwochenende und raucht Gras, seit er 16 ist, hat aber nie welches angebaut.

Plutonia Plarre, 60, ist taz-Redakteurin und schreibt schon seit Jahren über Cannabis.

Elisa Britzelmeier, 26, ist freie Journalistin und denkt bei Gras an ihre Erasmus-Zeit in Italien.

Luciana Ferrando, 37, ist freie Journalistin und schrieb zum ersten Mal über das Thema.

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