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Wenn die Mitte zündelt

MORD-VERSUCH

Keine 24 Stunden nach dem Anschlag waren die Täter bekannt: Zwei Männer, 24 und 30 Jahre alt, sowie eine 23-Jährige waren es demnach, die in der Nacht zum 28. August im niedersächsischen Salzhemmendorf (Kreis Hameln-Pyrmont) einen Brandsatz in ein von Flüchtlingen bewohntes Haus warfen. Der Molotow-Cocktail landete in einer Erdgeschosswohnung in einem Zimmer, in dem sonst drei Kinder schlafen. Zum Zeitpunkt des Anschlags aber hielten sie sich mit ihrer Mutter, einer Frau aus Simbabwe, in einem Nebenraum auf. Weil Anwohner schnell die Feuerwehr riefen, konnten 29 Asylsuchende unverletzt aus dem zweistöckigen Gebäude, einer ehemaligen Schule, gerettet werden. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) meinte vor Ort schockiert: „Um es klar zu sagen: Das war versuchter Mord.“

Die drei Tatverdächtigen sitzen in Untersuchungshaft und sollen sich zu den Vorwürfen eingelassen haben, es soll ein Geständnis des 24-jährigen Sascha D. geben. Genauer will sich die ermittelnde Staatsanwaltschaft Hannover nicht äußern. In der Gemeinde mit rund 9.400 Einwohnern ist nicht bloß Bürgermeister Clemens Pommerening erschüttert: Viele zeigen sich schockiert darüber, dass die Tatverdächtigen aus ihrer Mitte kommen; eine rechte Einstellung will niemand bemerkt haben. Sascha D. war Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, half sogar selbst bei dem Löscheinsatz nach dem Anschlag.

Anfänglich erklärte auch ein Sprecher der Polizei Hameln-Pyrmont, es gebe in der Region keine rechte Szene. Seit Jahren agiert dort allerdings sehr wohl ein Spektrum zwischen „freien“ Kameradschaften und einschlägigen Parteien. Auch die Facebook-Seiten von Sascha D. und dem ebenfalls verdächtigten Dennis L. offenbaren zumindest ausgeprägtes Interesse an Rechtsrock-Bands.

Nach Bekanntwerden von D.s Beteiligung hat die Feuerwehr ihn umgehend beurlaubt. Dass da Strukturelles im Spiel sein könnte, legt ein Hinweis von Dirk Baier, dem stellvertretenden Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen nahe: Laut einer Studie von 2007/2008 neigten Jugendliche, „die in der Freiwilligen Feuerwehr aktiv sind“, rechtsextremen Gedankengut „eher“ zu als solche, die nicht bei der Feuerwehr sind.

Knapp eine Woche nach dem Anschlag musste denn auch der Jugendwart der örtlichen Feuerwehr gehen: Auch er soll Fan von Rechtsrock sein und ist auf Facebook mit dem örtlichen Rechtsextremen Andre K. befreundet. Diesen wiederum musste jüngst die Polizei abführen – als er eine spontane Demonstration gegen „Fremdenfeindlichkeit“ zu stören versuchte. AS

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