piwik no script img

Die WahrheitFürze auf dem Prüfstand

VW macht mobil: Binnen weniger Tage krempelt der Konzern seine Erlebniswelt Autostadt in Wolfsburg komplett um.

Zur Begrenzung des Imageschadens durch EA 189 bei Volkswagen werden im Freizeitpark Autostadt zur Abwechslung jetzt lustige Saiten aufgezogen. Foto: Peter Steffen/dpa

Uff! Gerade nochmal gutgegangen. Der ICE 567 aus Berlin hat uns aussteigen lassen am Wolfsburger Hbf. Selbstverständlich ist das nicht – immer wieder brausen Lokführer ohne vorgesehenen Halt durch die regenarme Großstadt am Mittellandkanal. Wolfsburg, die Kommune mit dem deutschlandweit höchsten Bruttoinlandsprodukt und fast genauso vielen Arbeitsplätzen wie 123.000 Einwohnern, Wolfsburg wird derzeit erschüttert von den Spätfolgen der Umtriebe böser Manager.

Entwicklungsauftrag 189, kurz EA 189, lautet das Einlasswort zur Hölle. Die Folgekosten der dreckig manipulierten Motorensoftware für Diesel-Deutschland, Diesel-Europa, Diesel-Welt und Diesel-Galaxie, sind nicht bezifferbar. In den Volkswagen-Büros versagen sämtliche Rechenschieber ob der Textaufgabe, die weit über einen simplen Dreisatz hinaus geht. Bis jetzt steht nur eins fest: Es wird hart – für Flüchtlinge wie Daheimgebliebene.

Dass es nicht ganz so hart kommt, dass auch aus den Spielerduschen des firmeneigenen VFL Wolfsburg zumindest jeden dritten Tag Wasser spritzt und VW weiterhin Sportdirektor Klaus Allofs die Monatskarte für den öffentlichen Personennahverkehr zahlen kann, dafür ist seit dem 30. September ein Mann zuständig, der zuvor abgefahrene PR bei Porsche durchgezogen hat: Hans-Gerd Bode, neuer Leiter Konzernkommunikation und Außenbeziehungen. Er hat Stephan Grühsem abgelöst, vor dem schon Marcel Reich-Ranicki bei einer Signierstunde mit den Worten „Grausam, grausam!“ floh.

Bodes Händedruck ist fest, als er uns auf dem Bahnsteig einen großen Bahnhof bereitet, denn der 54-jährige Öffentlichkeitsarbeiter hält als Anschlusstransportmittel ein kleeblattgrünes, schadstofffreies Bobbycar bereit. Er selbst sitzt bereits auf einem aquamarinblauen.

„Willkommen“, ruft Bode schmissig, „in diesen schweren Tagen kümmere ich mich um die Vertreter der großen deutschen Meinungsmedien gerne persönlich!“ Und schon geht es los, per Zugbrücke über den brackigen Mittellandkanal, hinein in die Autostadt direkt neben den VW-Werkshallen.

Piëch als Statist

„Von der Schiene aufs Auto“, schmunzelt Bode und schaltet auf dem Bobbycar einen Gang hoch. Sein Konzept, den 28 Hektar großen Freizeitpark, auf deutsch auch Mixed-Use-Center genannt, radikal umzuwandeln, kam sogar beim abservierten, jetzt arbeitslosen Ferdinand Piëch an, der sich flugs dafür als Statist meldete. „Von 0 auf 100 habe ich den lahmen Laden hochfrisiert. Am Montag öffnen wir für die breite Öffentlichkeit“, lächelt Bode und trötet Dr. Martin Winterkorn beiseite. Der Exvorstandsvorsitzende zieht eine Sackkarre hinter sich, darauf befinden sich wohl letzte Schreibtischhinterlassenschaften. „Krass authentisch, sehen Sie, da baumelt noch die eine oder andere Software-CD“, klärt Bode auf.

Dann skizziert der alerte PRler seinen revolutionären Ansatz: „Am jetzigen Ereignis orientierte Erlebnisangebote für den in seinen Vertrauensgrundfesten erschütterten Besucher der Autostadt – das ist die einzige Chance bei VW, den Imageschaden zu begrenzen. Dieselgate is fully open! lautet unser neues Motto.“ Munter fährt der Firmenkommunikator auf seinem Bobbycar fort: „Denn ich frage Sie, wer will denn in diesen zum Himmel stinkenden Zeiten noch Neuwagen abholen und danach fettige Calzone einwerfen oder Oldtimer gaffen, wie es bis dato Usus war?“

Wir wissen es auch nicht und sind im übrigen damit beschäftigt auf unserem Gefährt Kurs zu halten. „Ich sage ihnen, wir müssen den Leutchen, die zu uns kommen, jetzt zeigen, dass wir von VW über uns selbst lachen können. Dass wir Menschen sind. Fehler machen. Oder sogar Schweinereien.“

Kraft durch Freude

Ein lustiger Ansatz und schon haben wir rumpelnd das große Alu-Einfahrtstor passiert, über dem in poppigen Neonlettern die Worte „Kraft durch Freude“ angeschraubt werden. Bode deutet auf das Motto hin: „Im Zuge von Dieselgate lassen wir natürlich unsere Vergangenheit nicht außen vor – auch nicht die Gründungszeit von Wolfsburg ab 1938, als sie noch ‚Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben‘ hieß. Komisch nicht?“ Bode kichert.

Da uns der PR-Chef auf die Führung einlädt, passieren wir unbehelligt von der BMW-Großaktionärin Susanne Klatten das Kassenhäuschen. Der Eintritt ist allerdings ohnehin gratis. „Frau Klatten hat sich auf eigenen Wunsch und uneigennützig dazu bereiterklärt, den ersten 100.000 Besuchern jeweils einen 5-Euro-Begrüßungsgutschein des bei VW neu angesiedelten Klamotten-Outlets von Diesel zu überreichen. Renzo Rossi, der Diesel-Familienpatriarch fand das total provokant ironisch, kurz eine super Idee. Und wir von VW sind sehr glücklich über diese Erweiterung unseres Angebotssortiments.“

Beim Boxenstopp unserer Bobbycars blicken wir auf die von Hans-Gerd Bode handgeletterte Pressemitteilung. Was uns erst jetzt auffällt: Das neue Logo der Auto- stadt ist das Anarchisten-A im Rund, der Zusatz „Autostadt“ unter dem A entfällt. „Ganz schön gewagt, was?“, giggelt Bode. Aber hatte nicht schon Prou- dhon postuliert: „Anarchie ist Ordnung“?

Sackkarre für Winterkorn

Und ordentlich geht es zu in der neuen Autostadt, ordentlich lustig. Im Leerlauf rollen wir Richtung Bossy Ghosttown, werden hineinbugsiert in ein V-förmiges Wägelchen und los geht die Fahrt ins Dunkle der VW-Geschichte. Unweit vom Eingang tappt erneut schemenhaft Dr. Martin Winterkorn mit Sackkarre herum. Dann erscheint aus dem Nichts der Porsche-Wiedergänger Wendelin Wiedeking in einem knappen Elefantenkostüm. Und zum Abschied aus Bossy Ghosttown serviert Ferdinand Piëch samt eingefrorener Fratze einen sprittigen Bleifreien.

„Bleibt denn hier nichts beim Alten, gibt es gar keine angenehmen Gewissheiten mehr?“, krächzen wir, als uns das Horror-Wägelchen endlich freigegeben hat. „Aber ja doch“, beruhigt uns der stets serviceorientierte Bode. „Lassen Sie uns Gas geben, ums Eck liegt ein 15 Meter langer Dufttunnel mit 2.160 Blumentöpfen von Olafur Eliasson.“

Duft für lau

Puh, wenigstens ein Projektobjekt, das VW jetzt nicht über den Haufen wirft! Und wie er duftet, der Tunnel! Ein manipulierter EA 189 ist nichts dagegen! Gefühlte Stunden verweilen wir in der sich bewegenden Röhre, perdu unser journalistischer Auftrag, wahrheitsgemäß zu berichten. Als wir euphorisch aus dem Dufttunnel taumeln, ist unser Begleiter keineswegs verduftet – im Gegenteil, Hans-Gerd Bode hat bei den Bobbycars die nicht vorhandenen Schrauben nachgezogen.

Der VWler freut sich riesig: „Knorke, dass es ihnen in der neuen Autostadt gefällt. Kommunizieren sie das hinein und heraus. Doch lassen Sie mich vor dem Lunch noch etwas Lustiges präsentieren, Stichwort: ‚Wir sind alle Menschen‘.“ Gespannt biegen wir um die Ecke. Und halten uns sofort die Nase zu, abgewürgt der Bobbycarmotor. Ein penetranter Geruch von faulen Eiern steht in der Luft.

„Das hier“, japst Hans-Gerd Bode selig und geht in die Knie, „das hier ist die neue VW-Flatulenzmaschine. Wird ein Publikumsmagnet! Fürze von Topmanagern bei Marathonsitzungen – jetzt in Laborsituation auf dem Prüfstand. TÜV geprüft!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen