Nach dem niederländischen EM-Aus: „Alles ist kaputt“
Nach der verpatzten EM-Quali kursiert die Angst vor den „belgischen schwarzen Jahren“. An ein schnelles Comeback glauben nur wenige.
Ach ja, 2000. Damals munkelten nicht wenige, Belgien hätte sich ohne Gastgeber-Status nicht einmal qualifiziert – ganz im Unterschied zum Co-Gastgeber Niederlande, damals einer der Titelfavoriten, der wie so oft erst kurz vor dem Ziel scheiterte.
Vier Europameisterschaften später haben sich die Verhältnisse ins Gegenteil verkehrt: etwa zur gleichen Zeit, als Kompany in Brüssel den Vortänzer der Roten Teufel gab, vergrub Wesley Sneijder das Gesicht in den Händen. Zum letzten von so vielen Malen in dieser Qualifikation, die verflucht schien, in der die „Elftal“ eine Schmach an die nächste reihte, und an deren Ende das Algemeen Dagblad ein vernichtendes Fazit zog: „Alles ist kaputt bei Oranje.“
Zwischen Euphorie und Depression lagen nur etwas mehr als 200 Kilometer und eine Grenze. Nördlich davon verortet Voetbal International, das Zentralorgan des niederländischen Fußball-Journalismus, einen „historischen Tiefpunkt“. Im Süden feiert man mehr als die Qualifikation noch den „historischen ersten Platz“, so die Tageszeitung De Morgen über die Platzierung der Roten Teufel in der neuen Weltrangliste der Fifa. Am Tag danach gab es dafür sogar im Parlament Applaus – mit Ausnahme der flämischen Separatisten, die dem Team traditionell nicht zugeneigt sind.
„Schwarze Jahre“ voraus?
Bei der geografischen und zumindest teilweise sprachlichen Nachbarschaft verwundert es wenig, dass man sich auch in dieser Situation beiderseits der Grenze aufeinander bezieht. Als er von der finalen Oranje-Pleite gegen Tschechien vernahm, sagte Vincent Kompany einen bemerkenswerten Satz: „Heute dürfen wir chauvinistisch sein. Die Niederlande sind draußen und wir sind die Nummer 1!“ Niederländische Zeitungen blickten indes besorgt auf die gar nicht so lange zurückliegenden „schwarzen Jahre der Roten Teufel“, die von 2004 bis 2012 fünf Turniere hintereinander verpassten. Ein solches Szenario könnte auch der eigenen Elftal drohen, so der Tenor.
Grundzüge der jetzigen bipolaren Konstellation zeigten sich erstmals im August 2012. Zu Beginn der Wilmots-Ära schlug Belgien den Nachbarn in einem Freundschaftsspiel mit 4:2. In den Niederlanden sorgte danach nur noch der WM-Stunt unter Trainer Louis van Gaal für ein kurzes, heftiges Aufflackern. In Belgien gilt jener Abend seither als Geburtsstunde der neuen Roten Teufel, die schon bei der Weltmeisterschaft in Brasilien als größter Geheimtipp galten – große Erwartungen, denen sie dann aber nicht gerecht werden konnten.
Auch in der jüngsten EM- Qualifikation zeigten sie diesbezüglich ein durchwachsenes Bild. Die gefeierte „Golden Generation“ um Eden Hazard, Thibaut Courtois und Kevin De Bruyne allerdings bringt genug Können auf die Waage, um sich im entscheidenden Moment durchzusetzen. Daneben erntet man auch die Früchte einer langfristigen Talentförderung und der Einrichtung von Nachwuchs-Akademien in den Top-Klubs.
Neben Belgien bietet die jüngste Fußballgeschichte genug Beispiele dafür, dass längere Turnier-Pausen genutzt wurden, um mit klugen Konzepten einen langfristigen Wiederaufbau einzuleiten. Darauf verweist auch Frank de Boer, Trainer von Ajax Amsterdam, der nach dem Ausscheiden der Niederlande hofft, „dass wir schnell wieder an die Weltspitze kommen können.“ An guten Spielern mangelt es dem niederländischen Fußball nicht unbedingt. Bei der Partie gegen Tschechien wurden Scouts aus Barcelona in der Amsterdamer Arena gesichtet. Sie hatten die Ajax-Spieler Anwar El Ghazi, Riechedly Bazoer und Jairo Riedewald im Visier. Doch an eine rosige Zukunft kann derzeit beim KNVB kaum einer denken. Die verpatzte EM-Qualifikation trübt die Stimmung nachhaltig.
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