Daniel Bax über Merkels mutige Flüchtlingspolitik: Anwältin der Nächstenliebe
Angela Merkel hat ein Machtwort gesprochen. Nicht im Basta-Stil wie ihr Vorgänger Gerhard Schröder. Aber sie hat sich in eine TV-Talkshow begeben, um sich gegen Kritik gerade aus den eigenen Reihen zu verteidigen. Und sie hat die Verantwortung für die Flüchtlingspolitik ihrem Innenminister de Maizière entzogen, der zuletzt wirkte, als sei er von der CSU ferngesteuert. Damit hat sie, wie einst Schröder, ihr politisches Schicksal an eine Agenda geknüpft. Scheitert ihre Flüchtlingspolitik, scheitert Merkel.
Ihr Auftritt bei „Anne Will“ dürfte ihre Gegner kaum besänftigt haben. Unbeirrt hielt sie an ihrem „Wir schaffen das“-Credo fest und bekannte sich zu einer vergleichsweise humanen Flüchtlingspolitik. Es habe keinen Sinn zu versprechen, der Treck nach Europa ließe sich stoppen, wandte sie sich an die Adresse von Horst Seehofer. Und den Vorwurf, sie habe Syrer quasi nach Deutschland eingeladen, konterte sie salopp: „Glauben Sie, dass Flüchtlinge ihr Land verlassen wegen eines Selfies mit der Kanzlerin?“
Merkel geht ein beachtliches Risiko ein: Es ist nicht ausgemacht, dass die Mehrheit der Deutschen sich nicht doch überfordert fühlt, sollte die Zahl der Flüchtlinge weiter anschwellen. Schon jetzt ist ihre Beliebtheit in Umfragen gesunken, und es knarzt kräftig im Gebälk der Union. Merkel kann derzeit mehr auf die SPD bauen als auf ihre eigene Partei. Sie weiß aber, dass es derzeit in der CDU keine personelle Alternative gibt, die ihr gefährlich werden könnte.
Klar, Merkel wird dadurch noch lange keine Linke. Eher verteidigt die Pastorentochter das Prinzip der christlichen Nächstenliebe gegen jene, die ihre Vorstellung eines christlich geprägten Abendlands auf Abschottungsfantasien gründen. Aber klar auch, dass das manche Linke verwirrt: Muss man Merkel jetzt gut finden? Ein guter Typ, nur leider in der falschen Partei – dieses zweischneidige Kompliment ist schon vielen großen Kanzlern gemacht worden.
Dabei ist Merkel nie für einen „ungesteuerten Zustrom“ eingetreten, wie ihr Kritiker von rechts unterstellen. Sie ist für raschere Abschiebungen, eine stärkere Abschottung der EU-Außengrenzen und will mehr Geld für die Flüchtlingscamps in der Türkei, damit weniger Menschen von dort nach Europa wollen. Aber sie wolle „nicht in einen Wettbewerb eintreten, wer Flüchtlingen das unfreundlichste Gesicht zeigt“, sagte sie bei „Anne Will“. Es wird sich zeigen, ob sie dieses Versprechen halten kann. Wenn es nach manchen in der Union geht, sollten Flüchtlinge an den deutschen Grenzen gleich wieder zurückgeschickt werden. Und Merkels Parteifreunde in den Bundesländern, in denen im nächsten Jahr Landtagswahlen anstehen, schlagen ganz andere Töne an: Julia Klöckner will Imame zum Händeschütteln zwingen. Und Thomas Strobl tönt, in Deutschland herrsche nicht das Gesetz des Propheten.
Ob das reichen wird, die „besorgten Bürger“ bei der Stange zu halten, die sich vor zu viel Flüchtlingen fürchten? Die Alternative für Deutschland steht schon bereit, die Unzufriedenen einzusammeln, die sich von der Merkel-CDU nicht mehr vertreten fühlen. Sie könnte damit in den nächsten Bundestag einziehen. Diese Konsequenz ihrer Richtungsentscheidung hat Merkel offenbar eingepreist.
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