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Nachruf Egon BahrMöglichkeiten, immer und überall

Der SPD-Politiker war das Vorbild unserer Autorin – obwohl sie oft stritten. Doch ein Ziel stellte Egon Bahr über alles andere: Frieden.

Machte sich einen Spaß daraus, sein Gegenüber warten zu lassen: Egon Bahr. Foto: dpa

Meine Generation – ich bin Jahrgang 1956 – hat es nicht so mit Vorbildern. Allzu dicht waren wir noch dran an den falschen Propheten, denen viele Eltern und Großeltern nachgelaufen sind. Selbst wenn wir jemanden ganz großartig finden, scheuen die meisten von uns vor dem Wort „Vorbild“ zurück. Das, was damit ausgedrückt werden soll, lässt sich auch anders formulieren.

Im Hinblick auf Egon Bahr will ich es nicht anders formulieren. Er ist, war und bleibt mein Vorbild. In mehrfacher Hinsicht.

Selbstverständlich auch deshalb, weil ich im Alter furchtbar gerne so wäre wie er: wach und neugierig. Vor einigen Jahren telefonierte ich mit seiner Frau Adelheid, um ein Treffen zu verabreden. In den nächsten Wochen sei das schwierig, sagte sie. Egon habe einen Termin in – war es Aserbaidschan? Ich erinnere mich nicht genau. „Und danach will er natürlich die Gelegenheit nutzen, die Seidenstraße entlang zu fahren.“ Natürlich. Das ist ja das, was Leute im Alter von Mitte 80 so zu tun pflegen. Auf eigene Faust. Wie sonst?

Als der alte Egon Bahr an einer taz-Veranstaltung teilnahm, wurde im Vorfeld erörtert, wie und von wem er chauffiert werden würde und welche besonderen Bedürfnisse er vielleicht haben könnte. Das fand er ziemlich albern. Er kam in seinem Kleinwagen und fuhr nach der Diskussion damit auch wieder weg. Bloß keine Umstände.

Wenn er an Talkshows und anderen Veranstaltungen teilnahm, dann bestand er nie – niemals – auf einer Sonderstellung. Es war kein Problem für ihn, auf Augenhöhe mit anderen zu reden, die unendlich viel weniger als er von einem Thema verstanden. Oder die schlicht dümmer waren. Statusfragen interessierten ihn nicht.

Auf eine besondere Weise eitel

Es wäre ein großer Irrtum zu glauben, das zeuge von mangelnder Eitelkeit: Egon Bahr war auf eine ganz besondere Weise eitel. Er war stets sicher, dass die Überlegenheit seiner Position auch dann deutlich würde, wenn er in einer Runde mit anderen saß, die ihm das Wasser nicht reichen konnten. Gerade dann.

Was nicht bedeutet, dass er nicht bereit gewesen wäre, Jüngeren und Unerfahreneren die größtmögliche Anerkennung zu zollen. Vielleicht war das eine seiner besten Eigenschaften: Immer und überall Möglichkeiten zu sehen – Talente, Chancen auf Verständigung, Gelegenheiten zum Dialog.

Natürlich wusste er immer, wie wichtig sein Urteil war. Und er machte sich einen Spaß daraus, sein Gegenüber warten zu lassen. Vor einigen Monaten habe ich eine Rede von ihm für einen taz-Abdruck um mehr als die Hälfte gekürzt. Nachdem ich ihm das Manuskript zur Autorisierung geschickt hatte, rief er an: „Also, ich finde das ...“ Endlos lange Pause. Panik auf meiner Seite, der drohende Redaktionsschluss war eingemeißelt in meinem Kopf. „... ganz großartig.“ Dann kicherte er. Niemand konnte so kichern wie Egon Bahr.

Für ihn gab es keine absurden Ansichten

„Architekt der Entspannungspolitik“ ist er genannt worden, so wie Willi Brandt der „Vater der Entspannungspolitik“ war. Der Architekt des Friedens blieb er, bis zum Schluss. Es gab für ihn keine absurden Ansichten und nur wenige verdammenswerte Haltungen: Stets ging er davon aus, dass auch das Gegenüber gute Gründe für sein oder ihr Handeln hatte.

„Putinversteher“? Ja, natürlich war er das. Jemand, der Russland verstand und Putin und die Ukraine und alle. Und der verzweifelt versuchte, alle Beteiligten dahin zu bringen, einander ebenfalls zu verstehen. Das Wort „verzweifelt“ ist nicht zufällig gewählt. Wenn es ein einziges Ziel gab, das Egon Bahr über alles andere stellte, dann war es: Frieden. Er gehörte zu den wenigen, die begriffen haben, dass man für dieses Ziel notfalls auch einen Pakt mit dem Teufel schließen muss.

Wir haben oft gestritten. Er fand den ehemaligen US Präsidenten Jimmy Carter naiv, er hielt das Bestehen auf der Einhaltung von Menschenrechten zwar für eine wünschenswerte, nicht aber für eine unabdingbare Bedingung von Außenpolitik. Gerade dann nicht, wenn es um das für ihn noch unvergleichlich viel höhere Ziel ging. Frieden, wie gesagt.

Mein Vater, der erste Leiter der westdeutschen Vertretung in Ostberlin, war ein lebenslanger Freund von Egon Bahr. „Möge Dir die Erde leicht sein“, hat Egon Bahr ihm am Ende seiner Ansprache beim Trauergottesdienst gewünscht. Dann brach seine Stimme. Diesen Wunsch will ich weitergeben: „Möge dir die Erde leicht sein, Egon.“ Du wirst fehlen. So sehr. So oft.

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11 Kommentare

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  • DANKE, Frau Gaus, für diesen sehr persönlichen Nachruf !

    Die derzeit höchsten "Würdenträger" Deutschlands ( Gauck, Merkel etc.), begnügten sich - meines Wissens -

    mit Kondolenzbriefen an Frau Bahr !

    Außerhalb der regulären Nachrichten-blöcke kein Nachruf, kein Statement, Dies ist nicht nur peinlich, sondern beschämend und empörend !

    Ohne Egon Bahrs (Mit-)Wirken würden diese, welche sonst immer gern im Fernsehen mehr oder weniger pathetische Reden halten ,

    ( böse ausgedrückt) möglicherweise noch Pastor in Rostock oder SED-Mitglied in der Uckermark sein.

    Und auch das Erste ARD-Programm und das ZDF , bei denen Bahr oftmals manche Talkshow "adelte", zeigten ihre Dokus nur zu nachtschlafender Zeit.( Wer schaut schon Phönix ? )

    Armes Deutschland, Du bist nun noch ärmer geworden !

  • Danke sehr verehrte Bettina Gaus!

    Egon Bahr und ihr Vater Günther standen für eine einmalige Konstellation, als Unterhändler in Fragen der Entspannungspolitik, nicht dem Außenamt, sondern allein dem Kanzler verpflichtet, der eine in derselben geinsame Sache in Moskau, der andere in Ostberlin mit gegensätzöicher Stossrichtung akkreditiert.

     

    In seinem Gespräch mit Ihrem Vater 1995 zur Person RBB meinte Bahr, es sei ein Fehler US- Präsident Jimmy Carters (Amtszeit 1976- 1980) gewesen, sich im Namen der Menschenrecte für den Menschenrechtler, Dissidenten, Atompphysiker, Tüftler der sowjetischen Wasserstoffbombe Andrei Dmitrijewitsch Sacharow (1921- 1989) in Moskau.einzusetzen. Die Erhaltung des Friedens habe Vorrang vor Menschenrechten

     

    1976 bis 1980 war Egon Bahr Bundesgeschäftsführer der SPD und war sich nicht zu schade, mit allem nachdruck cora Publikum den vorübergehenden Ausschluss des Juso-Vorsitzenden Klaus Uwe Benneter wg. seiner STAMOKAP Ideen, dessen Vize Gerhard Schröder war, 1977 aus der SPD zu betreiben. .

     

    Auch das war Egon Bahr, sonderbar, er sagt es menschlich unanfechtbar dringlich, liebenswert, dass ich es ihm nicht einmal übel nehmen mag, auch wenn ich absolut anderer Meinung bin.

     

    Irgendwie kommt es mir nach Egon Bahrs Tod vor, als sei eine unsichtbar hütende Hand über uns von uns genommen, wenn ich gedanklich bei seiner Vorliebe Guter Makler, Verhandler in einer Welt voller Rätsel der Backchannels, Geheimdiplomatie und deren "Wunder" im Guten wie im Schlechten zu sein, verweile.

    https://www.freitag.de/autoren/joachim-petrick/egon-bahr-gestorben-1922-2015

    JOACHIM PETRICK 20.08.2015 | 13:59 7

    Egon Bahr gestorben (1922- 2015)

    • @Joachim Petrick:

      sorry - zu schnell

       

      Radikalenerlaß - 1972 - &

      Willy Brandt Leader of the Pack.

       

      Das ehem. SAP-Mtgl. - frauman rieb sich

      verwundert die Augen.

      Ironie - daß es ausgerechnet auch in

      Richtung - STAMOKAPPES - ging -> mit

      Dem späteren ->

       

      Genosse der Bosse -

      GazPromGerd -

       

      kurz - Berufsverbote crafted by SPD -

      Ein ewiger Schandfleck.

       

      Was Egon Bahr dabei angeht -!

      "keine ideologischen Schnipsel…"¿

      My be -

      Aber als Spezialist von Gnaden -

      Darin - sorry - doch doch -

      A weng - Betriebsblindheit - kann frauman ihm dafür bei aller

      Wertschätzung - ja Bewunderung - schon attestieren.

    • @Joachim Petrick:

      ;)

       

      "…Auch das war Egon Bahr, sonderbar,…"

      &/weil sein Freund Willy Brandt auch!

       

      Radikalenerlaß -> 1972 -

  • Danke Bettina Gaus!

     

    Im Kindesalter (Jg. 1960) früh politisiert in der Zeit der „Willy-wählen-BTwahl´72“ waren mir Egon Bahr und später auch Günter Gaus zum Synonym geworden, dass deutsche Politik auch mal „gelingen“ kann. Hier waren Realisten aber auch vorausschauende Strategen am Werk. Meine Verachtung für das politische Personal der Konservativen der BRD stammt aus dieser Zeit angesichts der schamlosen Verächtlichmachung von Brandt & Bahr durch sehr große Teile der CDU/CSU, der Kampagnen der Vertriebenenverbände und Organisationen bis hinein ins alt- und neofaschistische Spektrum der BRD.

     

    Das fast ausnahmslose CDU-Schweigen am Todestag Bahrs spricht Bände und fällt auf die Konservativen selbst zurück. Niemand erwartet große Elogen vom politischen Gegner an solchen Tagen, aber wenn die Konservativen dieses Landes ein Verständnis von Fairness hätten (Ausnahme: R. von Weiszäcker, der hätte zu Lebzeiten sicher sofort das Wort ergriffen), dann würde sich Kohl hinsetzen und seiner Sekretärin einen offenen Brief oder OP-ed für die FAZ diktieren und Abbitte leisten bei Egon Bahr. CDU/CSU begreifen sich immer als die eigentliche BRD-Staatspartei und Kohl sei der „Vater der Wiedervereinigung“ etc. Die Legendenbildung wirkt immer noch weit hinein in Medien, Politik & ins „bürgerliche“ Wählerreservoir.

     

    Die Wahrheit sprach Bahr gestern in der tagesschau24-Doku gelassen aus:

    Als er 1966 nach SPD-Eintritt in die große Koalition als Sonderbeauftragter Brandts die CDU-lastige Ministerialbürokratie durchleuchtete und nach vorhandenen Konzepten für die Wiedervereinigung fragte (welche die CDU in ihren scheinheiligen Sonntagsreden ja stets vor sich her trug) fand Bahr nichts vor außer leere Schubladen! 1989 war´s nicht anders.

  • Berührend.

     

    Egon Bahr - sicher auch lebensklug -

    Fehlt schon sehr lange.

    Er aber wußte gut -

    Was er tat.

    Immer.

  • Chapeau! Für Egon Bahr und auch Bettina Gaus. Der kleine Mann mit Aktentasche kam in den Achtzigern jedes Jahr auf der Frankfurter Buchmesse zum Rotbuch Stand und informierte sich über die politischen und literarischen Neuerscheinungen. Er war verbindlich und verbindend, respektvoll und respektiert. Ein Verlust, der sehr schmerzt.

  • Passende und schöne Worte von Bettina Gaus…

    Ich bin 26 Jahre alt und sehr traurig über diesen Verlust, als mich die Nachricht heute morgen erreicht hat.

    Uns hat ein großer Politiker und Mensch verlassen, das wage ich zu behaupten, ohne Egon Bahr persönlich gekannt zu haben. Ich habe ihn immer unglaublich gemocht, es ist ein trauriger Tag, nicht nur für die Sozialdemokratie!

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Egon Bahr und Günter Gaus sind für mich (*1961) zwar keine Vorbilder, aber in gewissem Sinne begleitende Erzieher gewesen. Dafür gilt beiden mein tiefer Dank!

  • Ein großartiger Politiker.

    Schade das heut zu Tage in dieser Liga keiner mehr anzutreffen ist.

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Danke, Bettina Gaus.

    Besser kann man das nicht ausdrücken!