piwik no script img

Kommentar ALG II für EU-BürgerImmer noch ziemlich sozial

Juristisch einwandfrei und pragmatisch: Der Europäische Gerichtshof bestätigt die deutsche Praxis, kein Hartz IV an EU-Ausländer zu zahlen.

Arbeitssuchende EU_Bürger können hier klingeln, Hartz IV gibt es aber nicht unbedingt. Foto: dpa

Deutschland muss arbeitssuchenden EU-Bürgern keine Hartz-IV-Leistungen zahlen. Das besagt die deutsche Gesetzeslage allerdings schon seit 2007. Der Europäische Gerichtshof hat jetzt nur entschieden, dass dieses Gesetz – trotz der Diskriminierung von EU-Bürgern – nicht gegen EU-Recht verstößt.

Das Urteil passt in eine Zeit, in der Europa ratlos auf Wanderungsbewegungen bisher unbekannter Dimensionen blickt. Es war nicht zu erwarten, dass der EuGH nun auch noch allen arbeitssuchenden EU-Bürgern aus Bulgarien oder Rumänien, die nach Deutschland ziehen, einen automatischen Anspruch auf Hartz IV gibt und so wohl zusätzliche Bewegungen auslöst.

Dass die Bundesrepublik Deutschland, die derzeit einen Großteil der Flüchtlinge aufnimmt, vom EuGH geschont wird, kommt also nicht überraschend. Vor drei Jahren hätte der EuGH vermutlich noch anders entschieden. Juristisch war aber beides gut vertretbar.

Die EuGH-Entscheidung bedeutet nun zwar gewiss keine Förderung der Freizügigkeit innerhalb der EU. Sie ist aber auch keine unüberwindliche Hürde. Nach wie vor bleibt jedem EU-Bürger das Recht unbenommen, in Deutschland Arbeit zu suchen. Er hat also ein Aufenthaltsrecht, muss aber seinen Lebensunterhalt selbst finanzieren – aus Ersparnissen oder durch einen Kredit. Die Arbeitssuche wird so zur Investition.

In der Praxis gibt es allerdings durchaus noch Möglichkeiten für EU-Bürger, an Hartz IV zu kommen. Wer ein Gewerbe anmeldet oder eine stundenweise Beschäftigung übernimmt, kann mit Hartz IV „aufstocken“. Auch wer zunächst arbeitet und dann unfreiwillig arbeitslos wird, bekommt Hartz IV. An alledem ändert auch das jetzige Urteil des Europäischen Gerichtshofs nichts.

Man sollte die Konsequenzen dieses Urteils deshalb nicht zu schwarzmalen. Europa ist immer noch ziemlich sozial.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • "Europa ist immer noch ziemlich sozial."

     

    Welche Zukunft hat gute, zufriedenstellende Sozialpolitik in Europa?

     

    Ist eine einheitliche, gleichberechtigte, gute Lebens-, Wohn- und Arbeitsverhältnisse garantierende EU-Sozialunion mal und absehbar ein sehr wichtiges Thema auf der Tagesordnung des Europäischen Parlaments und der EU-Regierung?

  • Der Autor übersieht leider die Einseitigkeit des Urteils. Billige Arbeiter sind willkommen, um Erträge für die Unternehmer zu erwirtschaften. Absichern möchte die EU diese Arbeiter jedoch nicht.

     

    Das führt schnell in dubiose Arbeitsverträge zur Anwerbung und Lohnversprechungen, die nicht gehalten werden müssen - der Arbeiter muss aufgeben, in die Heimat zurückkehren und kann keine Rechtsansprüche durchsetzen.

     

    Zum Beispiel in der Bauwirtschaft wird so gerne mal mit den Menschen umgesprungen.

     

    Kredite sollen die Rumänen wie vom Autor vorgeschlagen selber aufnehmen, um sich gegen sowas abzusichern?

     

    Wir sind zwar auf den Weg in eine Privatgesellschaft, aber Banken dürfen nicht zum Ersatz werden für unsere Solidarsysteme, nur weil der EU der Mut fehlt, zu ihrer Vision zu stehen.

  • Europa ist "immer noch ziemlich sozial" --

     

    -- Vor allem für die herrschende Finanz- und Monopolbourgeoisie und deren gesellschaftspolitische GroKo, aus allen bürgerlichen Parteien, staatsmonopolistischen Ministerien und Behörden, Sozialverbänden und gewerkschaftlich-aristokratischen "Sozialpartner_innen" und DAX-Stammbelegschaften.

     

    So auch für die persönlich leistungslosen Quandtschen und Siemensschen Jahresdividenden, zwischen 100 Millionen bis 600 Millionen Euro! *

     

    * [selbst auch deren Jahres-'Steuer', wenn nicht in die Schweiz verschoben, ist ein Ergebnis aus der Mehrwertschöpfung der NiedriglöhnerInnen und Hartz-IV-AufstockerInnen!

     

    Aufwachen, brave bourgeois-treue Michels und Taz-RedakteurInnen! (?)

  • Ich weiß nicht, was an so einer Regelung sozial sein soll.

     

    Sie schränkt die Freizügigkeit extrem ein. Ein Deutscher mit einer kleinen Rente darf z.B. nicht in die Niederlande ziehen, wenn seine Rente unter dem Sozialhilfesatz der entsprechenden niederländischen Gemeinde liegt. Von ALG-Empfängern also ganz zu schweigen.

    Kurzum:

    Die Freizügigkeit in der EU ist eine Scheinfreizügigkeit, die nur für Reiche gilt.

     

    Deshalb ist die EU zu zerstören.

    • @Age Krüger:

      Die Freizügigkeit gilt nur für Reiche. Das war "schon immer" so und wird sich in Gegenwart und absehbarer Zukunft nicht ändern. Daran ändert auch nichts die Zerstörung der EU. Denn die "Freizügigkeit in der (ganzen) Welt" gilt erfahrungsgemäß auch nur, ganz besonders für Reiche, also für Menschen mit ganz viel Geld, Vermögen und Besitz, Macht und Einfluß. Daran ändert auch nichts die "Zerstörung der Welt". Die Geldreichen, Vermögenden, Besitzenden, Mächtigen bleiben übrig, erhalten und gesichert, weil sie das Recht auf Eigentum und die Zerstörung Andersdenkender, Anderswollender, Andersfordernder, die Zerstörung Anders(über)lebender manifestiert, ideologisiert und unabänderlich fest geschrieben haben. Siehe das englische Königshaus, die europäischen Königshäuser, die asiatischen Königshäuser. Diese alle repräsentieren seit vielen Jahrhunderten Reichtum, Vermögen, Besitz, Macht, Einfluß, die "Weltordnung" - wie die Kirchen und ihre Welt-Religionen.

      • @Gerda Fürch :

        Ich will ja auch nicht Europa zerstören, sondern nur DIESE EU beseitigen, die nichts anderes ist wie eine kapitalistische Internationale.

         

        Gerade jetzt ist es mal wieder angesagt, darüber nachzudenken, ob dieses Gebilde überhaupt noch reformiert werden kann (Wovon imo zu Unrecht auch noch DIE LINKE träumt) oder eine Revolution die bisherige EU wegfegen muss.

    • @Age Krüger:

      Hey, was erwartest Du? Das hier ist die TAZ. Hier beruhigen Bionade-Spiesser und Prenzelberg-Mutties ihr soziales Gewissen in der Mittagspause...