: Geheimnisverrat in der Zeitung
Medien Im Prozess um die tote Yagmur zitierte das „Hamburger Abendblatt“ rechtswidrig aus der Anklageschrift. Wer aber trägt die juristische Schuld?
Wo endet die journalistische Sorgfaltspflicht? Aus welchen amtlichen Dokumenten dürfen Redakteure zitieren? Und welche Verantwortung trägt ein Chefredakteur für das in seiner Zeitung gedruckte Wort, auch wenn er bei dessen Veröffentlichung gar nicht zugegen war?
Um diese Fragen von Informationsfreiheit und Geheimnisverrat dreht sich ein Strafverfahren, das am Mittwoch vor dem Amtsgericht begonnen hat. Auf der Anklagebank: Lars H., Chefredakteur des Hamburger Abendblatts sowie die Politikredakteure Sascha B. und Franziska C. Ihnen wirft die Staatsanwaltschaft vor, für den Abdruck „strafbarer Inhalte“ in der Ausgabe vom 12. Juni 2014 verantwortlich zu sein.
An diesem Tag erschienen mehrere Artikel zum Prozessauftakt gegen Melek und Hüseyin Y., denen Mord an ihrer dreieinhalbjährigen Tochter Yamur vorgeworfen wurde – ein Fall, der die Öffentlichkeit über Monate beschäftigte. Unter dem Titel „Sag nicht, dass ich mein Kind schlage“, zitierten die Autoren Sascha B. und Franziska C. einen Whats-App-Chat zwischen den beiden Eltern, in denen Melek Y. sich selbst bezichtigte, ihre Tochter zu schlagen.
Den Chat-Verlauf hatten die beiden Redakteure aus der Anklageschrift, die ihnen vor Prozessbeginn zugespielt worden war. Doch aus dieser zu zitieren, „bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert“ wurde, ist eine Straftat, die sogar mit einer Freiheitsstrafe geahndet werden kann.
Sascha B. fragte deshalb einen Justiziar des Springer-Verlags um Rat und der gab grünes Licht für die Veröffentlichung des Chats. Dieser gehöre – quasi als Anlage – nicht direkt zur sakrosankten Anklageschrift. Er bezog sich dabei auf ein von Staranwalt Gerhard Strate erfochtenes Urteil des Hamburger Amtsgerichts aus den 80er-Jahren, übersah aber offenbar, das dieses von höherer Instanz kassiert worden war.
Sascha B. verließ sich auf die Auskunft des Juristen, doch der gedruckte Text rief die Staatsanwaltschaft auf den Plan. Zwar stimmten die Redakteure einer Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldbuße von jeweils 500 Euro zu, um einem mehrinstanzlichen Verfahren zu entgehen, Oberstaatsanwaltschaft Elsner aber lehnt die Einstellung ab: „Dieser Betrag erscheint nicht angemessen.“
Nun muss Amtsrichter Grote urteilen. Keinen Zweifel ließ der Jurist daran, dass er – anders als Strate, der im Verfahren Sascha B. vertritt – die Veröffentlichung für rechtswidrig hält. Das Verfahren gegen Lars H. trennte er ab und entschied auf einen „glasklaren Freispruch“, da der Chefredakteur laut Impressum weder presserechtlich verantwortlich noch am Produktionstag in der Redaktion zugegen war. „Hätten Sie sich früher dahingehend eingelassen, wären sie nicht auf der Anklagebank gelandet“, erklärte Elsner in seinem Plädoyer, musste sich aber von Anwältin Anette Voges vorhalten lassen, dass dies mehrfach geschehen war.
Am 24. September will das Gericht entscheiden, ob sich Sascha B. und Franziska C. strafbar gemacht haben oder einem „unvermeidbaren Verbotsirrtum“ unterlagen, weil sie aufgrund der Auskunft des Justiziars nicht wissen konnten, dass sie widerrechtlich handelten?
Marco Carini
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