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Kommentar von Jan Zier zur Einteilung der FlüchtlingeSchluss mit dieser Altersschätzung!

Das Verfahren ist absurd und menschenunwürdig, solange es dabei nur um den 18. Geburtstag geht

Ist der schon 18? Genau lässt sich das nie sagen. Nicht nach noch so langen Gesprächen, nicht mit Röntgendiagnostik und Computertomographen, nicht durch Untersuchungen von Schlüsselbeinen, Zähnen oder Geschlechtsteilen. Denn am Ende geht es immer um die Frage: Hatte der gestern Geburtstag oder erst morgen? Mit letzter Gewissheit lässt sich das nicht feststellen.

Das aber wäre notwendig – denn hier geht es um viel für den minderjährigen Flüchtling. Mit dem 18. Geburtstag wird er schlagartig „erwachsen“ und zur Last, kann umverteilt und schneller abgeschoben werden, auf jeden Fall aber irgendwo dahin verfrachtet, wo er weniger oder zumindest anderen Geld kostet. Denn genau darum geht es vor allem. Ist er unter 18, steht er – völlig zu Recht – unter besonderem Schutz, muss kein Asylgesuch einreichen, hat Ansprüche auf Betreuung und Ausbildung.

Und weil das so ist, herrscht allenthalben Misstrauen, mal mehr, mal weniger berechtigt. Die einen beargwöhnen die Geflüchteten, die sich scheinbar Vorteile erschleichen, die anderen die Behörden, denen doch wohl im Zweifelsfall der eigene Haushalt näher ist als das Kindeswohl irgendeines Fremden.

So oder so ist die Altersdiagnostik widersinnig und menschenunwürdig, solange sie um Tag des 18. Geburtstags kreist. Vernünftig und adäquat wäre es, zu fragen, ob einer adoleszent ist, heranwachsend – oder eben über 18, aber auch körperlich, geistig ausgewachsen. Dann kann er als Erwachsener behandelt werden, mit allen Konsequenzen.

Ist das nicht der Fall, braucht er besonderen Schutz und Förderung, ja: auch wenn es Geld kostet. Diese Entscheidung darf sich nicht am Alter festmachen, sondern am individuellen Entwicklungsstand. Da helfen dann durchaus profunde Gespräche, da braucht es keine Apparatemedizin.

Gewollt ist das natürlich nicht, auch nicht von Rot-Grün. Weil die Menschenwürde doch zuallererst eine Frage des Geldes ist.

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