Die Wahrheit: Die geistige Eskimorolle
Ideologen wollen sich der Sprache bemächtigen und mit Verboten ironiefreie Zonen der selbstverordneten Entmündigung schaffen.
W as auf Universitäten in den USA so passiert, kommt eher früher als später auch in Deutschland an. Das gilt für Errungenschaften, etwa die schleichende Verwandlung der Studentenschaft in Kundschaft. Es gilt auch für Bullshit. Der uns im rückständigen Eurozentristan natürlich nur wie Bullshit vorkommt, bis wir endlich ein Einsehen haben und bis zum Hals reinspringen. Neu im Angebot: Literaturfaschismus, light.
Hierzulande wagen sich deren ideologische Voraustrupps einstweilen nur an Kinderbücher und erklären Michael Ende zu einem „stinknormalen Rassisten“. Wobei man gern wüsst, wer, über die üblichen Verdächtigen Astrid Lindgren und Otfried Preußler hinaus, als „außergewöhnlich“ rassistisch zu gelten habe.
An der Columbia University in New York nun ist eine Studentin von ihrem Professor genötigt worden, über die Schönheit eines Textes zu referieren, in dem eine Vergewaltigung geschildert wurde. Sie wendete sich an das zuständige Uni-Gremium für Ratschläge in multikulturellen Angelegenheiten. Das stellte nach kritischer Lektüre fest, der Text sei tatsächlich „ausschließenden und unterdrückenden Inhalts“ für Traumatisierte und „schwierig zu lesen“ auch für Menschen mit unbestimmter Pigmentierung oder Herkunft aus Familien mit niedrigem Einkommen.
Neben einem Trainingsprogramm zur Sensibilisierung der Lehrkräfte für die Gefühle von Studierenden jedweder Identität forderte das Gremium, den Text mit einer „Triggerwarnung“ zu versehen. Wir reden nicht über „American Psycho“, „Die 120 Tage von Sodom“ oder „Rückkehr der Supermösen II“. Wir reden allen Ernstes über Ovid und seine „Metamorphosen“, darin unter anderen Persephone übel mitgespielt wird: „Um Erbarmen flehend, wird sie in den goldenen Wagen gezerrt.“
Nun ist auch Logik ein eurozentrisches Konzept, das andere Vorstellungen von der Spökenkiekerei bis zum Wünschelrutengehen „marginalisiert“. Auf diesen Fall in Anschlag gebracht, führt sie uns deshalb flugs zur Frage, ob nicht tatsächlich alles mit einer „Triggerwarnung“ gekennzeichnet sein müsste – zumindest jedes bedeutende literarische Werk, vom „Gilgamesch“-Epos über die Bibel bis zu Mark Twain. Aber natürlich müsste es das. Alles ist schon immer dazu angetan, irgendwen zu stören.
Offenbar drängen immer mehr kleine Kinder an Universitäten, die dort vehement dafür eintreten, klein bleiben zu dürfen. Wie Kinder wollen sie vor jedem Löffel gewarnt werden: „Vorsicht, scharf!“ Sie streiten für entsexualisierte „sichere Räume“, in denen sie mit ihren Identitäten Lego spielen können. Totalitäre Kinder der Selbstbehütung, deren Kränkung der Maßstab ist, dem sich alles unterzuordnen hat, von „bösen“ Wörtern bis zu Eckpfeilern der „privilegierten“, weil abendländischen Kultur.
Es ist eine geistige Eskimorolle. Und plötzlich ist „konservativ“, wer über diesen albernen Vandalismus lächelt. Und „progressiv“, wer sich dieses Lächeln verbittet.
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