: Die Körper vergessen nicht
Wie geht man mit dem Trauma von Gewalt, Folter und Massenmord um? Das Haus der Kulturen der Welt zeigt zwei Filme des kambodschanischen Regisseurs Rithy Panh, der sich mit den totalitären Schrecken des Landes beschäftigt
In den Jahren 1975 bis 1978 haben die Roten Khmer unter ihrem Führer Pol Pot mit ihrem agrarkommunistischen Schreckensregime Kambodscha nicht nur in die Steinzeit zurückgezwungen, sie haben auch ein Viertel der Bewohner des Landes bestialisch ermordet oder an Hunger und Erschöpfung umkommen lassen. Der vielleicht schlimmste Ort des Schreckens neben den „Killing Fields“ war ein in einem ehemaligen Gymnasium untergebrachtes Folter- und Vernichtungslager in Phnom Penh, das den Namen „S-21“ trug. Von den 15.000 Inhaftierten haben nicht mehr als 7 überlebt.
Es ist dieser Ort, den der kambodschanische Filmemacher Rithy Panh in „S-21. Die Todesmaschine der Roten Khmer“ (2003) aufsucht. Die einstige Folterstätte ist heute ein Museum; Panhs Film ist der atemberaubende Versuch, die dort aufbewahrten Erinnerungsstücke wiederzubeleben: tausende von Fotos und die Akten, die in der minutiösen Auflistung der erfolterten Denunziationen vom bürokratischen Wahn der Mörder zeugen.
Im Zentrum steht der Maler Vann Nath, der für die Heldenporträts von Deuch, dem S-21-Leiter, verantwortlich war. Er lebt, weil er dem Schlächter schmeichelte. Deuch ist heute als einer der wenigen Täter inhaftiert, ein angekündigtes Tribunal zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit hat nie stattgefunden. Kambodscha will vergessen, was geschehen ist. Rithy Panh, dessen gesamte Familie unter den Roten Khmer umgekommen ist, der selbst als 11-Jähriger nach Frankreich floh und dort später das Filmemachen lernte, hält die Erinnerung für überlebensnotwendig in einer Gesellschaft, die sich lieber blindlings in eine kapitalistische Zukunft aufmachen möchte.
Der Film konfrontiert Vann Nath mit einigen der Wächter von einst. Sie sind erstaunlich jung, waren beinahe noch Kinder, als sie das Quälen und Foltern lernten. Bis heute haben die Täter keine Sprache für das, was sie getan haben. Sie sind noch immer in den Indoktrinationen der Partei befangen, selbst da, wo sie nach einem Bewusstsein dafür tasten, dass sie womöglich etwas anderes waren als die Opfer, als die sie sich begreifen.
Mehrere Jahre hat Panh sie beobachtet, immer wieder getroffen, zum Sprechen gebracht. Aus dem ersten Jahr, so der Regisseur, gibt es kein Material im Film. Es war unbrauchbar. Am eindrucksvollsten und schauderhaftesten sind Momente, in denen die Wächter in einer Art unwillkürlicher Erinnerungsperformance in der leeren Zelle die Überwachungs- und Säuberungshandlungen ausführen, die ihnen in Fleisch und Blut übergegangen sind. Es sind ihre Körper, die hier verraten, dass sie nicht mehr loskommen von dem, was sie vergessen möchten.
Nach dem Meisterwerk „S-21“ ist Rithy Panhs „The Burnt Theatre“ von 2005, den das Haus der Kulturen der Welt morgen in Anwesenheit des Regisseurs zeigt, eine leichte Enttäuschung. Die doppelte Bewegung, die der Auseinandersetzung mit dem Trauma gemäß ist, das Zurückkommen auf das, wovon man nicht loskommt, hat hier einen anderen Schauplatz: Das verfallene Theater in Phnom Penh, 1994 bis auf die Grundmauern abgebrannt. Dort findet Panh beschäftigungslose Darsteller, die sich an bessere Zeiten erinnern, Theaterstücke proben, die keiner sehen wird, und auf verfallenen Sitzreihen ausharren.
Rundherum hämmert der Lärm einer wirtschaftsliberalen Gegenwart, es wird gebaut und geplant. In der eindrücklichsten Szene führt einer der Schauspieler einen privaten Abwehr- und Abspaltungsritus vor: Er brüllt seinen Schmerz in ein Gefäß aus Ton, um es danach zu zertrümmern. Panh präsentiert die Figuren in einer leider eher verwirrenden Mischung aus Dokumentation und Fiktion, in der Leben und Spiel ununterscheidbar bleiben. EKKEHARD KNÖRER
„The Burnt Theatre“, Sa., 20 Uhr (Diskussion mit Rithy Panh und Amir Muhammad, 16 Uhr)„S-21. Die Todesmaschine der Roten Khmer“, So., 18 Uhr, Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10
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